Viva l’Italia! Der italienische Irredentismus und die Habsburgermonarchie

Die habsburgische Präsenz in Norditalien war für das Selbstverständnis der Dynastie als „Big Player“ auf der Bühne der europäischen Großmächte wichtig. Die starke historische Verankerung der Habsburger in Italien erlitt im Zuge des Risorgimento – der staatlichen Einigung der Italiener zu einem Nationalstaat in der Mitte des 19. Jahrhunderts – einige herbe Rückschläge.

Die habsburgische Herrschaft über italienischsprachige Gebiete geht im südlichen Tirol und in Triest auf das 14. Jahrhundert zurück. In der Frühneuzeit kam es zu einem kontinuierlichen Ausbau der Präsenz, wobei zunächst der spanische Zweig der Dynastie die Initiative übernahm. Für die neuere Geschichte der italienischen Nationswerdung war die habsburgische Herrschaft in der Lombardei und in Venetien von Bedeutung, die seit dem Wiener Kongress Teil des österreichischen Kaisertums wurden. Ebenfalls der österreichischen Einflusssphäre zugeordnet waren die habsburgischen Sekundogenituren (Nebenlinien) in der Toskana und in Modena.

In diesen Gebieten war die habsburgische Präsenz im 19. Jahrhundert konfrontiert mit den immer stärker werdenden Einigungsbestrebungen des italienischen Risorgimento. Ein besonderer Impuls war hier die napoleonische Herrschaft in Italien, die erstmals die Jahrhunderte lange staatliche und dynastische Zersplitterung der italienischen Gebiete zum Teil überwand. Obwohl dies zunächst nur ein Zwischenspiel darstellte, wurde das Ideal der nationalen Einigung Italiens über alle kulturellen und ökonomischen Unterschiede hinweg zu einem Leitgedanken der italienischen Nationsbewegung.

Der Kampf um den italienischen Nationalstaat war emanzipatorisch ausgerichtet. Hier fielen die revolutionären Forderungen nach bürgerlicher und nationaler Emanzipation auf fruchtbaren Boden. Als Hindernis für die Durchsetzung des nationalen und zugleich freiheitlichen Verfassungsstaates wurden die dynastischen Obrigkeitsstaaten angesehen, in die die Apenninenhalbinsel zerfallen war. Im wirtschaftlich und kulturell hoch entwickelten Norditalien wurde die österreichische Präsenz als Fremdherrschaft gesehen.

Obwohl die österreichische Herrschaft durchaus als Reformperiode gelten kann – die altösterreichische Verwaltung wird in diesen Gebieten unter dem Schlagwort „Buon governo“ zum Teil bis heute idealisiert –, zeichnete sich die Wiener Zentralregierung nicht durch ein besonders sensibles Vorgehen aus. Durch den Einsatz landfremder Beamter brüskierte man die lokalen Eliten, wobei weniger gesamtitalienische Gefühle als der starke Lokalpatriotismus verletzt wurden. Denn prinzipiell waren die norditalienischen Eliten anfangs durchaus zur Kooperation mit der österreichischen Herrschaft bereit. Die von einem starken Regionalbewusstsein geprägten Lombarden und Venezianer verlangten nach Autonomie und waren nicht unbedingt gesamtitalienisch gesinnt.

In der Mitte des 19. Jahrhunderts entwickelte sich Sardinien-Piemont unter der Herrschaft der Dynastie Savoyen zur Keimzelle der Einigung Italiens. Dieser aufstrebende Staat war eine regionale Macht, die sich geschickt zwischen den Großmächten positioniert hatte und sich als treibende Kraft in den Einigungsbestrebungen auf der Apenninenhalbinsel etablieren konnte. Das politische Mastermind war der Staatsmann Camillo Conte di Cavour (1810-1861), der mit französischer Unterstützung eine anti-österreichische Kriegspolitik verfolgte.

Für die österreichische Politik war die Aufrechterhaltung der Macht in Norditalien gegen äußere und innere Widerstände nur mit starker Militärpräsenz zu bewerkstelligen, die jedoch enorm kostspielig war. Die außenpolitische isolierte und innerlich geschwächte Habsburgermonarchie verlor hier rasch an Terrain. Der Verlust der reichen norditalienischen Provinzen Lombardei (1859) und Venetien (1866) war eine folgenreiche Niederlage für Franz Joseph, dessen neoabsolutistisches Regime dadurch gehörig ins Wanken kam.

