Der Einsatz neuer Waffentechniken brachte eine Reihe neuartiger Verletzungen und Erkrankungen hervor, welche die Medizin vor große Herausforderungen stellte.
Die Kriegschirurgen beschäftigten sich eingehend mit der Waffentechnik bzw. der Auswirkung von Geschossen auf den menschlichen Körper, um eine entsprechende Behandlung gewährleisten zu können. Sowohl aufseiten der Mittelmächte als auch der Entente kamen völkerrechtlich verbotene Geschosse zum Einsatz. Das IV. Haager Abkommen aus dem Jahr 1907 untersagte den „Gebrauch von Waffen, Geschossen oder Stoffen, die geeignet sind, unnötig Leiden zu verursachen“. Davon betroffen waren insbesondere die sogenannten Dumdumgeschosse, Teilmantel- oder Hohlspitzgeschosse. Bei diesen kommt es innerhalb des Körpers entweder zur Zerlegung der Kugel in kleine Teile oder zum ‚Aufpilzen’ des Projektils, sodass sich der Durchmesser des Geschosses verdoppelt. Bereits ein einziger Treffer verursacht schwere Verletzungen der Weichteile mit hohem Blutverlust und übermäßig großen Austrittswunden. Aufgrund der vielen Splitter des Projektils gestaltete sich die Versorgung der Wunde als besonders schwierig. Soldaten, die von einem Dumdumgeschoss getroffen wurden, hatten unverhältnismäßig große Qualen zu erleiden.
Artillerie-Granatsplitterverletzungen stellten drei Viertel aller Verwundungen dar. Sie verursachten die Abtrennung und Demolierung ganzer Körperteile und führten aufgrund der zahlreichen Splitter, die sich im Körper verteilten, zu massivem Blutverlust. Schwindelgefühl, Schwerhörigkeit, Lähmungen und Blutungen aus Nase und Mund waren die Folge einer Granatenexplosion. Auch die Handgranate führte zu fürchterlichen Verletzungen, Verlust von Extremitäten und Verbrennungen. Hinzu kamen all die schweren Verwundungen, die von Fliegerbomben, Minenwerfern und Landminenexplosionen verursacht wurden. Insbesondere die Verwendung von Kampfgasen wie Chlor, Phosgen oder Senfgas forderte massenhafte Opfer. Diejenigen, die den Giftgasangriff überlebten, hatten oftmals an Lungenentzündung und schmerzhaften Verbrennungen zu leiden.
Die Behandlung der Verwundeten an der Front erfolgte häufig unter ungünstigen Bedingungen. Operationen fanden noch auf den Hilfsplätzen statt, die häufig unter Beschuss standen. Vereinzelt wurden auch Amputationen am Hilfsplatz durchgeführt. Das Sanitätspersonal war nur unzureichend ausgebildet. Es fehlte an Blutkonserven, Sauerstoff und Beatmungsgeräten. Auch das verfügbare Verbandsmaterial sowie das Morphium reichten für eine adäquate Versorgung der verletzten Soldaten nicht aus. Zur Behandlung von Wunden wurde Jod verwendet, Antibiotika standen noch nicht zur Verfügung. Blutvergiftung, Wundstarrkrampf (Tetanus) und Gasbrand als Folge einer Verwundung führten häufig zum Tod. Mit dem prophylaktischen Einsatz von Tetanus-Impfungen nach den ersten Kriegsmonaten ging die Zahl der an Wundstarrkrampf verstorbenen Soldaten jedoch erheblich zurück.
Besonderes Entsetzen riefen die zahlreichen Kiefer- und Gesichtsverletzungen hervor, welche die Soldaten bis zur Unkenntlichkeit verunstalteten. Vielen fehlte das halbe Gesicht, das durch eine Prothese ersetzt werden musste. Trotz der Forschritte der plastischen Chirurgie blieben viele Soldaten ihr Leben lang entstellt. „Das Gesicht dieser Welt wird eine Prothese sein“, formulierte Karl Kraus in der Fackel vom November 1916. Kraus’ Zitat verdeutlicht die allgemeine Bestürzung über die unzähligen kieferverletzten Männer. Ihre Beschädigungen wurden zum Symbol für die Schrecken bzw. Gräuel des Großen Krieges von 1914–1918.
Biwald, Brigitte: Von Helden und Krüppeln. Das österreichisch-ungarische Militärsanitätswesen im Ersten Weltkrieg. Teil 2, Wien 2002
Kraus, Karl: Die Fackel, Heft 437-442, 31.10.1916, 120. Unter: http://corpus1.aac.ac.at/fackel/ (23.06.2014)
Zitate:
„Gebrauch von Waffen …“: IV. Haager Abkommen, zitiert nach: Biwald, Brigitte: Von Helden und Krüppeln. Das österreichisch-ungarische Militärsanitätswesen im Ersten Weltkrieg. Teil 2, Wien 2002, 475
„Das Gesicht dieser Welt …“: Kraus, Karl: Die Fackel, Heft 437-442, 31.10.1916, 120. Unter: http://corpus1.aac.ac.at/fackel/ (23.06.2014)
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Kapitel
- Der Krieg als Laboratorium
- Medizin als Waffe
- „ …die Doktoren hatten nicht einmal Schürzen über ihrer Uniform.“
- Von Waffen und Wunden
- ‚Der innere Feind’
- Im Kampf gegen den ‚inneren Feind’
- Die Spanische Grippe von 1918
- Vom Zucken, Zittern und Torkeln
- Zwischen Hysterie und Neurasthenie
- Nervenversager oder Simulanten?