„Wenn die Monarchie schon zugrunde gehen soll, so soll sie wenigstens anständig zugrunde gehen.“ Dieser Kaiser Franz Joseph zugeschriebene Ausspruch wird oft stellvertretend für die allgemeine Erschöpfung der traditionellen Eliten der Habsburgermonarchie zitiert.
Die Führung Österreich-Ungarns befand sich in einem Dilemma. International wurde eine Reaktion auf die Schüsse von Sarajevo erwartet. Man war gezwungen, auf der Bühne der Großmachtpolitik Aktivität zu demonstrieren, um nicht selbst zum Spielball zu werden. Dabei war man sich in den inneren Zirkeln der Macht der eigenen Schwäche wohl bewusst: erhobenen Hauptes und mit offenen Augen in den Untergang zu gehen war hier Ausdruck eines elitären Zynismus und einer gewissen Todessehnsucht der erschöpften Eliten des alten Kaiserreiches.
Eine andere Art von Endzeitstimmung sprach aus der Deutung des Krieges als finalen, alles entscheidenden Kampf. Eine vulgäre Form des Sozialdarwinismus, die als Zeitphänomen in den Medien und Meinungen grassierte, legte das aus den boomenden Naturwissenschaften entliehene Prinzip des „Survival of the Fittest“ auf soziale und ethnische Gruppen um. Wien und Berlin sahen den Entscheidungskampf zwischen dem „Germanentum“ und dem „Slawentum“ bevorstehen und gefielen sich in der Rolle von Verteidigern eines (deutsch dominierten) Mitteleuropas vor den „Horden des Ostens“. Die Existenz der Habsburgermonarchie wurde als Bollwerk gegen das „panslawistische Russland“ und den „unzivilisierten Balkan“ interpretiert. Es herrschte in den politischen Zirkeln eine gefährliche Mischung aus imperialistischem Denken und deutschnationalem Chauvinismus.
Andere sahen in einer Flucht nach vorne die einzige Möglichkeit, dem drohenden Untergang zu entgehen. Der Krieg wurde hier als Fortsetzung der Politik mit anderen Mitteln, als „Befreiungsschlag“ verstanden, um dem Zusammenbruch und der Selbstauflösung zuvorzukommen. Die auf Eskalation abzielende Fraktion der österreichischen Politik besann sich auf das altbewährte Rezept, eine innere Krise durch einen einenden, gemeinsamen äußeren Feind zu überwinden – oder wie Generalstabschef Conrad von Hötzendorf es formulierte: „Nur eine aggressive Politik mit positiven Zielen vermag vor dem Untergang zu bewahren und Erfolg zu erzielen“.
Die sich durch einen Krieg bietende Chance einer Erneuerung der Monarchie sollte jedoch nach autoritären Grundsätzen erfolgen. Die allgemeine Kriegsbegeisterung und die kriegsbedingten Eingriffe in das politische System sollten demnach genutzt werden, um demokratische Prinzipien auszuhebeln. Das Sinnbild des mit einem Schwerthieb zu zerschlagenden „gordischen Knotens“ wurde für eine Lösung der angestauten Probleme mittels Gewalt bemüht.
Daraus spricht die Angst vor dem gesellschaftlichen Umbruch in Folge von Modernisierung und Fortschritt, die zu einer Auflösung von Bindungen und zu einer Hinterfragung traditioneller Systeme und Hierarchien geführt hatte. Denn der immer lauter werdende Ruf nach sozialen Reformen und Selbstbestimmung der Völker, Klassen, Gruppen und Individuen verunsicherte die bisher herrschenden Eliten.
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Zitat:
„Nur eine aggressive Politik..." Conrad von Hötzendorf, Franz, zitiert nach: Hanisch, Ernst: Der lange Schatten des Staates. Österreichische Gesellschaftsgeschichte im 20. Jahrhundert [Österreichische Geschichte 1890–1990, hrsg. von Herwig Wolfram], Wien 2005, 236