In den unter habsburgischer Herrschaft verbliebenen italienischsprachigen Gebieten Tirols und im Küstenland war die österreichische Verwaltung nun mit einer neuen oppositionellen politischen Kraft konfrontiert: Der Irredentismus, worunter man die nationale „Erlösung“ der unter Fremdherrschaft lebenden Italiener verstand, wurde der Kampfruf des 1861 ausgerufenen Königreiches Italien. Nach der Angliederung des päpstlichen Kirchenstaates 1870 lief die Maximalforderung der italienischen nationalistischen Politik auf den Anspruch auf die gesamte adriatische Küstenregion mit Istrien und Dalmatien sowie auf den südlichen Alpenraum hinaus, wodurch auch historische Kerngebiete der Habsburgermonarchie berührt wurden.

Im südlichen Teil Tirols schwankten die lokalen Vertreter der italienischen Volksgruppe zwischen dem historischen Tiroler Landesbewusstsein und dem Verlangen nach einer Vereinigung mit dem neuen italienischen Nationalstaat. So war in den ländlichen Regionen des Trentino die katholisch-konservative Mehrheit durchaus pro-österreichisch gesinnt. Erst die allgemeine Radikalisierung der nationalistischen Agitation in den 1890er Jahren ließ die Neigung zum italienischen Irredentismus erstarken. Wie verfahren die Positionen zwischen deutschen und italienischen Nationalisten bereits waren, zeigten die Krawalle in Innsbruck, als 1904 eine italienischsprachige juridische Fakultät an der Innsbrucker Universität eröffnet wurde. Es kam zu gewalttätigen Großdemonstrationen und Ausschreitungen gegen italienische Einrichtungen und Geschäfte in der Tiroler Hauptstadt. 

Bibliografie 

Blaas, Richard: Die italienische Frage und das österreichische Parlament 1859–1879, in: Mitteilungen des Österreichischen Staatsarchivs 22 (1969), 151–245

Rumpler, Helmut: Eine Chance für Mitteleuropa. Bürgerliche Emanzipation und Staatsverfall in der Habsburgermonarchie [Österreichische Geschichte 1804–1914, hrsg. von Herwig Wolfram], Wien 2005

Corsini, Umberto: Die Italiener, in: Wandruszka, Adam/Urbanitsch, Peter (Hrsg.): Die Habsburgermonarchie 1848–1918, Band III: Die Völker des Reiches, Wien 1980, Teilband 2, 839–879

Inhalte mit Bezug zu diesem Kapitel

Aspekt

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    „Viribus unitis“ oder Völkerkerker?

    Der Vielvölkerstaat Österreich-Ungarn bildete einen mehr oder weniger stabilen Rahmen für die Koexistenz einer Vielzahl nationaler Gemeinschaften.

    Die viel beschworene „Einheit in der Vielfalt“ wurde in der Realität von zahlreichen Ungleichheiten überschattet. Dies zeigte sich vor allem im unterschiedlichen Ausmaß, in dem einzelne Sprachgruppen an der politischen und ökonomischen Macht beteiligt waren.

Personen, Objekte & Ereignisse

Entwicklungen

  • Entwicklung

    Der Weg zur Nation – Nationale Programme und Positionen

    Das ‚Werden der Nationen’ war in Europa Teil des Emanzipationsprozesses breiterer Bevölkerungsschichten aus feudaler Bevormundung. Gemäß den Idealen der Aufklärung und der Französischen Revolution sollte die Nation – nun verstanden als Gemeinschaft freier Bürger – anstelle feudaler Potentaten die Rolle des eigentlichen Souveräns übernehmen.

    Die Idee der Nation wurde als Schicksalsgemeinschaft definiert, die durch gemeinsame Abstammung, Kultur und Sprache verbunden war. Zur Stärkung des Gruppengefühls wurde eine verbindliche Sicht der Geschichte der eigenen Nation geschaffen.