Die Vereinnahmung der Kinder für die Kriegsarbeit

Mittels Propaganda wollte man Kinder auch als Arbeitskräfte gewinnen. In zahlreichen Appellen, Aufrufen und Kriegsplakaten wurden Kinder aufgefordert, ihre Arbeitsleistung, Zeit und Energie in den Kriegsdienst zu stellen und damit ihren Beitrag zum Gewinn des Krieges zu leisten.


 

Die Tätigkeiten, zu denen die Kinder herangezogen wurden, waren vielfältig und reichten von freiwilligen Einsätzen bis zu verordneten Zwangsleistungen. Dazu gehörten sogenannte „Patriotische Sammlungen“ wie das Zusammentragen von Naturalien (Grassamen, Nesseln, Beeren und Beerenblätter zur Herstellung von Tees, etc.), von Materialen zur Wiederverwertung (Altpapier, Zinn- und Bleiabfälle, Wäschesammlungen, Kriegsmetallsammlungen) oder Geldsammlungen für die Zwecke des Roten Kreuzes. Darüber hinaus wurden Kinder aufgefordert, sich an Spendenaufrufen, Aktionen wie „Gold gab ich für Eisen“, der Verrichtung von Labdiensten an Bahnhöfen, dem Versand von „Liebesgaben“ an die Front oder deren Verteilung in Lazaretten, der Verwundetenpflege, Ernte- und Aufforstungsarbeiten, landwirtschaftlichen Arbeiten, Botendiensten für verschiedene Ämter und vielem mehr zu beteiligen.

Die Sammelaufrufe gewannen mit Fortdauer des Krieges an Bedeutung und waren in allen Kronländern sehr erfolgreich. Ein Grund dafür war, dass die Schulen tatkräftig zur Mobilisierung der Kinder beitrugen. Bereits im Sommer 1914 ordnete das k. k. Ministerium für Kultus und Unterricht verschiedene Maßnahmen an, um die Schuljugend zu gemeinnützigen Tätigkeiten heranzuziehen. Teilweise wurden die Unterstützungstätigkeiten in einzelnen Schulen organisiert, andere Aktionen wurden überregional verordnet. Zur Institutionalisierung und Koordinierung der patriotischen Initiativen schuf das k. k. Kriegsministerium gemeinsam mit dem k. k. Ministerium für Kultus und Unterricht das Kriegsfürsorgeamt, welches Spendenaufrufe, Sammeltätigkeiten und die Verarbeitung der Rohmaterialien organisierte. Diese Zusammenarbeit machte die Sammelaktionen zu einem flächendeckenden Erfolg.

Letzterer war aber auch der großen Sammel- und Arbeitsbereitschaft der Kinder und Jugendlichen geschuldet. Ihre Kriegsbegeisterung und Mitarbeit an den Aktionen resultierte aus der intensiven Propaganda, der sie ausgesetzt waren – wie dem Patriotismus der LehrerInnen, dem vaterländischen Unterricht und der Kriegsverherrlichung in Schulbüchern und Liedern. Gegenüber ihren Eltern wurden Kinder zu Botschaftern der Kriegsideologie und motivierten diese, die Sammelaktionen ebenfalls zu unterstützen. Dabei wurde die Konkurrenz zwischen den Kindern bewusst geschürt. Ihre Sammelergebnisse konnten sie in einem in der Schule aufliegenden Sammelbuch eintragen. Besonders fleißige Mädchen und Jungen erhielten eine Belohnung, beispielsweise einen eisernen Erinnerungsring im Rahmen der Aktion „Gold gab ich für Eisen“.

Die Mobilisierung der Kinder zeigte ihre große Wirkung mehrheitlich in der ersten Kriegshälfte. Je drängender Hunger und Mangel jedoch wurden, umso geringere Erfolge erzielten die Sammelaufrufe in der Zivilbevölkerung. „Patriotischen Aktionen“ wurde unter Zwang erwirkt und gingen unter völligem Raubbau der kindlichen Gesundheit vonstatten.

 

Bibliografie 

Audoin-Rouzeau, Stephane: Kinder und Jugendliche, in: Hirschfeld, Gerhard/Krumeich, Gerd/Renz, Irene (Hrsg.): Enzyklopädie Erster Weltkrieg, Paderborn/München/Wien/Zürrich 2009, 135-141

Gestrich, Andreas: “Leicht trennt sich nur die Jugend vom Leben” – Jugendliche im Ersten Weltkrieg, in: Spilker, Rolf/Ulrich, Bernd: Der Tod als Maschinist. Der industrialisierte Krieg 1914-1918. Eine Ausstellung des Museums Industriekultur Osnabrück im Rahmen des Jubiläums „350 Jahre Westfälischer Friede“ 17.Mai – 23.August 1998, 32-45

Hämmerle, Christa: Von „patriotischen“ Sammelaktionen, „Kälteschutz“ und „Liebesgabe“ – die „Schulfront“ der Kinder im Ersten Weltkrieg, in: Beiträge zur historischen Sozialkunde (1994) 1, 21-29

Healy, Maureen:Vienna and the Fall of the Habsburg Empire. Total War and Everyday Life in World War I, Cambridge 2004, 211-257

Inhalte mit Bezug zu diesem Kapitel

Aspekt

Personen, Objekte & Ereignisse

Entwicklungen

  • Entwicklung

    Alltag an der (Heimat) Front

    Wie gestaltete sich der Alltag in der Heimat und an den Fronten während der Jahre 1914 bis 1918? Lässt sich der Alltag einer bürgerlichen Frau mit jenem einer Arbeiterin vergleichen? Machte ein Offizier dieselben Fronterfahrungen wie ein Mannschaftssoldat? Oder müssen wir nicht eher davon ausgehen, dass wir es mit einer immensen Fülle an Einzelerlebnissen und -erfahrungen zu tun haben, die den Kriegsalltag der Bevölkerung und der Soldaten an den Fronten prägten?