Erde aus Böhmen, Erde aus Ungarn, Erde aus Slowenien ... Erde aus Österreich“ – Mit diesen Worten begräbt der Schriftsteller Franz Theodor Csokor in seinem Drama 3. November 1918 nicht nur einen Oberst der k. u. k. Armee, der aus Verzweiflung Selbstmord begangen hatte, sondern symbolisch auch die Monarchie.

Am 3. November kapitulierte Österreich-Ungarn, nachdem der militärische Zusammenbruch und die inneren Auflösungserscheinungen des Reiches nicht mehr aufzuhalten waren. Kaiser Karls Versuch, mittels einer Friedensnote am 14. September eine Rettung zu starten, kam zu spät: Sie wurde von den Alliierten abgelehnt. Auch Karls Völkermanifest vom 16. Oktober, das die Monarchie in einen Bundesstaat umwandeln sollte, verfehlte die beabsichtigte Wirkung und trug eher zur Auflösung als zu einer Konsolidierung des Reiches bei. Schon am 28. Juni 1918, also exakt vier Jahre nach dem Attentat in Sarajewo, hatte der Präsident der USA Woodrow Wilson erklärt, die Befreiung aller slawischen Völker von der deutschen und österreichisch-ungarischen Herrschaft unterstützen zu wollen. Am 6. Oktober konstituierte sich in Agram (Zagreb) der Nationalrat der Slowenen, Kroaten und Serben und am 28. Oktober (dem heutigen Nationalfeiertag Tschechiens) beschloss die Plenarversammlung des Nationalausschusses in Prag die Selbständigkeit des tschechoslowakischen Staates. Am selben Tag verkündeten die polnischen Reichsratsabgeordneten den Anschluss der vormals habsburgischen Gebiete an den polnischen Staat. Und auch die deutschsprachigen Abgeordneten Cisleithaniens, also der österreichischen Reichshälfte, versammelten sich bereits am 21. Oktober zur konstituierenden Sitzung der Nationalversammlung für Deutschösterreich, das alle deutschsprachigen Gebiete der Monarchie umfassen und einen Meereszugang haben sollte. Mit den sich gerade neu bildenden Nationalstaaten wollte man eine Föderation eingehen. Ein solcher Staatenbund der Donauvölker der früheren Monarchie fand aber bei den Nationalräten in Prag, Laibach und Agram keine Zustimmung. Damit bestand auf österreichischem Gebiet eine Doppelregierung, jene des noch fiktiven Deutschösterreich und jene von Kaiser Karl am 27. Oktober eingesetzte mit Heinrich Lammasch an der Spitze, die de facto jedoch ohne Reich dastand. Nach dem offiziellen Kriegsende, der Demobilisierung der Truppen und der Abdankung des deutschen Kaisers Wilhelm wurde Kaiser Karl von Lammasch und dem Innenminister Edmund von Gayer überredet, auf die Regierungsgeschäfte zu verzichten. 640 Jahre Habsburgerherrschaft gingen am 11. November mit Karls Unterschrift auf der schon vorformulierten Verzichtserklärung zu Ende. Der Historiker Ernst Hanisch bezeichnete diese Erklärung als „Meisterstück diplomatischer Mehrdeutigkeit“, da sie in ihren teilweise uneindeutigen Formulierungen, was den „Verzicht“ – das Wort „Abdankung“ wurde vermieden – betraf, später politisch von den Kaisertreuen und der kaiserlichen Familie ausgenützt werden konnte. Der Volkskaiser, wie Karl sich selbst sah, verschwand durch einen Nebenausgang aus Schönbrunn.

Und auch ein anderer verließ am selben Tag die politische Bühne: Der Begründer und Vorsitzende der sozialdemokratischen Partei, Victor Adler, der bis zuletzt an den Verhandlungen beteiligt gewesen war und in der provisorischen Regierung das Amt des Staatssekretärs für Äußeres bekleidet hatte, verstarb an einem Herzleiden.

Das große Schlachten, das mit – wenn auch nicht durchgehender – Begeisterung begonnen hatte, endete nicht zuletzt durch Massenstreiks, Desertionen und Protestbewegungen. Nüchterne Zahlenbilanzen zeigen, dass der Krieg zwischen neun und zehn Millionen Menschen das Leben gekostet hatte, davon ca. 1,5 Millionen aus den Truppen Österreich-Ungarns, was fast der heutigen Gesamtbevölkerung Wiens entspricht. Hinzu kamen etwa neun Millionen Kriegsgefangene, davon ca. 2,7 Millionen aus der Habsburgerarmee und unzählige Verwundete. Nicht berechenbar sind die ökonomischen Folgen für all jene, die ihre Existenzgrundlage verloren hatten und noch weniger die psychischen Auswirkungen, die das Kriegsgeschehen auf die davon Betroffenen hatte. Mit dieser Hypothek belastet wurde schließlich am 12. November die Republik Deutschösterreich proklamiert.

Bibliografie 

Csokor, Franz Theodor: 3. November 1918, Wien/Hamburg 1936

Hanisch, Ernst: Der lange Schatten des Staates. Österreichische Gesellschaftsgeschichte im 20. Jahrhundert (= Österreichische Geschichte 1890–1990, hrsg. von Herwig Wolfram), Wien 2005

Hirschfeld, Gerhard/Krumeich, Gerd/Renz, Irina: Enzyklopädie Erster Weltkrieg, Paderborn 2009

Leidinger, Hannes/Moritz, Verena: Der Erste Weltkrieg. Wien/Köln/Weimar 2011

Rauchensteiner, Manfred: Österreich-Ungarn, in: Hirschfeld, Gerhard/Krumreich, Gerd/Renz, Irina (Hrsg.): Enzyklopädie Erster Weltkrieg, aktualis. u. erw. Studienausg. Paderborn u.a. 2009, 64-86

Weinzierl, Erika/Skalnik, Kurt: Österreich 1918–1938. Geschichte der Ersten Republik, Graz/Wien/Köln 1983

 

Zitate:

„Erde aus Böhmen, Erde aus Ungarn ...": Csokor, Franz Theodor: 3. November 1918, Wien/Hamburg 1936

Zahlenangaben zu Kriegsopfern:
Bihl, Wolfdieter: Der Weg zum Zusammenbruch. Österreich-Ungarn unter Karl I. (IV.), in: Weinzierl, Erika/Skalnik, Kurt: Österreich 1918–1938. Geschichte der Ersten Republik, Graz/Wien/Köln 1983, 27-51, hier 50f.
Hirschfeld, Gerhard/Krumeich, Gerd/Renz, Irina: Enzyklopädie Erster Weltkrieg, Paderborn 2009, hier 664f.
Leidinger, Hannes/Moritz, Verena: Der Erste Weltkrieg. Wien/Köln/Weimar 2011, hier 46f.

Inhalte mit Bezug zu diesem Kapitel

Aspekt

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    Nach dem Krieg

    Mit dem Ersten Weltkrieg ging das „lange 19. Jahrhundert“ zu Ende. An die Stelle der monarchischen Imperien traten neue politische Player. Die k. u. k. Monarchie zerfiel in einzelne Nationalstaaten. Im November 1918 wurde die Republik Deutschösterreich proklamiert, im Oktober 1920 Österreich als Bundesstaat errichtet. Die Jahre nach dem Krieg waren überaus bewegt: Sie changierten in einem Spannungsverhältnis von Aufbruch und Niederlage, zwischen politischen, wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Errungenschaften und Rückschlägen.

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