Der neue Staat sucht seinen Feiertag: Der 12. November als Schauplatz politischer Trennlinien

Mit der Proklamation der Republik mussten in Abgrenzung zur alten Ordnung auch neue staatliche Symbole gefunden werden. Im Gesetz vom 19. April 1919 wurde der 12. November zum Staatsfeiertag erklärt. Die Identifikation mit dem neuen Feiertag fiel jedoch unterschiedlich aus und spiegelt die Gegensätzlichkeiten zwischen den politischen Lagern wider.

Am Beginn der Republik stand ein weitgehender Konsens über den Bruch mit Österreichs monarchischer Vergangenheit. Unter dieser Voraussetzung konnte der neue Staatsfeiertag einstimmig „zum immerwährenden Gedenken an die Ausrufung des Freistaates Deutschösterreich“ beschlossen werden. Doch schon in der Benennung des arbeitsfreien Tages kamen die Differenzen zum Vorschein: Hieß der Tag im Jargon der Sozialdemokratie „Republikfeier“ oder „Tag der Republik“, vermied das christlichsoziale Lager jede Bezeichnung, die das Wort „Republik“ enthielt und beließ die Benennung bei „Staatsfeiertag“ oder schlicht bei „der 12. November“. Die emotionale Bindung der ersteren politischen Gruppe an die neue Staatsform war sehr viel intensiver als dies bei den Parteiangehörigen und AnhängerInnen der Christlichsozialen der Fall war. Zudem sahen die Sozialdemokraten in der bürgerlichen Demokratie den Übergang zur sozialen Republik.

Der erste Jahrestag der Republik war einerseits gekennzeichnet vom Ausgang der Verhandlungen in Saint-Germain und andererseits von der prekären Versorgungslage der Bevölkerung. Darum verzichtete man auf einen offiziellen Staatsakt, es blieb bei einer Rede von Karl Renner, in der er daran erinnerte, dass „man dem Ansturme der kommunistischen Bewegung auf der einen Seite und den gewaltigen auswärtigen Verwicklungen auf der anderen Seite“ durch das Vertrauen des Volkes begegnen konnte. In den nachfolgenden Jahren feierten vorrangig die Sozialdemokraten den Tag mit Aufmärschen und anderen Festveranstaltungen, das christlichsoziale Lager organisierte quasi als Gegenveranstaltung – in Fortsetzung einer Habsburgischen Tradition – Wallfahrten zu Ehren des heiliggesprochenen Babenbergers Markgraf Leopold III. Das Gedenken an seinen Todestag, den 15. November, verlegte man kurzerhand drei Tage nach vor. Damit wurde die Einheit zwischen Staat und katholischer Kirche betont. Nach dem Bruch der Koalition im Jahr 1920 beging das offizielle Österreich den Tag nur mit Militärparaden. Auch den 5. Jahrestag der Republik feierten die Lager getrennt: Bundeskanzler Seipel blieb den Feierlichkeiten in Wien fern und nahm in Salzburg an einer Festveranstaltung der Theologischen Fakultät teil. 1923 und in den darauffolgenden Jahren fanden bei den Paraden Störaktionen statt. Dies nahm man zum Anlass, sich in Wien auf Ehrenwachen vor der Präsidentschaftskanzlei zu beschränken. Nach den Ereignissen rund um den Justizpalastbrand im Juli 1927 wurde der 12. November seitens der Sozialdemokratie zur Mobilisierung gegen das christlichsoziale Lager benützt.

1928 kam wieder optimistische Stimmung auf, und die christlichsoziale Regierung nahm das zehnjährige Bestehen der Republik zum Anlass für zahlreiche offizielle Veranstaltungen. Die Ringstraße wurde jedoch zur Aufmarschzone der sozialdemokratischen Arbeiterschaft und das Denkmal der Republik, das ausschließlich sozialdemokratische Persönlichkeiten würdigte, wurde neben dem Parlament enthüllt. Nach der Ausschaltung des Parlaments im Jahr 1933 nützte die Sozialdemokratie den Tag, um das Demonstrationsverbot mit einem„Spaziergang“ am Ring zu umgehen, bei dem es zu Massenverhaftungen kam. Nach dem Bürgerkrieg im Februar 1934 wurde schließlich der 12. November als Staatsfeiertag beseitigt und stattdessen der 1. Mai zum Feiertag proklamiert. Damit wurde die Republik auch symbolisch zu Grabe getragen.

Bibliografie 

Hanisch, Ernst: Das Fest in einer fragmentierten politischen Kultur: Der österreichische Staatsfeiertag während der Ersten Republik, in: Lehnert, Detlef (Hrsg.): Politische Teilkulturen zwischen Integration und Polarisierung. Zur politischen Kultur in der Weimarer Republik, Opladen 1990, 43-60.

Köstenberger, Julia: 12. November – Gedenktag der Republik. Ein verlorener Staatsfeiertag, in: Karner, Stefan (Hrsg.): Österreich – 90 Jahre Republik. Beitragsband der Ausstellung im Parlament. Innsbruck, Wien u.a. 2008, 609-620

 

Zitate:

„man dem Ansturme der kommunistischen Bewegung ...": Wiener Zeitung vom 12.11.1919, 1, zitiert nach:  Köstenberger, Julia: 12. November – Gedenktag der Republik. Ein verlorener Staatsfeiertag, in: Karner, Stefan (Hrsg.): Österreich – 90 Jahre Republik. Beitragsband der Ausstellung im Parlament. Innsbruck, Wien u.a. 2008, 609-620

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    Nach dem Krieg

    Mit dem Ersten Weltkrieg ging das „lange 19. Jahrhundert“ zu Ende. An die Stelle der monarchischen Imperien traten neue politische Player. Die k. u. k. Monarchie zerfiel in einzelne Nationalstaaten. Im November 1918 wurde die Republik Deutschösterreich proklamiert, im Oktober 1920 Österreich als Bundesstaat errichtet. Die Jahre nach dem Krieg waren überaus bewegt: Sie changierten in einem Spannungsverhältnis von Aufbruch und Niederlage, zwischen politischen, wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Errungenschaften und Rückschlägen.

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