Der Weg zum 12. November: „Kommt der Friede nicht zustande, so ist hier die Revolution“

Der "Jännerstreik" als die größte Streikbewegung in Österreichs Geschichte

Dem Zusammenbruch der Monarchie gingen Massenstreiks der Arbeiterschaft voraus. Am markantesten und folgenreichsten war der Jännerstreik 1918, der vor dem Hintergrund der Russischen Revolution, der schleppend verlaufenden Friedensverhandlungen in Brest-Litowsk sowie der katastrophalen Versorgungslage am Morgen des 14. Jänner in Wiener Neustadt seinen Ausgangspunkt nahm und sich in weiteren Industriebetrieben verbreiterte und damit die Kriegsproduktion lahmlegte. 

Ab dem Hungerwinter 1916/17 setzten vermehrt Streiks der Belegschaften in den Betrieben der Kriegsindustrie ein. Die Umstellung vieler Produktionsstätten auf Kriegswirtschaft hatte in vielerlei Hinsicht nachhaltige Konsequenzen. Der zunehmende Einsatz von Frauen, Jugendlichen und ZwangsarbeiterInnen hatte eine massive Veränderung in der Sozialstruktur der Belegschaften zur Folge, was sich auch in bislang unbekannten Formen von politischen Agitationsformen zeigte. Frauen, die in der Heimat die Versorgungsrolle für die Familie zu übernehmen hatten, waren denn auch immer wieder die Ersten, die auf die prekäre Ernährungslage durch Protestaktionen reagierten.

Am 14. Jänner 1918 reduzierte die Regierung die Mehl-Rationierung auf die Hälfte. Dies war der Anlass für die Belegschaft der Daimler Motorenwerke in Wiener Neustadt, spontan in den Ausstand zu treten. Zu Mittag schlossen sich auch die Beschäftigten der anderen Industrie- und Rüstungsbetriebe des Ortes an. Am nächsten Tag griff die Streikbewegung rasch auf weitere Betriebe in Niederösterreich sowie Wien über und in den folgenden Tagen auch auf Fabriken in Polen und Ungarn. Der 20. Jänner markierte den Höhepunkt der Streiks – bis zu 750.000 ArbeiterInnen der Monarchie sollen in den Ausstand getreten sein.

Die Hauptforderung der Streikbewegung war der sofortige Friedensschluss mit Russland. Am 16. Jänner reagierte die sozialdemokratische Partei in der Arbeiter-Zeitung mit einem radikalen Manifest, in dem von der „Selbstsucht der besitzenden Klasse“ die Rede war, die bürokratische Verwaltung als „verpfuscht und verdorben“ bezeichnet wurde. Das Manifest schloss mit der Forderung nach einem Friedenschluss: „Für die schleunigste Beendigung des Krieges! Für den Frieden ohne offene und ohne unverhüllte Eroberungen! Für den Frieden auf der Grundlage des unverfälschten Selbstbestimmungsrechtes der Völker!“ Die Wirkung des Manifests war eine zweifache: Es hatte die Ausdehnung der Streiks zur Folge und veranlasste Kaiser Karl, an seinen Außenminister Ottokar Graf Czernin ein Telegramm zu schicken, in dem er auf einen baldigen Friedensschluss drängte, denn „kommt der Friede nicht zustande, so ist hier die Revolution, wenn auch noch so viel zu essen ist. Dies ist eine ernste Warnung in ernster Zeit.“

Es folgte ein weiteres Forderungspaket der Sozialdemokratie, worauf in einer Erklärung des Außenministers Czernin Zugeständnisse (Frieden ohne Eroberungen auf Basis des Selbstbestimmungsrechts der Völker, Reformen des Kriegsleistungsgesetzes und des Ernährungsdienstes) in Aussicht gestellt wurden – diese Ankündigungen der Regierung sollten jedoch nicht eingehalten werden. Der Arbeiterrat, der die Streiks lokal koordinierte und die Verhandlungen führte, nahm daraufhin in einer kontroversiell geführten Diskussion mehrheitlich einen Antrag des sozialdemokratischen Parteivorstandes an, in dem zur Streikniederlegung aufgefordert wurde. Nach einer Woche, ab dem 21. Jänner, zerbrach die Streikfront, beschleunigt durch Verhaftungen zahlreicher Aktivisten. Unbehelligt blieb jedoch der Verfasser zahlreicher Flugblätter. Er tauchte dann im November als Rotgardist bei der Proklamation der Republik vor dem Parlament wieder auf: Egon Erwin Kisch, der sich mit der Aufdeckung der Spionageaffäre Redl schon vor dem Krieg als investigativer Journalist einen Namen gemacht hatte und später aufgrund seiner Reisereportagen als der „rasende Reporter“ in die Geschichte eingehen sollte.

Bibliografie 

Hautmann, Hans: Jänner 1918 – Österreichs Arbeiterschaft in Aufruhr. Unter: http://www.klahrgesellschaft.at/Referate/Hautmann_Jaennerstreik.html (20.6.2014)

Maderthaner, Wolfgang: Die eigenartige Größe der Beschränkung. Österreichs Revolution im mitteleuropäischen Spannungsfeld, in: Konrad, Helmut/Maderthaner, Wolfgang: Das Werden der Ersten Republik. ... der Rest ist Österreich, Bd. I, Wien 2008, 187-206

 

Zitate:

alle Zitate: zitiert nach: Hautmann, Hans: Jänner 1918 – Österreichs Arbeiterschaft in Aufruhr. Unter: http://www.klahrgesellschaft.at/Referate/Hautmann_Jaennerstreik.html (20.6.2014)

Inhalte mit Bezug zu diesem Kapitel

Aspekt

  • Aspekt

    Nein zum Krieg

    Je länger der Krieg dauerte, desto mehr Stimmen wurden laut, die „Nein“ zum Krieg sagten. Dazu gehörten sowohl Vertreterinnen und Vertreter der österreichischen Friedensbewegung und Frauenbewegung als auch Teile der österreichisch-ungarischen Bevölkerung. Sie wurden im Verlauf des Konfliktes immer „kriegsmüder“, was sich in Streikbewegungen und Hungerkrawallen ebenso äußerte wie im Phänomen der Massendesertionen von Frontsoldaten am Ende des Krieges.

Personen, Objekte & Ereignisse

  • Objekt

    Revolutionäre Bewegungen, Streikbewegungen

    Die Umstellung der Produktionsstätten auf Kriegswirtschaft und der Einsatz der Männer an der Front bedingte, dass zunehmend Frauen in zuvor typischen Männerberufen, wie beispielsweise in Betrieben der Rüstungsindustrie, beschäftigt wurden. Frauen mussten auch die Versorgung ihrer Familien übernehmen und reagierten daher auch als Erste mit Protestaktionen auf die zunehmend prekäre Ernährungslage und auf extrem schlechte Arbeitsbedingungen in den Betrieben.

  • Objekt

    Mangel und Elend

    Als im Jänner 1915 die Bevölkerung auf ausbleibende Brot- und Mehllieferungen mit Panikkäufen reagierte, führte die Kriegs-Getreide-Verkehrsanstalt das Bezugskartensystem ein. Pro-Kopf-Quoten wurden festgesetzt und über Brot- und Mehlkarten verteilt. Doch selbst die zugewiesenen Rationen konnten angesichts der Krise immer seltener ausgegeben werden und die Papierscheine erwiesen sich als wertlos.

Entwicklungen