Die Helden hinter der Kamera
Die Filmberichterstatter des Ersten Weltkriegs, egal auf welcher Seite sie im Einsatz waren, hatten mit den gleichen Problemen zu kämpfen: Die Produktion authentischer Kampfbilder erwies sich als schwierig, wenn nicht unmöglich. Die Kameras waren schwer und unbeweglich, Teleobjektive praktisch unbekannt, das Filmmaterial war wenig lichtempfindlich, sodass in der Dämmerung oder bei Nacht, wenn viele Kampfhandlungen stattfanden, kaum Aufnahmen möglich waren.
Mit Akribie verfolgte das Kriegspressequartier die Propagandatätigkeit des verbündeten Deutschen Reichs wie auch der gegnerischen Entente. Vor allem den „Leitartikel-Films“ der feindlichen Mächte wollte man entsprechende Streifen entgegensetzen.
Der britische Propagandafilm „The Battle of the Somme“ (GB 1916) hinterließ bei den Mittelmächten einen nachhaltigen Eindruck. Die Aufnahmen waren überwiegend an den Schauplätzen der Schlacht aufgenommen worden, nur wenige Szenen wurden inszeniert. Tote Soldaten waren erstmals per Filmkamera festgehalten worden, die Bilder waren authentisch. „The Battle of the Somme“ wurde von der deutschsprachigen Presse als „roher Schlachtenfilm“ wahrgenommen. Trotzdem ist der Streifen fern der Realität – ein militärisches Desaster wurde geschickt in einen Erfolg umgewandelt.
Umso mehr erkannte man die Wirkungskraft gezielt inszenierter Bilder. In Pressemeldungen rühmte sich die k. u. k. Filmstelle, nur „authentisches Material“ und keinesfalls gestellte Aufnahmen zum Einsatz zu bringen. Die Filmoperateure wurden als wagemutige Helden präsentiert: „Die Filmtrupps, kleine, gut ausgerüstete Kommandos, unter Führung eines Offiziers, haben den Befehl, unbedingt an die vorderste Linie heranzugehen, um an Ort und Stelle der Kämpfe kinematographische Aufnahmen zu machen. (…) Es wird angestrebt, Kampfhandlungen auf dem Gefechtsfelde selbst und im Bereiche der feindlichen Feuerwirkung aufzunehmen. Den Wagemut der österreichischen Aufnahmeoperateure kann oft nur der ausdrückliche Befehl des Gefechtsleiters brechen, einen gewählten Standort zu verlassen, weil bei der unvermeidlichen Exponierung des Apparates die Konzentration des feindlichen Feuers auf das vermeintliche Maschinengewehr verhindert werden muss. So sind denn auch leichtere und schwerere Verwundungen der k. u. k. Filmoperateure nichts seltenes.“ („Der österreichische Komet“, Nr. 429, 1918)
Die Realität sah jedoch meist anders aus. Sascha Kolowrat hatte schon bald erkannt, dass militärische Aktionen auf der Leinwand weit weniger eindrucksvoll erschienen als in der Wirklichkeit. Kurzerhand beschloss er daher, dramatische Handlungen zu inszenieren: Für den Durchmarsch einer Maschinengewehrabteilung durch ein Seengebiet fingierte er Feindbeschuss, indem er Dutzende blinder Handgranaten zünden ließ. Die so entstehenden Wasserfontänen und der einsetzende Schlammregen, zwischen denen sich die Packpferde aufbäumten, wirkten auf das Publikum realer, als es authentische Bilder imstande gewesen wären. Die Aufnahmen sind der Nachwelt leider nicht erhalten geblieben.
Doch nicht immer waren derartige „Reenactments“ so wirkungsvoll. Erfahrene Fronttruppen erkannten oft schnell, dass die gezeigten Bilder „falsch“ waren. Die Filmpropaganda befand sich in einem Dilemma: Die Soldaten reagierten befremdet, wenn die Kameraleute Feuerbereiche mieden und lediglich Aufnahmen vom „leichteren Leben“ im Etappenraum machten. Nicht selten verleiteten derart gestellte Szenen das Publikum der Feldkinos zu herzhaften Lachausbrüchen.
Fiktionale und nichtfiktionale Szenen folgen oftmals aufeinander und lassen sich nicht immer streng trennen. Die Verursacher dieser Bilder, die Kinooperateure selbst, kamen nur selten ins Bild. Im Streifen „Die zehnte Isonzoschlacht“ (A 1917) sind die Männer hinter der Kamera einmal kurz dokumentiert: Der Filmausschnitt zeigt die Montage eines Kinematographen am Kriegsflugzeug K 210 sowie einen Flug über Triest. Zu sehen ist zudem mit Gottfried von Banfield ein „wahrer Kriegsheld“ – so wurde er zumindest medial präsentiert. Er war ab 1916 Kommandant der Segelflugstation Triest, die Angriffe gegen die italienischen Häfen und die Isonzofront flog. Er gilt als einer der erfolgreichsten Flieger der österreichisch-ungarischen Armee. Für seine militärischen Verdienste wurde er 1917 zum Maria-Theresien-Ritter und Freiherrn ernannt.
Krenn, Günter: Der bewegte Mensch – Sascha Kolowrat, in: Bono, Francesco/Caneppele, Paolo/Krenn, Günter: Elektrische Schatten. Beiträge zur österreichischen Stummfilmgeschichte, Wien 1999, 37-46
Rother, Rainer: Bei unseren Helden an der Somme. Eine deutsche Antwort auf die Entente-Propaganda, in: KINtop 4, Anfänge des dokumentarischen Films, Jahrbuch zur Erforschung des frühen Films, Basel/Frankfurt am Main 1995, 123-142