Kein Auftrag und trotzdem Erbe: Die Habsburger in Österreich nach 1918
Mit der Ausrufung der Republik wurden dem habsburgischen Kaiserhaus und seinen Familienangehörigen jegliche Privilegien entzogen, die Beamtenschaft und die Mitglieder des Militärs vom Treueeid gegenüber dem Kaiser entbunden und die kaiserlichen Ministerien aufgelöst. Kaiser Karl betonte jedoch noch, bevor er Österreich im März 1919 verließ, in einem Manifest, dass für ihn die Beschlüsse der neuen Regierung „null und nichtig“ seien. Die neu gewählte Nationalversammlung reagierte auf diese Provokation mit einem Landesverweis und der Enteignung der kaiserlichen Familie. Gleichzeitig wurde mit dem Adelsaufhebungsgesetz das Führen von Adelstiteln verboten und unter Strafe gestellt.
Die Einstellung zu den Habsburgern war schon in der Ersten Republik ganz wesentlich von der politischen Polarisierung zwischen Sozialdemokratie und Christlichsozialen bzw. Arbeiterklasse und Bürgertum bestimmt. In der Linken dominierte eine scharfe und konsequente politische Distanzierung von Monarchie und Habsburgerdynastie – der fehlgeschlagene Restaurationsversuch des Ex-Kaisers Karl in Ungarn im Jahr 1921 verschärfte diese Stimmung. Als Karl von Ungarn kommend über Österreich mit einem Sonderzug erneut in die Schweiz ausreiste, empfing ihn in Feldkirch eine Abordnung von Sozialdemokraten mit einem speziellen Abschiedsgruß: Von einem Hügel herab intonierte die örtliche Eisenbahnerkapelle Muss i denn zum Städtele hinaus und O Du lieber Augustin, alles ist hin. Am Bahnhof wartete zudem ein Galgen mit einer mannsgroßen Puppe in altösterreichischer Militäruniform.
Im Bürgertum setzte sich zusehends eine positive Interpretation der Monarchie durch. Schon bei den Republikfeiern 1923 wurden in der Militärparade von Truppeneinheiten Orden aus der k. u. k.-Zeit getragen, das Abspielen des Radetzkymarsches sorgte für zusätzliche Erregung. In der Zeit des Ständestaates kam es vonseiten der katholischen Rechten zu einer neuerlichen Intensivierung eines „Habsburg-Revivals“.
Die konträre Haltung zu den Habsburgern lässt sich auch in der Zweiten Republik bis Anfang der 1970er-Jahre nachweisen. Die ÖVP band zwar keine Mitglieder aus monarchistischen Kreisen direkt in die Partei ein, Vertreter des konservativ-katholischen Flügels, wie etwa der langjährige Unterrichtsminister Drimmel und andere, verwiesen in öffentlichen Veranstaltungen und Publikationen jedoch wiederholt auf die großen Verdienste der multinationalen k. u. k Monarchie, vor allem für eine österreichische nationale Identität und die damit verbundene Abgrenzung von großdeutschen Gedanken.
Anfang der 1960er Jahre kam es zur sogenannten „Habsburg-Krise“, welche die damals regierende SPÖ-ÖVP-Koalition fast zu Fall brachte. Der Sohn des letzten Kaisers, Otto Habsburg, erregte den Missmut der Sozialdemokratie, als er Karl Renner dessen positive Haltung zum Anschluss 1938 vorhielt, dann auch dessen Brief „an Seine Exzellenz Marschall Stalin“ 1945, in dem Renner sich als Garant eines unabhängigen Österreich darzustellen versuchte. 1961 war Otto endlich bereit, eine Erklärung zum endgültigen Thronverzicht zu unterzeichnen, was die wenig wohlwollende SPÖ als nicht ausreichend erachtete. Es kam zu emotional geführten Debatten im Parlament und in der Öffentlichkeit. Bei der erstmaligen Einreise von Otto Habsburg nach Österreich im Oktober 1966 reagierten SPÖ-Mitglieder und SympathisantInnen mit Großprotesten.
Mit der allgemeinen negativen Bewertung der Ersten Republik kamen auch SozialdemokratInnen zu einer positiveren Sicht auf die österreich-ungarische Monarchie. Bei der „Aussöhnung“ spielte Bruno Kreisky eine zentrale Rolle: Die Divergenzen zwischen den Habsburgern und der SPÖ fanden 1972 mit einem symbolträchtigen Handschlag zwischen Kreisky und Otto Habsburg ein Ende.
In seinen letzten Regierungsjahren nützte Kreisky die positive Stimmung gegenüber der Monarchie und deren RepräsentantInnen, indem er sich mit habsburgischen Symbolen umgab. Er, der als Sonnenkönig tituliert wurde, ließ sich beispielsweise 1979 für eine Wahlkampfbroschüre vor dem Bildnis des jungen Franz Joseph ablichten, und seine Fernsehinterviews gab er mit Vorliebe unter einem Portrait Josefs II. Den Protest auf die Broschüre quittierte Kreisky angeblich mit den Worten: „No, was soll i denn machen? Der Kaiser ist ja hinten eing'mauert.“
In den 1980er Jahren wurde das Habsburg-Thema politisch weitgehend neutralisiert. Zitas Begräbnis in Wien geriet 1989 zum pompös inszenierten folkloristischen Erinnerungsakt. In den früheren kaiserlichen Residenzen, dem Schloss Schönbrunn und der Wiener Hofburg, pflegte man nun vor allem eine musealisierende Erinnerung an die Habsburger. Der Schwerpunkt lag auf gut besuchten Großausstellungen und auf der touristischen und kommerziellen Vermarktung der Monarchie, insbesondere der beiden Ikonen Franz Joseph und Elisabeth sowie des „steirischen“ Erzherzogs Johann. Erst in den letzten Jahren wird auch hier eine differenziertere, den historischen Fakten verpflichtete Perspektive auf die Monarchie und die Kaiserfamilie geboten.
Cole, Laurence: Der Habsburger-Mythos, in: Brix, Emil u.a. (Hrsg.): Memoria Austriae I. Menschen, Mythen, Zeiten, Wien 2004, 473-504
Reisacher, Martin: Die Konstruktion des „Staats, den keiner wollte“. Der Transformationsprozess des umstrittenen Gedächtnisorts „Erste Republik“ in einen negativen rhetorischen Topos. Diplomarbeit Wien 2010. Unter: http://othes.univie.ac.at/10190/1/2010-06-07_0252520.pdf (20.06.2014)
Zitate:
„No, was soll i denn machen? ...": zitiert nach: Scheidl, Hans-Werner: Wahlkampf mit Bruno (1), in: Die Presse vom 30.08.2013. Unter: http://diepresse.com/home/meinung/pizzicato/1446725/Wahlkampf-mit-Bruno-1 (20.06.2014)
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Kapitel
- Der 12. November 1918 als Erinnerungsort
- Der neue Staat sucht seinen Feiertag: Der 12. November als Schauplatz politischer Trennlinien
- Österreich, ein Land ohne Hymne
- Umkämpfte Zonen: Denkmäler und Straßennamen
- Mythen und Narrative: „Der Rest ist Österreich!“ ... oder so ähnlich
- Mythen und Narrative: „Der Staat wider Willen“ und „Der Staat, den keiner wollte“
- Kein Auftrag und trotzdem Erbe: Die Habsburger in Österreich nach 1918