Die Vorführung erotischer Filme in Spezialvorstellungen zählte in der Frühzeit des Kinos zu den Kassenmagneten schlechthin. Bei den sogenannte „Herrenabenden“ präsentierte man allerdings nicht nur „pikante“ Aufnahmen, sondern auch Filme über chirurgische Eingriffe, Krankheiten und körperliche Missbildungen.
Die lukrative Seite dieser Produktionen erkannte auch ein österreichischer Fotograf, der neben Familienbildern und Portraitaufnahmen auch Aktfotos in Umlauf brachte. 1906 begann Johann Schwarzer erotische Laufbilder zu produzieren und über das Label „Saturn-Films“ zu vertreiben. Er folgte damit dem Vorbild renommierter französischer Firmen, die seit geraumer Zeit entsprechend „anzügliche“ Streifen sehr erfolgreich verkauften. Auch die Sujets glichen einander: Badeszenen, Künstler und Modell oder orientalische Szenen waren gern gesehen. Schwarzers Filme boten aber bisweilen freizügigere Darstellungen als die Konkurrenz: Waren die Körper der badenden Damen der Firma Pathé von feinen Stoffen umhüllt, so zeigten sich die jungen Frauen in den Saturn-Produktionen völlig entblößt. Schwarzers Aufnahmen entzogen sich jedoch jeder Pornografie. Die präsentierten Szenen offerierten den Darstellerinnen oft schlicht situationsbezogene plausible Möglichkeiten, sich zu entkleiden (Arztbesuch, Badegelegenheit, Aktzeichnungen etc.), wie etwa die Filme „Baden verboten“ (A 1907) oder „Weibliche Assentierung“ (A 1908-1910) unter Beweis stellten.
Die Nachfrage nach den „hochpikanten Films“ aus Österreich-Ungarn war sehr groß, laufend wurde inseriert. Eigene Verleihkataloge der Firma Saturn kamen auf den Markt, nicht nur in deutscher, sondern auch in italienischer und französischer Sprache. Die Filme hatten sich als „Wiener Sujets“ europaweit einen Namen gemacht. Eine Beschwerde des österreichisch-ungarischen Konsuls in Tiflis über die Präsentation von „Obszönitäten aus Wien“ machte schließlich die k. k. Behörden auf den „Fall Saturn“ aufmerksam. Laut der Fachpresse trafen auch Proteste der diplomatischen Vertreter in Berlin, Paris, London, Rom und Tokio ein, die zur Beschlagnahme von Saturn-Filmen und einem nachfolgenden Prozess führten. Das k. k. Landesgericht Wien verbot die Weiterverbreitung der Filme wie auch der Firmen-Kataloge. Eine Vernichtung entsprechender Film- und Druckmaterialien wurde angeordnet. Das Urteil trat am 15. Februar 1911 in Kraft. Die Tätigkeit des ersten österreichisch-ungarischen Filmproduktionsbetriebs war somit beendet.
In Wien wurden „Herrenabende“ bereits mit Februar 1910 grundsätzlich verboten, andere Kronländer schlossen sich dieser Bestimmung nach und nach an, womit man erotischen Filmen letztlich jegliche Absatzmöglichkeit nahm. Während des Ersten Weltkrieges waren „hochpikante Filme“ allerdings neuerlich sehr gefragt. Man setzte sie im Rahmen der Truppenbetreuung in den k. k. Feldkinos ein.
Achenbach, Michael: Die Geschichte der Firma Saturn und ihre Auswirkungen auf die österreichische Filmzensur, in: Achenbach, Michael/Caneppele, Paolo/Kieninger, Ernst: Projektionen der Sehnsucht. Saturn. Die erotischen Anfänge der österreichischen Kinematografie, Wien 1999, 75-102
Achenbach, Michael/Ballhausen, Thomas/Wostry, Nikolaus: Tresor 1, Saturn-Filme 1906–1910, Die erotischen Anfänge der österreichischen Kinematografie, Wien 2009
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Kapitel
- Filmzensur – Reglementierung des Gezeigten
- Der Zensurfall Saturn
- Kulturkampf gegen „Schmutz und Schund“
- Dem Publikum zu Diensten – die Film- und Kinobranche vor und im Ersten Weltkrieg
- Organisierte Propaganda: Die Filmstelle des Kriegspressequartiers
- Schwerpunkte und Ziele der Kriegs-Filmpropaganda
- Nach dem Krieg – Die Staatliche Filmhauptstelle: Verwalter des Vergangenen, Mahner der Gegenwart, Propagandist einer neuen Idee