Österreich, ein Land ohne Hymne

Kurz nach dem Gesetz über den Staatsfeiertag folgte jenes über ein neues Staatswappen und 1920 wurde eine Melodie von Wilhelm Kienzl, versehen mit einem Text von Karl Renner, „Deutschösterreich, du herrliches Land“, als Hymne ausgewählt. Besonders die Entstehungsgeschichte der Hymne zeigt auf, wie schwierig es war, den neuen Staat auch symbolisch so aufzuladen, dass sich die Bürgerinnen und Bürger damit identifizieren konnten. 

Neben dem Staatsfeiertag und einer neuen Fahne musste auch eine neue Hymne gefunden werden, nachdem die alte Haydn-Melodie mit dem immer wieder variierten Text in Erinnerung an den Kaiser und die Monarchie ausgedient hatte und am 10. November 1918 in Schönbrunn – zumindest als offizielle Staatshymne – das letzte Mal angestimmt worden war. Zuvor schon wurde die Provisorische Nationalversammlung immer wieder mit dem Absingen bestimmter Lieder, wie beispielsweise Die Wacht am Rhein, durch Protestierende gestört. Nachdem in der Staatskanzlei zahlreiche Vorschläge für eine neue Hymne eingetroffen waren, bat Staatskanzler Renner den Komponisten der Oper „Der Evangelimann“, Wilhelm Kienzl, die Noten zu einem Text zu liefern, den Renner selbst geschrieben hatte: Deutsch-Österreich, du herrliches Land. Bemerkenswert daran ist neben der Tatsache, dass der Kanzler selbst zur Feder gegriffen hatte, vor allem auch die Bezeichnung des besungenen Staates, dem ja aufgrund des Friedensvertrages von Saint-Germain das „Deutsch“ aus seinem Namen gestrichen wurde. Renner soll in einer älteren Version seines Textes die korrekte Bezeichnung „Republik Österreich“ verwendet haben, die Umänderung kann als Protest oder Trotzreaktion gegen das Anschlussverbot interpretiert werden. Der Text pries zuerst die landschaftlichen Schönheiten, die auch heute noch einen hohen identitätsstiftenden Wert besitzen, danach das schwere Schicksal des starken und klugen „Duldervolkes“ und beschwor am Schluss den Zusammenhalt und die Wehrhaftigkeit im „Ostalpenlande“. Kritiker bemängelten sowohl die mindere Textqualität – der spätere christlichsoziale Vizekanzler Carl Vaugoin sprach von einem „Gelegenheitsgedicht“ – als auch die marschartige Melodieführung.

Die Hymne erklang zum ersten Mal anlässlich der Vereidigung des neuen österreichischen Heeres im Juli 1920 auf dem Heldenplatz, sie wurde jedoch nie offiziell beschlossen. So ertönten daneben zu diversen feierlichen Anlässen auch immer wieder die Kaiserhymne und das Deutschlandlied. 1929 wurde sie auf Beschluss des Ministerrates durch die Österreichische Volkshymne abgelöst. Den Text lieferte ein 1919 erschienenes Gedicht von Ottokar Kernstock, das mit „Gott mit Dir, mein Österreich“ endet, bei der Melodie griff man wieder auf die populäre Haydn-Hymne zurück. Nach parteipolitischen Unstimmigkeiten verfügte das Unterrichtsministerium unter Heinrich Srbik 1930 per Erlass: „Bei offiziellen Anlässen ist ausschließlich die neue Österreichische Bundeshymne zu singen. Gegen das Singen des „Deutschlandliedes", welches dieselbe Weise hat, bei Anlässen, die einen offiziellen Charakter nicht an sich tragen, obwalten selbstverständlich wie bisher keine Bedenken. Die bisher bei offiziellen Anlässen gesungene Renner-Kienzl'sche Hymne, die niemals als Bundeshymne erklärt wurde, darf nicht mehr offiziell gebraucht werden.“ Der Wiener Stadtschulrat unter Otto Glöckel verlautbarte, dass die „Haydn-Hymne als ‚Deutschlandlied’ (...) der gefühlsmäßige und auch offizielle Ausdruck des Einheitsbewusstseins des gesamten deutschen Volkes“ sei. „Der Stadtschulrat erwartet, dass dieses Lied in allen Schulen geübt und bei geeigneten Anlässen gesungen wird, um so die nationale und republikanische Erziehung der Jugend zu fördern.“

Auch hier traten wieder zwei Charakteristika der politischen Kultur der Ersten Republik zutage: Zum einen wurden die unterschiedlichen Positionen der politischen Lager über Staatssymbole diskutiert, zum anderen zeigte sich die kontinuierliche großdeutsche Haltung der Sozialdemokratie.

Bibliografie 

Diem, Peter: Lieder und Hymnen, die Österreich bewegten. Unter: http://peter-diem.at/Lieder/Liedertafel.htm (20.6.2014)

Hanisch, Ernst: Politische Symbole und Gedächtnisorte, in: Tálos, Emmerich (Hrsg.): Handbuch des politischen Systems Österreichs. Erste Republik 1918-1933, Wien, 1995, 421-430

Welan, Manfried: Österreich und die Haydnhymne. Politische und kulturhistorische Betrachtungen, Wien 2009. Unter: http://www.boku.ac.at/wpr/wpr_dp/DP-44-2009.pdf (20.6.2014)

Tonaufnahme Hymne Deutsch-Österreich: http://www.mediathek.at/atom/135E603D-05A-00061-000004A4-135DCBB9 (20.6.2014)

Tonaufnahme Hymne "Sei gesegnet ohne Ende": http://www.mediathek.at/atom/135E8845-36E-002D4-000004A4-135DCBB9 (20.6.2014)

 

Zitate:

„Bei offiziellen Anlässen ist ...": „Bundeshymne – Deutschlandlied” Ein neuer Erlaß des Unterrichtsministeriums, in: Wiener Neueste Nachrichten, 15.12.1930

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    Nach dem Krieg

    Mit dem Ersten Weltkrieg ging das „lange 19. Jahrhundert“ zu Ende. An die Stelle der monarchischen Imperien traten neue politische Player. Die k. u. k. Monarchie zerfiel in einzelne Nationalstaaten. Im November 1918 wurde die Republik Deutschösterreich proklamiert, im Oktober 1920 Österreich als Bundesstaat errichtet. Die Jahre nach dem Krieg waren überaus bewegt: Sie changierten in einem Spannungsverhältnis von Aufbruch und Niederlage, zwischen politischen, wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Errungenschaften und Rückschlägen.

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