Bis zum Jahr 1928 gab es bezeichnenderweise kein Denkmal, das an den 12. November 1918 erinnerte. Das 1926 von bürgerlicher Seite errichtete Lueger-Denkmal bewog die Sozialdemokraten dazu, einen „eigenen“ Gedächtnisort zu schaffen.
Durch eine Initiative der sozialdemokratischen Partei und der freien Gewerkschaften wurde 1928 im Rahmen der 10-Jahr-Feiern neben dem Parlament an der Ringstraße ein Denkmal enthüllt. Dass hier ein Erinnerungsort der Sozialdemokratie errichtet wurde, war schon an den dargestellten drei sozialdemokratischen Politikern abzulesen: Jakob Reumann, Wiens erster sozialdemokratischer Bürgermeister, Ferdinand Hanusch, Staatssekretär für soziale Fürsorge und der Parteigründer Victor Adler. Die Arbeiter-Zeitung verlautbarte dazu: „Wir, wir allein sind die Schöpfer, die Gründer dieser Republik! (...) In der Mitte der Stadt, wo die Denkmäler der habsburgischen Kaiser und ihrer Heerführer stehen, wird die sozialdemokratische Arbeiterschaft morgen das Denkmal unserer großen Vorkämpfer enthüllen. (...) Die Republik war unser. Unser wird sie werden.“
Im Bürgerkrieg des Jahres 1934, und zwar am 13. Februar, wurde das Denkmal mit Kruckenkreuzfahnen verhüllt und mit den Porträts von Engelbert Dollfuß, Emil Fey und Ernst Rüdiger Starhemberg versehen, was eine sichtbare Eroberung des symbolischen Raumes durch den autoritären Ständestaat darstellte. Dass es hier um den Akt der Verhüllung und die damit verbundene „Okkupation“ ging, zeigte sich auch, als wenige Wochen später das Denkmal komplett abgetragen wurde. Am 12. November 1948 wurde es in restaurierter Form wieder neu aufgestellt. Ein Sprengstoffanschlag 1961 an der Rückseite des Denkmals blieb bis heute ungeklärt.
Am 12. November 1968 begingen erstmals in der Zweiten Republik beide Parteien gemeinsam den Gedenktag: ÖVP-Bundeskanzler Josef Klaus und Bundespräsident Franz Jonas (ein Sozialdemokrat) gedachten der Republikgründung mit einer Kranzniederlegung – allerdings nicht am Republikdenkmal, sondern im Weiheraum des äußeren Burgtors. Das Republikdenkmal war und ist nach wie vor kein überparteilicher Gedächtnisort der Republik – dieser existiert nicht –, sondern bleibt parteipolitisch besetzt.
Für Wirbel sorgten auch die Straßenumbenennungen. 1919 wurde beispielsweise ein Teil der Ringstraße (vormals Franzensring) in „Ring des 12. November“ umbenannt. Diese und andere Änderungen sorgten für wütende Proteste in der christlichsozialen Reichspost: „Zu den alten Wiener Straßen, die vom sozialdemokratischen Gemeinderat dazu verurteilt sind, einen anderen Namen zu erhalten und damit das postalische Chaos vermehren zu helfen, gehört auch die Ober-St. Veiter Amalienstraße. (...) Es ist himmelschreiend, daß die Herren Sozialdemokraten ja wenig soziales Empfinden und den Mut aufbringen, in ihrem Fanatismus für eine so unfruchtbare Sache, wie es diese Straßenumtaufe ist, Geld zu verschwenden.“ Dieser Einwand hielt die Christlichsozialen ihrerseits nicht davon ab, 1934 eine Umbenennung des Abschnitts vor dem Parlament in „Dr. Ignaz Seipel-Ring“ vorzunehmen. Danach wechselte die symbolgeladene Ringstraße (bzw. Abschnitte davon) noch mehrfach den Namen, heute trägt der Teil vor dem Parlament den Namen des ehemaligen Staatskanzlers und Bundespräsidenten Dr. Karl Renner.
Dass Straßenumbenennungen auch heute noch hohen Symbolgehalt haben und mit ähnlichen Argumenten und Emotionen diskutiert werden, zeigen die Debatten um den ehemaligen Dr.-Karl-Lueger-Ring vor der Universität, der seit 2012 den neutralen Namen „Universitätsring“ trägt.
Denkmal der Republik. Unter: http://www.demokratiezentrum.org/index.php?id=229 (20.06.201)
Reisacher, Martin: Die Konstruktion des „Staats, den keiner wollte“. Der Transformationsprozess des umstrittenen Gedächtnisorts „Erste Republik“ in einen negativen rhetorischen Topos. Diplomarbeit Wien 2010. Unter: http://othes.univie.ac.at/10190/1/2010-06-07_0252520.pdf (20.06.2014)
Republik-Denkmal. Unter: http://austria-forum.org/af/AEIOU/Republik-Denkmal (20.06.201)
Zitate:
„Wir, wir allein sind die Schöpfer ...": Arbeiter-Zeitung vom 11.11.1928, 4, zitiert nach: http://www.oeaw.ac.at/cmc/schafftwissen/erste_republik/repREF/0120/0120a.html (20.6.2014)
„Zu den alten Wiener Straßen ...": Reichspost 14.11.1919, 5f. Unter: http://anno.onb.ac.at/cgi-content/anno?aid=rpt&datum=19191114&zoom=33 (20.6.2014)
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Kapitel
- Der 12. November 1918 als Erinnerungsort
- Der neue Staat sucht seinen Feiertag: Der 12. November als Schauplatz politischer Trennlinien
- Österreich, ein Land ohne Hymne
- Umkämpfte Zonen: Denkmäler und Straßennamen
- Mythen und Narrative: „Der Rest ist Österreich!“ ... oder so ähnlich
- Mythen und Narrative: „Der Staat wider Willen“ und „Der Staat, den keiner wollte“
- Kein Auftrag und trotzdem Erbe: Die Habsburger in Österreich nach 1918