Die Generalmobilmachung von Mädchen für die ‚weibliche Kriegsarbeit‘

Die Mobilisierung von Kindern zur kriegsunterstützenden Arbeit setzte bereits im Sommer 1914 ein. Buben und Mädchen sollten gleichermaßen ihren Beitrag zum ‚Erreichen der Kriegsziele‘ leisten. Darüber hinaus wurden Tätigkeiten propagiert, die dem weiblichen Geschlecht zugeschrieben wurden – wie die Herstellung von sogenannten „Liebesgaben“ und von „Kälteschutz“ für die Soldaten an der Front.
 

Als „Liebesgaben“ wurden Päckchen bezeichnet, die üblicherweise kurz vor Weihnachten an die Soldaten im Feld geschickt wurden und neben Büchern, Zigaretten, Seife und Schokolade auch handgefertigte Strick- und Wollsachen enthielten. In zahlreichen Appellen forderte das Kriegsfürsorgeamt in Zusammenarbeit mit den Schulbehörden die Mädchen dazu auf, Wäsche, Strümpfe und andere Kleidungsstücke herzustellen. An diesen Aktionen, wie der „Kälteschutz-Hilfsaktion“, beteiligten sich neben Schülerinnen auch Erzieherinnen, Frauenvereine, das Rote Kreuz und andere karitative Organisationen. In Wien errichteten Vereine der bürgerlichen Frauenbewegung in Zusammenarbeit mit der Militärbehörde Strick- und Nähstuben, in denen arbeitslos gewordene Frauen (bedingt durch die Umstellung auf Kriegswirtschaft und die zahlreichen Entlassungen von Dienstbotinnen) „Kälteschutz“ für die Soldaten anfertigten.

Die Schulen unterstützten die Regierungsbehörden bei der überregionalen Koordinierung der Liebesgaben und richteten den Unterricht über weite Strecken auf kriegsbezogene Tätigkeiten aus. Außerhalb des Unterrichts übernahmen patriotische Vereine die Organisation der weiblichen Kriegsarbeit.

Die Handarbeiten hatten neben dem direkten Nutzen für die kriegswirtschaftliche Planung auch eine klare erzieherische Funktion. Durch die Einbeziehung in die kriegsunterstützende Arbeit sollten die Mädchen ein patriotisches Zugehörigkeitsgefühl entwickeln. Laut Propaganda sollte die Handarbeit den Mädchen die Möglichkeit geben, ihren Patriotismus unter Beweis zu stellen und dabei ihre geschlechtsspezifische Rolle als aufopfernde, helfende Frau zu erlernen.

Die ‚Generalmobilmachung‘ der weiblichen Bevölkerung verlief vor allem in den ersten Kriegsjahren, in denen noch genügend Rohmaterialien zur Verfügung standen, erfolgreich. Zeitungen berichteten mit Pathos von dutzenden strickenden Mädchenklassen, die aus patriotischer Überzeugung und mit nicht enden wollendem Fleiß „ihren Beitrag zum Gelingen des Krieges leisteten“.

Viele Mädchen beteiligten sich an den Hilfsaktionen auch deshalb, weil die Militär- und Schulbehörden an ihre patriotische Leidenschaft und an ihr Pflichtgefühl appellierten. Mit dem Bild des frierenden Soldaten wurde das Verantwortungsgefühl der Mädchen angesprochen und der Eindruck vermittelt, dass sie durch Stricken und Nähen Schutz und Wärme stiften könnten.

Darüber hinaus verband der zeitgenössische Diskurs die Arbeiten der Frauen und Mädchen mit Liebe und stilisierte ihre Handarbeit zu „Liebesgaben“. Durch diese Koppelung der weiblichen Kriegsarbeit mit der Liebe zum Vaterland, zu den eingezogenen Verwandten und Freunden wurde ihre handwerkliche Tätigkeit idealisiert. Verstärkt wurde dies, indem die Kinder ihren Paketen Korrespondenzkärtchen beilegen und so direkt mit den Soldaten an der Front in Kontakt treten konnten. Hier wurde der anonyme Soldat zu einer greifbaren individuellen Person, mit der sich die Kinder emotional verbunden fühlten.

Bibliografie 

Demm, Eberhard: Deutschlands Kinder im Ersten Weltkrieg. Zwischen Propaganda und Sozialfürsorge, in: Militärgeschichtliche Zeitschrift (2001), 60, 51-79

Hämmerle, Christa: Von „patriotischen“ Sammelaktionen, „Kälteschutz“ und „Liebesgabe“ – die „Schulfront“ der Kinder im Ersten Weltkrieg, in: Beiträge zur historischen Sozialkunde (1994) 1, 21-29

Hämmerle, Christa: „Wir strickten und nähten Wäsche für Soldaten…“ Von der Militarisierung des Handarbeitens im Ersten Weltkrieg, in: L´Homme. Zeitschrift für Feministische Geschichtswissenschaft (1992) 1, 88-128

Heckmann, Gerhard: Das zweite Heer des Kaisers. Schule und Jugend im Krieg, in: Als der Krieg über uns gekommen war…“ Die Saarregion und der Erste Weltkrieg. Katalog zur Ausstellung des Regionalgeschichtlichen Museums im Saarbrücker Schloß. Saarbrücken 1993, 141-155

 

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