Am 23. Juli 1914 veröffentlichte die Regierung Österreich-Ungarns ein Ultimatum an Serbien, das konkrete Forderungen enthielt, um eine Eskalation zu verhindern. Bei genauer Betrachtung werden die Bemühungen Wiens offensichtlich, möglichst unannehmbare Bedingungen zu stellen.
Die Forderungen Österreichs bestanden aus sechs Punkten:
Von der serbischen Regierung wurde eine offizielle Distanzierung von der südslawischen Vereinigungspolitik gefordert, die auf einen Zusammenschluss aller Südslawen unter serbischer Führung abzielte und die territoriale Integrität Österreich-Ungarns in Frage stellte.
Weitere Punkte waren die Forderung nach einer Säuberung der serbischen Armee und Beamtenschaft von anti-österreichischen Agitatoren und die Unterdrückung der Österreich-feindlichen Propaganda in der serbischen Presse. In direktem Zusammenhang mit dem Attentat stand die Forderung nach einer Verfolgung von gegen Österreich operierenden extremistischen Geheimorganisationen.
Vor allem der sechste Punkt, in dem Wien auf einer Mitwirkung von österreichischen Beamten bei der Aufklärung des Attentates und der Verfolgung der politischen Drahtzieher auf serbischem Territorium bestand, wurde so formuliert, dass eine Ablehnung Serbiens zu erwarten war. Denn die Annahme dieser Bedingung hätte die staatliche Souveränität Serbiens verletzt.
Von Serbien wurde eine Reaktion binnen 48 Stunden verlangt. Bei Nicht-Eingehen auf die Forderungen von serbischer Seite wurde zunächst mit dem Abbruch der diplomatischen Beziehungen gedroht. Eine explizite Kriegsdrohung wurde nicht ausgesprochen, war aber der unausgesprochene nächste Schritt.
Die letzten naiven Hoffnungen, den Krieg auf einen lokalen Konflikt zwischen Serbien und Österreich beschränkt zu halten, wurden spätestens am 24. Juli, also noch vor dem Auslaufen der Frist des Ultimatums, enttäuscht, als in Russland, dem wichtigsten Bündnispartner Serbiens, die Teilmobilisierung angeordnet wurde. Spätestens jetzt war klar, dass jeder weitere Schritt zu einer Eskalation mit fatalen Folgen führen würde.
Am 25. Juli traf fristgerecht die Antwort Serbiens ein, das den Großteil der Forderungen bedingungslos akzeptierte; nur der letzte Punkt betreffend die Ermittlungen österreichischer Beamter auf serbischem Hoheitsgebiet wurde abgelehnt. Das weitreichende Entgegenkommen vonseiten Serbiens kam für Wien unerwartet. Die ablehnende Reaktion des österreichischen Außenministers bezüglich weiterer Verhandlungen machte offenkundig, dass Wien an einer diplomatischen Lösung nicht interessiert war.
Bihl, Wolfdieter: Der Erste Weltkrieg 1914–1918. Chronik – Daten – Fakten, Wien/Köln/Weimar 2010
Leidinger Hannes/Moritz, Verena: Der Erste Weltkrieg, Wien [u.a.] 2011
Rauchensteiner, Manfried: Der Erste Weltkrieg und das Ende der Habsburgermonarchie 1914–1918, Wien u. a. 2013