Filmische Leerstelle 3: Nationalitätenkonflikt

Eine Vielzahl an Völkern, Sprachen und Mentalitäten prägten das Habsburgerreich. Ethnische Zerwürfnisse, „Deutschtümelei“, „polnische Frage“, „italienischer Irredentismus“, serbische, rumänische und ukrainische Interessen belasteten die innen- und außenpolitischen Verhältnisse und stellten die Grenzen der Donaumonarchie infrage.

1867 war es bereits zu einem Ausgleich mit Ungarn gekommen. Das österreichische Kaiserreich verwandelte sich in die „Doppelmonarchie“. Franz Joseph stand nun als König von Ungarn und Kaiser der „cisleithanischen Länder und Königreiche“ zwei weitgehend selbstständigen Reichsteilen vor. Ungarische Bestrebungen, einen vollkommen unabhängigen Staat zu schaffen, belasteten die k. u. k. Monarchie gleichermaßen wie die Vorherrschaft der „Deutschösterreicher“ und der „Magyaren“ im habsburgischen Vielvölkerreich.

Die Polen strebten nach einem eigenen, unabhängigen Staat, die Tschechen nach einer dem ungarischen Vorbild entsprechenden Lösung. In der ungarischen Reichshälfte litten Slowaken, Rumänen und selbst die mit einer Autonomie ausgestatteten Kroaten unter der bisweilen repressiven Magyarisierungspolitik. Die Belgrader Regierung galt den Serben, Kroaten und Rumänen als Hoffnung und Anlaufstation für südslawische Anliegen.
Die Nationalitätenfrage blieb aber letztlich ungeklärt.

Die monarchische Propaganda schwieg sich über dieses Konfliktpotenzial gänzlich aus. Die Bilder von den groß angelegten Feierlichkeiten anlässlich des 60-jährigen Kronjubiläums von Kaiser Franz Joseph I. etwa zeigen nur, was offiziell erwünscht war („Huldigungsfestzug anlässlich des 60-jährigen Regierungsjubiläums Kaiser Franz Josefs“, A 1908). Die Aufnahmen vom Huldigungszug der Völker trügen. Ungarn, Tschechen, Kroaten und Italiener weigerten sich, vor dem Kaiser zu defilieren. Was dem offiziellen Bild nicht entsprach, blieb undokumentiert.

Aufnahmen zur Zeit des Zusammenbruchs der Donaumonarchie machen die offen liegenden nationalen Konflikte erstmals filmisch ersichtlich. Der Streifen „Ausrufung der tschechoslowakischen Republik“ (ČSR 1918) belegt, mit welcher Begeisterung die ansässige Bevölkerung sämtliche deutschsprachigen Beschilderungen und monarchischen Hoheitszeichen entfernte. Ein Indiz für den langen Konflikt zwischen den „Deutschösterreichern“, die ihre Vorrechte mit Vehemenz verteidigt hatten, und den Tschechen. Speziell in Böhmen war es immer wieder zu schweren Auseinandersetzungen zwischen den beiden nationalen Gruppierungen gekommen. In Mähren gelangte man wiederum nur durch nationale Separation zu einem Interessenausgleich.

Bibliografie 

Hanisch, Ernst: Der lange Schatten des Staates. Österreichische Gesellschaftspolitik im 20. Jahrhundert, Wien 1994

Leidinger, Hannes/Moritz, Verena/Moser, Karin: Österreich Box 1: 1896-1918. Das Ende der Donaumonarchie, Wien 2010

Reutner, Richard (Hrsg.): Die Nationalitäten- und Sprachkonflikte in der Habsburgermonarchie, Münster 2011

Inhalte mit Bezug zu diesem Kapitel

Aspekt

  • Aspekt

    Das Reich der Habsburger

    Österreich-Ungarn war ein äußerst vielfältiges Staatsgebilde. Eine ‚Bestandsaufnahme’ der Habsburgermonarchie am Vorabend des Ersten Weltkriegs zeigt eine Großmacht im Niedergang. Soziale und politische Probleme sowie die alles überschattenden Nationalitätenstreitigkeiten rüttelten an den Fundamenten des Reiches. Jedoch stellte die Monarchie auch einen enorm lebendigen Kulturraum dar, dessen Vielfalt sich als befruchtend auf kulturellem Gebiet erwies, wo das Reich der Habsburger trotz der politischen Stagnation eine Blütezeit durchlebte.

Personen, Objekte & Ereignisse

  • Person

    Franz Joseph

    Franz Joseph war dank seiner langen Regentschaft von 68 Jahren eine prägende Gestalt der Habsburgermonarchie in den letzten Jahrzehnten ihres Bestehens. Er unterzeichnete 1914 die Kriegserklärung an Serbien, die den Ersten Weltkrieg auslöste – ein Krieg, dessen Ende er nicht mehr erleben sollte.

Entwicklungen

  • Entwicklung

    Die Doppelmonarchie: Cisleithanien & Transleithanien

    Die Österreichisch-Ungarische Doppelmonarchie war durch den Ausgleich von 1867 entstanden. Die Habsburgermonarchie hatte nun zwei Hauptstädte: Wien und Budapest. Die beiden Reichshälften waren durch eine gemeinsame Armee und eine gemeinsame Außenpolitik verbunden. Stärkstes Bindeglied war der Monarch, der die Einheit des Reiches verkörperte.

  • Entwicklung

    Der Habsburgermythos – Die Dynastie vor und nach 1918

    Die Dynastie Habsburg-Lothringen bildete das ideologische Fundament der Habsburgermonarchie, denn die Existenz des Vielvölkerstaates ist in erster Linie als Produkt der dynastischen Geschichte des Herrscherhauses zu verstehen.

  • Entwicklung

    Nationalitätenpolitik im Vielvölkerreich

    Am Beginn des Zeitalters der Nationswerdung diente das Reich der Habsburger als Treibhaus für die Entwicklung nationaler Konzepte für die Völker Zentraleuropas.  Später wurde der staatliche Rahmen der Doppelmonarchie jedoch immer öfter als Hindernis für eine vollkommene nationale Entfaltung gesehen.

  • Entwicklung

    Der Weg zur Nation – Nationale Programme und Positionen

    Das ‚Werden der Nationen’ war in Europa Teil des Emanzipationsprozesses breiterer Bevölkerungsschichten aus feudaler Bevormundung. Gemäß den Idealen der Aufklärung und der Französischen Revolution sollte die Nation – nun verstanden als Gemeinschaft freier Bürger – anstelle feudaler Potentaten die Rolle des eigentlichen Souveräns übernehmen.

    Die Idee der Nation wurde als Schicksalsgemeinschaft definiert, die durch gemeinsame Abstammung, Kultur und Sprache verbunden war. Zur Stärkung des Gruppengefühls wurde eine verbindliche Sicht der Geschichte der eigenen Nation geschaffen.