Der Regierungsantritt Kaiser Karls I.

Die Habsburgermonarchie war nach zwei Jahren des Krieges wirtschaftlich und militärisch vollkommen erschöpft. Ein weiterer Schlag für die morsche Doppelmonarchie war der Tod Kaiser Franz Josephs am 21. November 1916, wodurch eine wichtige Integrationsfigur verloren ging.

In dieser Situation übernahm im November 1916 der neue Kaiser Karl I. die Führung. Politisch unerfahren – da er bisher nur periphär eingebunden war – und ohne Hausmacht, war er auf die Unterstützung jener politischen Spitzenkräfte angewiesen, die aus dem Umfeld des ermordeten Thronfolgers stammten. Franz Ferdinand hatte sich einen Zirkel von politischen Beratern aufgebaut, die eine Art Schattenregierung gegen die alte Garde rund um Franz Joseph bildeten. Dass sich Karl dieser Riege bediente, war ein Zeichen für die Öffentlichkeit, denn der Kreis um den ermordeten Thronfolger stand für einen autoritären Kurs in der österreichischen Politik.

Der Wechsel auf dem Posten des österreichischen Ministerpräsidenten war symptomatisch: Karl rief Ernest von Koerber ab, der erst Ende Oktober 1916 vom siechen Franz Joseph eingesetzt worden war. Grund für die Abberufung waren konträre Ansichten und persönliche Antipathien zu Karl. Der Hauptstreitpunkt war, dass Koerber auf die Einhaltung der verfassungsrechtlichen Richtlinien drängte und für eine Rückkehr zum Verfassungsstaat plädierte. Dies wurde von Karl abgelehnt, denn er wollte seine starke Hand beweisen und grundlegende Veränderungen vornehmen, wobei ihm die Ausschaltung des Reichsrates gelegen kam. Karl berief Heinrich Graf Clam-Martinic, ein Mitglied des österreichisch-böhmischen Hochadels auf den Posten, der ebenfalls aus dem Dunstkreis Franz Ferdinands stammte und für eine betont autoritäre Politik stand.

In Ungarn setzte Karl auf Kontinuität und bestätigte István Graf Tisza auf dem Posten des ungarischen Ministerpräsidenten. Tisza war zwar ein Garant für die stabile Lage in diesem Teilstaat der Monarchie, aber seine Person bedeutete auch eine Fortführung der Magyarisierungspolitik auf Kosten der anderen Nationalitäten Ungarns.

Tisza nützte Karls Unerfahrenheit und überredete ihn, sich rasch zum König krönen zu lassen. Tiszas Argument war, dass eine Krönung hohen Symbolwert und eine Stärkung des dynastischen Gedankens bedeutete. Tatsächlich führte dies jedoch zu einer Beschränkung der politischen Bewegungsfreiheit Karls, denn die Krönung bedingte einen Eid auf die bestehende Verfassung, d.h. der Status quo wurde einzementiert. Tisza bot auch an, den Ausgleich für weitere 20 Jahre zu verlängern, und Karl war auf die ungarische Unterstützung angewiesen, um seine Position festigen zu können. Mit diesem politisch schwereren Fehler vergab Karl die Chance mit dem Thronwechsel weitreichende Veränderungen zu verbinden.

Die übereilte Krönung am 30. Dezember 1916 war ein archaisches Schauspiel von geradezu absurdem Prunk angesichts des Krieges, was die überholten Riten umso lächerlicher erschienen ließ.

Auch das Außenministerium wurde neu besetzt: Karls neuer Außenminister Ottokar Graf Czernin von Chudenitz, ein böhmischer Aristokrat, war wie Clam-Martinic eine Persönlichkeit aus dem Beraterkreis Franz Ferdinands.

In der Armeeführung kam es ebenfalls zu einer Umgestaltung: Der bisherige Oberbefehlshaber Erzherzog Friedrich wurde abberufen und mit einer Reihe von Ehrentitel und der Verleihung des Maria-Theresienordens „weggelobt“, was aber angesichts des Kriegsverlaufes als Affront gesehen wurde. Karl übernahm am 2. Dezember 1916 persönlich den Oberbefehl und damit auch die direkte Verantwortung. Um zu zeigen, dass nun ein neuer Wind wehte, erzwang er Anfang Januar 1917 die Übersiedlung des Hauptquartiers aus dem schlesischen Teschen nach Baden bei Wien und somit in seine unmittelbare Nähe.

Auch Generalstabschef Franz Conrad von Hötzendorf stand auf Karls Abschussliste. Es kam zu einem Kräftemessen, und die offene Gegnerschaft der beiden Männer an den Schlüsselstellen der Macht gipfelte in der Abberufung Conrads am 1. März 1917. 

Bibliografie 

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Gottsmann, Andreas (Hrsg.): Karl I. (IV.), der Erste Weltkrieg und das Ende der Donaumonarchie, Wien 2007    

Hamann, Brigitte: Der Erste Weltkrieg. Wahrheit und Lüge in Bildern und Texten, 2. Aufl., München 2009

Hanisch, Ernst: Der lange Schatten des Staates. Österreichische Gesellschaftsgeschichte im 20. Jahrhundert [Österreichische Geschichte 1890–1990, hrsg. von Herwig Wolfram], Wien 2005

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Rauchensteiner, Manfried: Der Erste Weltkrieg und das Ende der Habsburgermonarchie 1914–1918, Wien u. a. 2013

Inhalte mit Bezug zu diesem Kapitel

Aspekt

  • Aspekt

    Das Reich der Habsburger

    Österreich-Ungarn war ein äußerst vielfältiges Staatsgebilde. Eine ‚Bestandsaufnahme’ der Habsburgermonarchie am Vorabend des Ersten Weltkriegs zeigt eine Großmacht im Niedergang. Soziale und politische Probleme sowie die alles überschattenden Nationalitätenstreitigkeiten rüttelten an den Fundamenten des Reiches. Jedoch stellte die Monarchie auch einen enorm lebendigen Kulturraum dar, dessen Vielfalt sich als befruchtend auf kulturellem Gebiet erwies, wo das Reich der Habsburger trotz der politischen Stagnation eine Blütezeit durchlebte.

Personen, Objekte & Ereignisse

  • Person

    István Graf Tisza

    Tisza war der "starke Mann" in der politischen Szene der ungarischen Reichshälfte. Er wurde in den Tagen des Umsturzes 1918 ermordet.

  • Person

    Karl I.

    Der letzte Kaiser bestieg 1916 den Thron und regierte bis zum Zerfall der Österreichisch-Ungarischen Monarchie im November 1918.