Der Erste Weltkrieg – Ein Kinderspiel
Je wahrnehmbarer der Krieg im kindlichen Alltag wurde, desto präsenter wurde er auch in Kinderspielen. Die Militarisierung prägte die Kinderspiele, auch in den Kinderzimmern wurde aufgerüstet. Insbesondere Rollenspiele förderten die emotionale Verbundenheit mit den Kriegszielen, Gesellschaftsspiele vermittelten propagandistische Botschaften.
Die Spielindustrie reagierte schnell auf die anfängliche Kriegsbegeisterung. Aufbauend auf die lange Tradition von Kriegsspielzeug und Strategiespielen prägte das Thema Krieg die meisten Neuerscheinungen und Neuauflagen in den Jahren 1914–1916. Bleisoldaten, Schützengräben und Kanonen, Gefangenentransporte und Lazarette in Miniatur zogen in die Kinderzimmer ein. Vorhandene Spiele wurden neu aufgelegt, sodass Grafik und Erzählung einen klaren Kriegsbezug aufwiesen. Besonders evident war die Adaptierung von Gesellschaftsspielen, in denen nun etwa Schlachten nachgespielt wurden.
Die kriegerische Ausrichtung der Spiele erfüllte eine klare erzieherische Funktion: Grafik, Terminologie und Gestaltung der Spielfiguren sollten eine neue Weltordnung und Geschichtsdarstellung vermitteln, das Kriegsgeschehen wurde ästhetisiert, Soldaten als heroische Vorbilder gezeigt und Tugend, Pflicht und Gehorsam als zentrale Werte vermittelt. Kurzreime und Parolen dienten der emotionalen Verinnerlichung von Vaterlandstreue und Patriotismus, Schlachten- und Belagerungsspiele verharmlosten Kampfhandlungen, Kartenspiele wie das „Weltkriegsquartett“ vermittelten technisches und militärisches Wissen und Illustrationen verfestigten Feindbilder.
Spielend eigneten sich die Kinder Freund-Feind-Konstellationen an, prägten sich rassistische Stereotype ein und übten Feindschemata. Während feindliche Nationen als Witzfiguren herabgesetzt wurden, glorifizierten die Spiele die eigenen Truppen und Verbündeten.
Mit Ausbruch des Krieges beherrschte das Kriegsthema auch die kindlichen Rollenspiele, die von militärischem Vokabular durchdrungen waren. In allen gesellschaftlichen Kreisen beliebt und häufig in patriotischen Vereinigungen oder Jugendwehren staatlich organisiert, waren Kriegsspiele im Freien. Mit dem Ziel, den Krieg möglichst realistisch nachzustellen, bewaffneten sich Kinder mit Eisenstangen, Schleudern und Messern, bauten Schützengräben und stürmten mit aller Gewalt gegen ‚feindliche Truppen’ an. Häufig wurde der Krieg mit einer solchen Intensität (nach-)gespielt, dass die Aktionen in Massenprügeleien ausarteten. Jedenfalls wurde hier die schulische Indoktrinierung durch körperliche Realisierung vertieft.
Durch die Verbindung von Erzählung, Gestaltung und Spielregeln konnten suggestive Botschaften übermittelt werden, die durch das Spielen und den spielinhärenten Ehrgeiz intensiviert aufgenommen wurden. Spielerisch entwickelten Kinder eine Begeisterung für das Soldatische, übten die militärische Terminologie und verinnerlichten ideologische Konzepte.
Mit Fortdauer des Krieges ging das Interesse an Kriegsspielzeug zurück und Kriegsspiele verschwanden zunehmend aus den Regalen. Stattdessen erschienen abstraktere Spiele, die weniger den Krieg zum Thema machten und auf militärische Grafik und kriegerische Sujets verzichteten. Als der Krieg überall greifbar, fühlbar und unübersehbar wurde, ging die spielerische Freude am Krieg verloren.
Demm, Eberhard: Deutschlands Kinder im Ersten Weltkrieg. Zwischen Propaganda und Sozialfürsorge, in: Militärgeschichtliche Zeitschrift (2001), 60, 51-79
Hoffmann, Heike: „Schwarzer Peter im Weltkrieg“. Die deutsche Spielwarenindustrie 1914-1918, in: Hirschfeld, Gerhard et al. (Hrsg.): Kriegserfahrungen. Studien zur Sozial- und Mentalitätsgeschichte des Ersten Weltkriegs, Essen 1997, 323-335
Strouha, Ernst: Spiel und Propaganda. Antisemitismus, Krieg und Ideologien in Gesellschaftsspielen 1900 -1945, in: Ausstellungskatalog Spiele der Stadt. Glück, Gewinn und Zeitvertreib, Wien/New York 2013, 136-145