Gebrochene Helden versus Heldenverehrung
Spätestens mit Kriegsende wurden die Folgen des jahrelangen Kampfes für alle ersichtlich. Versehrte mussten in die Nachkriegsgesellschaft integriert werden. Auch der Film dokumentierte nun die invaliden Opfer des Krieges. Der Heldenverehrung tat dies allerdings keinen Abbruch. Nahezu jede und jeder war persönlich betroffen, wollte den verlorenen Angehörigen zumindest den „Heldenstatus“ erhalten. Parteiische Kriegsfilme hatten daher in der Zwischenkriegszeit großen Zulauf, die Aufführung von Antikriegsfilmen wurde hingegen von Protesten begleitet.
Die bisweilen zur Schau gestellte Kriegsbegeisterung wich bald den ernüchternden Fronterlebnissen. Von den mehr als 65 Millionen mobilisierten Soldaten fielen im Ersten Weltkrieg 8,5 Millionen, davon 1,8 Millionen deutsche, 1,7 Millionen russische, 1,4 Millionen französische und 1,2 Millionen österreichisch-ungarische Heeresangehörige. Speziell das Sterben der eigenen Soldaten wurde von Anfang an weitestgehend aus dem Bewusstsein verdrängt. Ebenso verhielt es sich mit den Kriegsversehrten, die mitunter dazu angehalten wurden, ihre Verletzungen nicht in der Öffentlichkeit zu zeigen.
Am Ende des Krieges war jedoch die Realität allgegenwärtig. 21 Millionen Verwundete – knapp 4 Millionen davon aus der Donaumonarchie – stellten jahrzehntelang eine Herausforderung für das soziale Netz der Nachkriegsgesellschaften dar und machten gleichzeitig die Folgen des vierjährigen „Massenschlachtens“ sichtbar. Nun hatte auch die filmisch inszenierte „heile Welt“ ein Ende gefunden. Der Film „Defilee von österreichischen Kriegsinvaliden im Ersten Weltkrieg“ (A ca. 1918) präsentiert berührende Aufnahmen von versehrten Soldaten in Wien. Der Film wirft aber auch Fragen auf: Einige Männer sind aufgrund ihres Alters sicher nicht mehr in den Gefechten im Einsatz gewesen. Zudem tragen eben diese Soldaten einen „Franz-Joseph-Bart“. Ob es sich hierbei um eine Kritik an den konfliktauslösenden Machthabern handelt oder ob diese Männer sinnbildlich für das Ende einer Ära stehen und hier entsprechend vorgeführt werden, bleibt offen.
Bald war jedoch ersichtlich, dass bei vielen Bevölkerungsteilen der Krieg, vielmehr aber noch die Helden unantastbar blieben. In der Zwischenkriegszeit wurde weiterhin soldatischen Tugenden gehuldigt und an die Vaterlandsliebe appelliert. Die Lust am Soldatenspiel und an Uniformen fand in den 1930er Jahren neuerlich verstärkten Widerhall in der deutschsprachigen Filmproduktion. Es war dies neuerlich Ausdruck einer tiefgreifenden Militarisierung der Gesellschaft. Appelle und Aufmärsche der Wehrverbände sowie rituelle Gedenkfeierlichkeiten für die Helden des Ersten Weltkrieges waren Teil der Selbstinszenierung des Austrofaschismus.
Ein besonderes Augenmerk legte man auf die militärische Gesinnung der Jugendlichen. In den neuen Geschichtsbüchern wurden die Werte „Führertum“, „Heldenmut“, „Wehrhaftigkeit“, „Opferbereitschaft und Hingabe“ besondert betont. Die mentale Aufrüstung der Jugend konnte und sollte durch adäquate Kriegsfilme gefördert werden. Die deutsche Ufa-Filmgesellschaft hatte sich unter der Führung des konservativen und deutschnationalen Industriellen Alfred Hugenberg auf die Produktion heroischer Kriegsdramen spezialisiert. Filme wie „Morgenrot“ (D 1933), „Flüchtlinge“ (D 1933) oder „Standschütze Bruggler“ (D 1936) setzten auf unabdingliche Tapferkeit, soldatische Kameradschaft und dumpfe Todesmystik. Proteste sozialdemokratischer und kommunistischer Kräfte gegen diese filmische Bewerbung des „imperialistischen Krieges“ blieben ohne Folgen. Das rechte, konservative und deutschnationale Lager konstatierte den Filmen hingegen einen „ethisch belehrenden Charakter“.
Heftige Diskussionen, Krawalle und Verbote lösten Filme aus, die sich dem Thema Krieg komödiantisch oder gar pazifistisch näherten. Vor allem tschechoslowakische Produktionen enthielten sich nicht nur jeder Glorifizierung der Habsburgermonarchie, sie ließen zudem gern groteske und tölpelhafte Figuren der einstigen k. u. k. Armee in Erscheinung treten. Für die österreichischen Behörden und Militärverbände stellten daher Filme wie „Der falsche Feldmarschall“ (D/CSR 1930) oder „Ich und der Kaiser“ (CSR 1933) ein ständiges Ärgernis dar. Obwohl Schwänke dieser Art beim Publikum durchaus Anklang fanden, lösten inszenierte Proteste bei Kinovorführungen das Verbot so mancher k. u. k.-kritischen Komödie aus.
Ausschreitungen brachten auch den Antikriegsfilm „Im Westen nichts Neues“ (USA 1930) zu Fall. Schon im Vorfeld hatte der damalige Nationalratsabgeordnete der Christlichsozialen Partei und spätere Bundeskanzler Kurt Schuschnigg erklärt, dass ein Verbot des Films „eine Frage der moralischen, vaterländischen und nationalen Anständigkeit“ sei. Aufführungen in Wien hatten Sachbeschädigungen und Verletzte zur Folge. Fensterscheiben wurden eingeschlagen, Straßenbahngarnituren beschädigt, Stinkbomben geworfen, auf den Straßen fielen Schüsse. Schließlich untersagte die Wiener Polizei am 8. Jänner 1931 jede weitere Vorführung des Films. Die Sinnhaftigkeit des Ersten Weltkrieges und damit den Verlust bzw. den „heldenhaften Tod“ eigener Familienmitglieder wollten weite Bevölkerungskreise nicht hinterfragt wissen.
Leidinger, Hannes/Moritz, Verena/Moser, Karin: Österreich Box 1: 1896–1918. Das Ende der Donaumonarchie, Wien 2010
Moritz, Verena: Krieg, in: Moritz, Verena/Moser, Karin/Leidinger, Hannes: Kampfzone Kino. Film in Österreich 1918–1938, Wien 2008, 255-276
Moser, Karin: Der „gute“ Film, in: Moritz, Verena/Moser, Karin/Leidinger, Hannes: Kampfzone Kino. Film in Österreich 1918–1938, Wien 2008, 350-386