„Waffenbrüder“: Österreich-Ungarn und Deutschland als Partner und Verbündete

Die oft beschworene „Waffenbrüderschaft“ zwischen Wien und Berlin war in Wirklichkeit ein Zweckbündnis zwischen zwei sehr ungleichen „Brüdern“, die zuweilen in Rivalität zueinander standen.

Seit der Niederlage gegen Preußen in der Schlacht von Königgrätz 1866 war das Selbstbewusstsein der österreichischen Eliten erschüttert. Der Habsburgermonarchie spielte in Bismarcks Großmachtplänen für Deutschland die Rolle eines Juniorpartners. Den Verlust der Hegemonie im deutschsprachigen Raum konnte man an der Donau nie ganz überwinden.

Aus der Wiener Perspektive wurde der Aufstieg des geeinten Deutschen Kaiserreichs nach 1871 zwiespältig betrachtet: Der preußische Militarismus wurde insgeheim bewundert, in der wirtschaftlichen Entwicklung diente das Deutsche Reich vielfach als Vorbild. Den zweiten Rang einzunehmen nagte jedoch am Selbstverständnis der Wiener Politik. Dies sorgte auch innenpolitisch für Zündstoff, da der erstarkende radikale Flügel der deutschnationalen Bewegung in der Habsburgermonarchie zunehmend nach Berlin und nicht nach Wien blickte.

Deutschland – ein junger Nationalstaat, der mit der neu erworbenen Position als politische und ökonomische Großmacht erst umzugehen lernte – hatte wenig Verständnis für die spezifischen Probleme des Vielvölkerreiches und dessen komplexer Struktur. Verkürzt formuliert, sah man in Österreich-Ungarn ein sich überlebt habendes Relikt der dynastischen Politik vergangener Jahrhunderte. „Österreich“ stand für Erschöpfung, Dekadenz, Schlamperei und Inkonsequenz.

Dies führte zu einer Reihe von Fehleinschätzungen über die Stärken bzw. Schwächen des jeweils Anderen: Die Möglichkeiten Deutschlands wurde von Wien oftmals überschätzt, während Berlin die alte Habsburgermonarchie zuweilen unterschätzte.

Als im Juli 1914 alle Zeichen auf Krieg standen, wurde klar, wie divergierend die Vorstellungen der beiden Bündnispartner waren. Es gab keine konkreten Absprachen bezüglich der Kriegsziele: Die Kriegspolitik der Donaumonarchie war auf Serbien und den Balkan fokussiert, während Deutschland von Anfang sein Hauptaugenmerk auf den Konflikt mit Frankreich legte.

Erstaunlich gering war auch die militärisch-strategische Kooperation zwischen den Verbündete am Vorabend des Krieges, die eher an ein Konkurrenzverhältnis als an eine Waffenbrüderschaft denken ließ. Die jeweiligen Militärapparate übten sich in strengster Geheimhaltung und gewährten einander möglichst wenig Einsichtnahme in strategische und logistische Belange. Erst als der Krieg begann, ging es darum, die Karten offen auf den Tisch zu legen, da ein koordiniertes gemeinsames Vorgehen sonst unmöglich wäre.

So erklärt sich das Erstaunen der deutschen Heeresleitung über die anfänglichen Probleme bei der Generalmobilmachung in Österreich-Ungarn im August 1914, als der österreichische Generalstab erklärte, erst in einer Frist von 14 Tagen die Armee auf Kriegszustand bringen zu können: Der Großteil der Soldaten des primär agrarisch geprägten Staates befand sich auf Ernteurlaub. Die Donaumonarchie war offensichtlich nicht vorbereitet auf einen Krieg.

Dies zeigte sich auch im weiteren Kriegsverlauf, als die massiven Versorgungs- und Nachschubprobleme der österreichischen Armee und auch der Verwaltung im Hinterland in Bezug auf Versorgung und Nachschub zutage traten. Die anfänglich wenig glücklich agierende österreichische Armee geriet v. a. an der Ostfront in eine immer größere Abhängigkeit von deutscher Waffenhilfe.

Dies führte dazu, dass im Sommer 1916 das Heft vollständig von der deutschen Heeresleitung übernommen wurde. Wien gab gezwungenermaßen die Zustimmung zu einem gemeinsamen Oberkommando, was de facto die Unterstellung der österreichischen Generalität unter deutsches Kommando bedeutete. In der Öffentlichkeit wurde die „Nibelungentreue“ der beiden Bündnispartner pathetisch beschworen, „off records“ sprach der österreichische Generalstabschef Conrad von Hötzendorf aber von Deutschland als „unserem geheimen Feind“.

Bibliografie 

Bihl, Wolfdieter: Der Erste Weltkrieg 1914–1918. Chronik – Daten – Fakten, Wien/Köln/Weimar 2010

Hamann, Brigitte: Der Erste Weltkrieg. Wahrheit und Lüge in Bildern und Texten, 2. Aufl., München 2009

Hanisch, Ernst: Der lange Schatten des Staates. Österreichische Gesellschaftsgeschichte im 20. Jahrhundert [Österreichische Geschichte 1890–1990, hrsg. von Herwig Wolfram], Wien 2005

Hirschfeld, Gerhard/Krumeich, Gerd/Renz, Irina (Hrsg.): Enzyklopädie Erster Weltkrieg. Aktualisierte und erweiterte Studienausgabe, Paderborn/Wien [u.a.] 2009        

Geiss, Imanuel: Deutschland und Österreich-Ungarn beim Kriegsausbruch 1914. Eine machthistorische Analyse, in: Gehler,Michael/Schmidt, Rainer F. (Hrsg): Ungleiche Partner? Österreich und Deutschland in ihrer gegenseitigen Wahrnehmung (Historische Mitteilungen der Rankegesellschaft Beiheft 15), Stuttgart 1996, 375–398

Leidinger Hannes/Moritz, Verena: Der Erste Weltkrieg, Wien [u.a.] 2011

Rauchensteiner, Manfried: Der Erste Weltkrieg und das Ende der Habsburgermonarchie 1914–1918, Wien u. a. 2013

Inhalte mit Bezug zu diesem Kapitel

Aspekt

Personen, Objekte & Ereignisse