Flucht nach vorne

Eine neue politische Gangart in Wien

Um 1900 kam es zu einem Generationswechsel in der politischen Führung. Der alte Kaiser zog sich zunehmend aus der Tagespolitik zurück und wurde immer mehr auf eine Symbolfigur reduziert.

Mit Franz Joseph resignierte auch die bisherige politische Elite, die keine Lösungsvorschläge für die vielfältigen Probleme vorweisen konnte. Ein führender Vertreter der neuen Generation mit ihren oft radikalen Ansätzen war Thronfolger Erzherzog Franz Ferdinand, dessen Einfluss nun stärker wurde. Er entwickelte eine eigenständige Politik, die von einer Ablehnung des Dualismus geprägt war und in der Betonung des zentralstaatlichen Prinzips mit deutlich autoritärer Note einen Ausweg zu sehen glaubte. Persönlichkeiten aus dem Umfeld des Erzherzogs übernahmen nun Schlüsselpositionen und setzten auf eine Politik der Stärke.

So kam es auch zu einem Wechsel in der Außenpolitik, als der langjährige Außenminister Agenor Graf Gołuchowski 1906 von Aloys Lexa von Aehrenthal abgelöst wurde. Anders als bisher, als die Prämisse auf die Erhaltung des Status quo ausgerichtet war, sollte nun außenpolitische Aktivität als Katalysator für die innenpolitische Situation wirken. Man versuchte Stärke zu zeigen: Die Annexion von Bosnien-Herzegowina 1908 durch Österreich-Ungarn war allerdings ein Spiel mit dem Feuer auf dem „Pulverfass Balkan“. Dieser Schritt, der als Kampfansage an die serbischen Expansionsbestrebungen zu verstehen war, brachte der Monarchie die erbitterte Gegnerschaft Serbiens und dessen Verbündeten Russland ein.

Auch in der Armee kam eine neue Generation an die Hebel der Macht. 1906 wurde Franz Conrad von Hötzendorf (1852–1925) zum Generalstabschef der k. u. k. Armee berufen. Diese kontroversielle Gestalt war ein dezidierter Vertreter einer Offensivpolitik, die auf einen Präventivkrieg gegen Serbien (und eventuell auch gegen Italien) abzielte.

Diese offene Konfrontationspolitik wurde jedoch vom alten Kaiser und auch von den Spitzen der Politik wie dem ungarischen Ministerpräsident Tisza und Außenminister Aehrenthal, der 1911 die Absetzung Conrads durchsetzen konnte, abgelehnt.

1912 kam es durch den Tod Aehrenthals zu einem nochmaligen Wechsel an der Spitze der Politik. Das Außenamt wurde von Leopold Graf Berchtold übernommen, dessen Balkanpolitik den Großmachtbestrebungen Serbiens Einhalt gebieten wollte – selbst auf die Gefahr einer Konfrontation mit Russland. Conrad von Hötzendorf wurde neuerlich zum Leiter des Generalstabs der Armee ernannt. Stimmen, die eine Beruhigung des Verhältnisses zu Serbien einmahnten, blieben ungehört. Der Krieg wurde nun zu einer realistischen Option. Mit dem Attentat von Sarajevo am 28. Juni 1914 bot sich nun in den Augen der Kriegstreiber die ideale Gelegenheit für einen „Befreiungsschlag“. 

Bibliografie 

Beller, Steven: Franz Joseph. Eine Biographie, Wien 1997

Bihl, Wolfdieter: Der Erste Weltkrieg 1914–1918. Chronik – Daten – Fakten, Wien/Köln/Weimar 2010

Hanisch, Ernst: Der lange Schatten des Staates. Österreichische Gesellschaftsgeschichte im 20. Jahrhundert [Österreichische Geschichte 1890–1990, hrsg. von Herwig Wolfram], Wien 2005

Rauchensteiner, Manfried: Der Erste Weltkrieg und das Ende der Habsburgermonarchie 1914–1918, Wien u. a. 2013

Rumpler, Helmut: Eine Chance für Mitteleuropa. Bürgerliche Emanzipation und Staatsverfall in der Habsburgermonarchie [Österreichische Geschichte 1804–1914, hrsg. von Herwig Wolfram], Wien 2005

Inhalte mit Bezug zu diesem Kapitel

Aspekt

Personen, Objekte & Ereignisse

Entwicklungen

  • Entwicklung

    "Pulverfass Balkan"

    Der Niedergang des Osmanischen Reiches löste ein Machtvakuum aus, in das neue Kräfte stießen. Am Balkan entwickelte sich ein instabiles Wechselspiel zwischen den Interessen der Großmächte und den nationalen Programmen der erwachenden Völker in Südosteuropa.

  • Entwicklung

    Krieg als Lösung?

    Besonders intellektuelle Kreise, Schriftsteller, Künstler, Akademiker, Philosophen, Wissenschaftler usw. versprachen sich vom Krieg die Lösung vieler Probleme, mit denen die Monarchie zu kämpfen hatte. Sie betrachteten den Waffengang als Katharsis, als reinigende Kraft, als eine Chance zur Flucht aus einer geächteten und überdrüssig gewordenen Vorkriegswelt mit ihren scheinbar unlösbaren sozialen und nationalen Konflikten.