Die Begeisterung für den Krieg

Chauvinistische Rhetorik und martialisches Säbelrasseln beherrschten die entscheidenden Tage im Juli 1914. Das kämpferische Vokabular der politischen Eliten fand ein positives Echo in der öffentlichen Meinung.

Die Kriegsbegeisterung, die im Sommer 1914 weite Teile Europas erfasste, wirkt heute befremdlich. Das positive Kriegsbild in der damaligen Öffentlichkeit hatte mehrere Gründe: Zum einen kannte man in Europa die Erfahrungen eines industrialisierten „Krieges der Massen“, wie sie die beiden Weltkriege darstellten, noch nicht. Die Schrecken des Krieges waren nicht präsent, auch weil größere kriegerische Konflikte auf europäischem Boden (wie der deutsch-französische Krieg von 1870/71) weit zurück lagen. Nicht, dass Europa in den Jahrzehnten um 1900 keine kriegerischen Konflikte kannte, aber die Großmächte führten „nur“ lokale Stellvertreterkriege am Rande des Kontinents (Balkankriege 1912/13) oder in den Kolonien.

Die patriotische Euphorie war bei Kriegseintritt in allen beteiligten Staaten enorm.  In den Hauptstädten fanden vaterländische Kundgebungen statt, die besonders von den urbanen Mittelschichten getragen wurden. Es hallte der Ruf nach einem nationalen Schulterschluss durch die Gassen, für den „Burgfrieden“ sollten innere Spannungen hintan gestellt werden: Egal, ob reich oder arm, links oder rechts – die gesamte „Volksgemeinschaft“ sollte nun an einem Strang ziehen. Diese inszenierte Wahrnehmung der Nation als Kollektiv wird von der Geschichtsschreibung als „Augusterlebnis“ bezeichnet.

Parallel zur militärischen Mobilmachung erfolgte eine „geistige Mobilisierung“. Bestehende Ressentiments wurden verstärkt und Feindbilder geschaffen. Die Habsburgermonarchie inszenierte sich als überlegenes „Bollwerk der Zivilisation“, dessen „Ehre“ es gegen den „barbarischen Osten“ in Gestalt der Serben und Russen zu verteidigen galt. Das Bündnis mit dem Deutschen Kaiserreich wurde unter dem Schlagwort der „Nibelungentreue“ beschworen. Zeittypische Phänomene wie der weit verbreitete Sozialdarwinismus („Nur die Stärksten kommen durch!“), Gewaltverherrlichung und Männlichkeitskult („Soldatenehre“) taten ihr Übriges.

Viele der in der Presse als „spontane Ausformungen des Volkswillens“ dargestellten Aktionen waren von den Regierungen und Militärs gesteuert. Politische Richtungsvorgaben wurden damals weit weniger in Frage gestellt als heute. Der patriarchalische Obrigkeitsstaat war in den meisten europäischen Staaten eine Realität, die zum Ausschluss großer Teile der Bevölkerung (Frauen, mittellose Schichten, etc.) von der politischen Entscheidungsfindung führte. Kritische Stimmen waren medial kaum präsent, denn mit Kriegsbeginn traten Zensurmaßnahmen in Kraft, welche die Medien und andere Kanäle der Meinungsäußerung streng kontrollierten.

Dennoch gab es deutliche Anzeichen von Skepsis und Vorbehalten gegen den Krieg und seine Folgen. Friedensinitiativen versuchten gegenzusteuern, es kam zu Großkundgebungen für die Erhaltung des Friedens in verschiedenen Städten. Die Identifizierung mit den Kriegszielen, die von der staatlichen Obrigkeit als nationale Notwendigkeit vorgeschrieben wurden, fiel unterschiedlich stark aus.

Der Krieg wurde aber auch als Katalysator gesehen, der half, traditionelle und als ungerecht empfundene soziale Systeme zu überwinden und gegen die Dekadenz der Eliten des Fin de siècle anzukämpfen. So waren die Sozialdemokraten zwar prinzipiell für die Bewahrung des Friedens, sahen im Ausbruch des Krieges jedoch auch eine Chance für einen „gerechten Kampf“ gegen antidemokratische Regimes in Europa.

Aufgrund der besonderen Struktur des habsburgischen Vielvölkerstaates kam hier noch die nationale Komponente hinzu: Die Kriegseuphorie war am größten bei den Deutschen und Magyaren, was eine gewisse Widersprüchlichkeit in sich barg. Denn die Kriegsziele der Habsburgermonarchie standen im Gegensatz zu den nationalen Interessen der beiden führenden Volksgruppen. Ein Gewinn polnischer oder südslawischer Gebiete hätte den Anteil der slawischen Bevölkerung noch weiter erhöht und die Vorherrschaft der Deutschen und Magyaren zusätzlich bedroht.

Aber auch die breite Masse der anderen Nationalitäten war anfangs von einer gewissen patriotischen Welle erfasst. Die offizielle Haltung der nationalen Vertreter der Tschechen, Polen oder Südslawen war von Ratlosigkeit bestimmt. Man beeilte sich, die Loyalität zur Habsburgermonarchie und ihren Kriegszielen öffentlich zu betonen. Es folgte eine graduelle Flucht in politische Passivität. Aktiver politischer Widerstand gegen die Kriegspolitik der Donaumonarchie formierte sich zu Kriegsbeginn nicht.

Bibliografie 

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Hamann, Brigitte: Der Erste Weltkrieg. Wahrheit und Lüge in Bildern und Texten, 2. Aufl., München 2009

Hanisch, Ernst: Der lange Schatten des Staates. Österreichische Gesellschaftsgeschichte im 20. Jahrhundert [Österreichische Geschichte 1890–1990, hrsg. von Herwig Wolfram], Wien 2005

Hirschfeld, Gerhard/Krumeich, Gerd/Renz, Irina (Hrsg.): Enzyklopädie Erster Weltkrieg. Aktualisierte und erweiterte Studienausgabe, Paderborn/Wien [u.a.] 2009        

Leidinger Hannes/Moritz, Verena: Der Erste Weltkrieg, Wien [u.a.] 2011

Rauchensteiner, Manfried: Der Erste Weltkrieg und das Ende der Habsburgermonarchie 1914–1918, Wien u. a. 2013

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Entwicklungen

  • Entwicklung

    Krieg als Lösung?

    Besonders intellektuelle Kreise, Schriftsteller, Künstler, Akademiker, Philosophen, Wissenschaftler usw. versprachen sich vom Krieg die Lösung vieler Probleme, mit denen die Monarchie zu kämpfen hatte. Sie betrachteten den Waffengang als Katharsis, als reinigende Kraft, als eine Chance zur Flucht aus einer geächteten und überdrüssig gewordenen Vorkriegswelt mit ihren scheinbar unlösbaren sozialen und nationalen Konflikten.

  • Entwicklung

    Der starke Staat und der Untertan: Obrigkeitsdenken und Klassengesellschaft

    Die Klassengesellschaft der Habsburgermonarchie war von strengen Hierarchien geprägt. Es herrschten enorme Unterschiede zwischen Arm und Reich. Angehörige verschiedenster gesellschaftlicher Gruppen sowie Frauen generell standen in existenziellen sozialen und ökonomischen Abhängigkeitsverhältnissen.