K. u. k. Mythos in Laufbildern
In den letzten Jahren des 19. Jahrhunderts lernten die Bilder auch in Österreich-Ungarn „laufen“. Bereits die Filme aus der späten Donaumonarchie verklären vielfach die Vergangenheit. Der Mythos bzw. die Images der Monarchie wurden schon damals kreiert und gezielt auch über den Film tradiert. „Imperial geschönte“ Aufnahmen und Eindrücke vom „lustvoll beschaulichen“ Leben in der Monarchie prägen visualisierte Klischees, die sich in den Spielfilmen der Zwischenkriegs- und der Nachkriegszeit wiederfinden.
Der „Zauber der Montur“, die Paraden und Umzüge, die Feste des Adels und speziell des Herrscherhauses dominieren die Filmdokumente der Kaiserzeit und verdecken den Blick auf Armut und Ausgrenzung. Gezeigt werden die schönen Seiten des Freizeit- bzw. Sonn- und Feiertagsvergnügens. Das „Volk“ erfreute sich an den Belustigungen des Jahrmarktes. Ein Spektakel, das 1913 die Massen in den Wiener Prater zog, war die Adria-Ausstellung – die letzte große Schau der österreichisch-ungarischen Monarchie vor dem Ersten Weltkrieg. Entlang eines eigens angelegten Kanals, in dem der Dampfer „Wien“ mit einem Restaurant vor Anker lag, wurden bekannte Gebäude der adriatischen Küste nachgebaut. Zu sehen waren etwa Rekonstruktionen eines Campaniles, das St. Georgshaus von Lovrano, das Stadttor von Zara oder der Rektorenpalast von Ragusa (heute Dubrovnik). Gern gesehen war bei derartigen Großprojekten kaiserlich-königlicher Besuch, wie die Aufnahme „Kaiser Franz Josef I. eröffnet die Adria-Ausstellung in Wien“ (A 1913) dokumentiert. Solche populären Bilder wurden von Volk und Herrscher gleichermaßen begrüßt.
Ein alljährlicher Höhepunkt war der Geburtstag Kaiser Franz Josephs I., der am 18. August im Rahmen von Kaiser-Huldigungsfeierlichkeiten feierlich begangen wurde. Die Kinematographie hielt Momente dieser Art, wie etwa im Streifen „Kaiser-Huldigung im Wiener k. k. Prater“ (A 1911), für die Nachwelt fest: Herausgeputzte Mädchen und Buben, Polizisten und Matrosen, Damen und Herren der vornehmen Gesellschaft, aber auch städtisches und ländliches Proletariat in Sonntagskleidung strömen durch den Prater. Noch mehr als sonst gibt es in diesem Film zu sehen. Den alljährlichen Festzug anlässlich des Regierungsantritts von Kaiser Franz Joseph I. will niemand versäumen. Im Hintergrund dreht sich das Riesenrad, die beschleunigten Wagen der „Scenic Railway“-Hochschaubahn schnellen in der Ferne vorbei. Alles scheint in Bewegung. Nur an manchen Stellen sammeln sich Menschtrauben. Dort lauscht die Menge den Programm-Ausrufern, die mit theatralischer Gestik ins Innere der Schaubuden locken. Trotzdem die frühen Aufnahmen der „Kaiserhuldigung im Wiener k. k. Prater“ stumm sind, vernimmt man durch den eifrig herumschweifenden Blick der Kamera ein Stimmengewirr, glaubt das Rattern und Quietschen der mechanischen Beschleunigungsmaschinen und die werbenden Verführungen der Prater-Rufer zu hören. Es sind tatsächlich „laute“ Klanglandschaften, die uns der stumme Film hier vermittelt.
Moritz, Verena: Vergangenheitsbewältigung, in: Moritz, Verena/Moser, Karin/Leidinger, Hannes: Kampfzone Kino. Film in Österreich 1918-1938, Wien 2008, 141-172
Storch, Ursula: Eine Reise um die Welt – im Wiener Prater, in: Dewald, Christian/Schwarz, Werner Michael: Prater Kino Welt. Der Wiener Prater und die Geschichte des Kinos, Wien 2005, 101-125