Aus der Traum: Das Scheitern der Bauer’schen Außenpolitik

Die wirtschaftliche Lage der Bevölkerung in der Nachkriegszeit war desolat. Viele Menschen hungerten und froren, soziale Unruhen waren die Folgen. Man war auf Hilfslieferungen aus dem Ausland angewiesen, die jedoch schwer zu erhalten waren, da Deutschösterreich einerseits als Kriegsschuldiger und andererseits mit einer linksgerichteten politischen Spitze für alle Richtungen suspekt war.

Um Hilfslieferungen aus dem Westen zu erhalten, orientierte sich Bauers Außenpolitik an den Vorstellungen der Entente, wobei das Beharren auf den Anschluss an Deutschland hierfür wenig hilfreich war. Bauer argumentierte, dass Deutschösterreich ohne Lebensmittelhilfe Gefahr liefe, in den Bolschewismus abzugleiten. Nach innen warnte er ebenfalls, dass ohne Lebensmittellieferungen eine Räteherrschaft bevorstünde. Unruhen im April und Juni 1919 veranlassten den britischen Lebensmittelkommissär denn auch zur Aussage „ ... dass Unruhe in Wien von der Entente mit dem Hungertod bestraft werde.

Kernstück von Bauers Außenpolitik blieb der Anschluss an Deutschland. Er ging wie viele andere führende Repräsentanten der Republik von der Einschätzung aus, dass der neue Staat Deutschösterreich ökonomisch nicht bestehen könne. „Kommt der Anschluß nicht zustande, so wird Österr. ein armseliger Bauernstaat, in dem Politik zu machen nicht der Mühe wert sein wird.“ Otto Bauer war davon überzeugt, dass nur im Rahmen einer großdeutschen Republik mit einer starken Industrie und einer starken Arbeiterklasse eine sozialistische Gesellschaft zu verwirklichen wäre: „Darum muß der Kampf um den Sozialismus geführt werden als ein Kampf für den Anschluß an Deutschland.“ Die Rückbesinnung auf das Deutschland von Marx und Engels und der Traum von einer machtvollen Arbeiterklasse im vereinigten Großdeutschland schienen attraktiver als „ein Leben der Kleinheit und Kleinlichkeit“.

Die Verwirklichung dieses Projekts sollte sich angesichts der Positionen der dominierenden Akteure und Staaten in der Nachkriegspolitik als völlig unrealistisch erweisen. Die siegreichen Entente-Mächte, insbesondere die französische Regierung, waren nicht bereit, eine derartige territoriale und auch politisch-wirtschaftliche Stärkung des besiegten Deutschland zu akzeptieren. Auch die neue deutsche Regierung zeigte an einem Anschluss Deutschösterreichs aus verhandlungstaktischen Gründen kein Interesse, hätte dies doch ihre Positionen in den Friedensverhandlungen geschwächt. Zudem wandten sich auch die führenden Vertreter der Christlichsozialen immer schärfer gegen Bauers Anschlusspolitik. Daher suchte Bauer vorerst den wirtschaftlichen Anschluss an Deutschland in einer Währungsunion, die jedoch ebenfalls scheiterte.

Tief enttäuscht legte Bauer im Juli 1919 seinen Posten zurück. Bei den Verhandlungen im Juli 1919 in Saint-Germain musste Staatskanzler Renner seine Rolle übernehmen. An Bauer blieb der Vorwurf hängen, mit seiner Politik den Boden für den Anschluss 1938 bereitet zu haben.

Bibliografie 

Haas, Hanns: Österreich und die Alliierten 1918–1919, in: Ackerl, Isabella (Hrsg.): Saint-Germain 1919. Protokoll des Symposiums am 29. und 30. Mai 1979 in Wien, Wien 1989

Hanisch, Ernst: Der große Illusionist. Otto Bauer (1881–1938), Wien/Köln/Weimar 2011

 

Zitate:

„ ... dass Unruhe in Wien ...": zitiert nach: Haas, Hanns: Österreich und die Alliierten 1918–1919, in: Ackerl, Isabella (Hrsg.): Saint-Germain 1919. Protokoll des Symposiums am 29. und 30. Mai 1979 in Wien, Wien 1989, 29

„Kommt der Anschluß nicht ...": Internationaal Instituut foor Sociale Geschiedenis Amsterdam. Karl Kautsky-Nachlass: Brief von Otto Bauer an Karl Kautsky am 6.5.1919

„Darum muß der Kampf ...": Bauer, Otto: Der Weg zum Sozialismus, Wien 1919, zitiert nach: Hanisch, Ernst: Der große Illusionist. Otto Bauer (1881-1938), Wien 2011, 158, Anm. 65

Inhalte mit Bezug zu diesem Kapitel

Aspekt

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    Nach dem Krieg

    Mit dem Ersten Weltkrieg ging das „lange 19. Jahrhundert“ zu Ende. An die Stelle der monarchischen Imperien traten neue politische Player. Die k. u. k. Monarchie zerfiel in einzelne Nationalstaaten. Im November 1918 wurde die Republik Deutschösterreich proklamiert, im Oktober 1920 Österreich als Bundesstaat errichtet. Die Jahre nach dem Krieg waren überaus bewegt: Sie changierten in einem Spannungsverhältnis von Aufbruch und Niederlage, zwischen politischen, wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Errungenschaften und Rückschlägen.

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