Spiel mit dem Feuer

Das Attentat auf den österreichischen Thronfolger am 28. Juni 1914 gilt gemeinhin als der Auslöser des Ersten Weltkrieges. Doch der kausale Zusammenhang ist bei Weitem nicht so eindeutig, wie es auf den ersten Blick scheint.

Als die Nachricht in Wien eintraf, löste dies Schock, aber zunächst keine Rachegefühle aus. Der ermordete Thronfolger war in der breiten Öffentlichkeit nicht besonders populär. Von einem sofortigen Vergeltungsschlag war also keine Rede.

Das Attentat, das von der Wiener Politik als Provokation Serbiens eingestuft wurde, bot sich aber als der letzte Puzzlestein in der Argumentationslinie der Kriegspartei innerhalb der österreichischen Politik an. Sie votierte für eine radikale Lösung des gärenden Konflikts mittels Gewalt. Die Schüsse von Sarajevo waren also nicht das Ergebnis einer scheinbar unausweichlichen Zuspitzung, zu der Österreich-Ungarn durch äußere Umstände gezwungen worden wäre, sondern in den Augen der Kriegsbefürworter ein willkommener Vorwand für die Realisierung lang gehegter Pläne für eine militärische Eskalation.

Die „Schuld“ für den Kriegsausbruch kann eindeutig bei den politischen Entscheidungsträgern der Habsburgermonarchie gesucht werden. Wien war bereit, einen Krieg zu beginnen mit der Intention, den Konflikt auf einer regionalen Ebene zu halten. Dass sich ein militärisches Vorgehen im schlimmsten Fall zu einem gesamteuropäischen Flächenbrand ausweiten könnte, wurde dabei in Kauf genommen, vor allem nachdem man sich der Rückendeckung Deutschlands versichert hatte. Das Risiko eines Weltkrieges wurde also bewusst eingegangen.

Entscheidungsträger in Armeekreisen und in der Diplomatie forderten seit langem eine militärische Aktion gegen Serbien. Einer der glühendsten Verfechter eines Präventivkrieges war Generalstabschef Conrad von Hötzendorf. Nach dessen Einschätzung hatte man die günstigsten Augenblicke für einen „Präventivschlag“ bereits versäumt. Während der bosnischen Annexionskrise 1908/09 oder der Balkankriege 1912/13, als Russland durch innere Unruhen und den Konflikt mit Japan geschwächt war, hätten in den Augen der Armeeführung die Chancen für die Monarchie deutlich besser gestanden. Nun befand sich Russland in einer massiven Aufrüstungsphase. Ein weiteres Zuwarten würde demnach nur den Gegnern Österreichs in die Hände spielen.

Daneben wurde auch mit der Verteidigung der „verletzten Ehre“ Österreichs bzw. der Dynastie argumentiert, was zum Beispiel bei Kaiser Franz Joseph gegriffen haben dürfte. Demnach sei ein Exempel zu statuieren, denn einen österreichischen Thronfolger dürfe man nicht ungestraft erschießen. Man hoffte vor allem im Falle Russlands auch auf eine gewisse Solidarität zwischen den Monarchen, da ja auch der russische Zar energisch gegen anarchistische Strömungen im eigenen Land vorging. Diese Hoffnung erfüllte sich jedoch nicht.

Es war dies nur eine von vielen Fehleinschätzungen: Wider besseres Wissen gab man sich in Wien der Illusion der eigenen Großmachtstellung hin. Hohles Machtgehabe und laute Drohgebärden sollten die Realität verschleiern, denn nüchtern betrachtet war Österreich-Ungarn weder politisch noch wirtschaftlich oder militärisch bereit für einen langwierigen Konflikt oder gar einen Mehrfrontenkrieg. Die Politik ignorierte alle Warnungen und ließ sich von der falschen Annahme leiten, dass der Krieg eine Angelegenheit einiger weniger Monate sein würde. Man war überzeugt, mit der Rückendeckung des starken Partners Deutschland rasch Fakten schaffen zu können für eine Neuordnung des Balkans im Sinne Österreichs. 

Bibliografie 

Bihl, Wolfdieter: Der Erste Weltkrieg 1914–1918. Chronik – Daten – Fakten, Wien/Köln/Weimar 2010

Hanisch, Ernst: Der lange Schatten des Staates. Österreichische Gesellschaftsgeschichte im 20. Jahrhundert [Österreichische Geschichte 1890–1990, hrsg. von Herwig Wolfram], Wien 2005

Leidinger Hannes/Moritz, Verena: Der Erste Weltkrieg, Wien [u.a.] 2011

Rauchensteiner, Manfried: Der Erste Weltkrieg und das Ende der Habsburgermonarchie 1914–1918, Wien u. a. 2013

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  • Entwicklung

    Krieg als Lösung?

    Besonders intellektuelle Kreise, Schriftsteller, Künstler, Akademiker, Philosophen, Wissenschaftler usw. versprachen sich vom Krieg die Lösung vieler Probleme, mit denen die Monarchie zu kämpfen hatte. Sie betrachteten den Waffengang als Katharsis, als reinigende Kraft, als eine Chance zur Flucht aus einer geächteten und überdrüssig gewordenen Vorkriegswelt mit ihren scheinbar unlösbaren sozialen und nationalen Konflikten.