Versorgung der Truppen – Mangel, Ersatz und Hunger
Die Versorgungssituation an der Front wie in der Heimat war eines der zentralen Themen in den Feldpostkorrespondenzen der Offiziere und Mannschaftssoldaten. Nachfragen und Sorgen wegen der ausreichenden Ernährung der Familien in der Heimat finden sich dort ebenso wie wiederkehrende Bitten um Lebensmittel, Tabak, neue Wäsche, warme Sachen, Stiefel und anderes mehr. Daneben waren die Briefe von ausführlichen Beschreibungen der täglichen Essensportionen und -rationen dominiert. Vor allem auf Seiten der Mannschaftssoldaten wurden diese Beschreibungen im Verlauf der vier Kriegsjahre immer mehr auch von Schilderungen des Mangels, der schlechten Qualität der Nahrungsmittel und des Hungers begleitet.
Als eines der obersten Ziele des österreichisch-ungarischen Militärapparats galt die Erhaltung der physischen und psychischen ‚Kampfeskraft‘ der Soldaten. Um diese zu gewährleisten, sollten sie idealerweise mit ausreichender und abwechslungsreicher Ernährung versorgt werden. Dies scheiterte nicht zuletzt schon am militärischen Grundsatz, wonach die Verpflegung der Truppen in erster Linie aus dem umliegenden Operationsraum erfolgen sollte. Damit hingen die Versorgungsverhältnisse stark von den jeweiligen Kampfgebieten ab, was höchst unterschiedliche Verpflegungssituationen mit sich brachte.
Prinzipiell war vorgesehen, am jeweiligen Kriegsschauplatz Verpflegungsstätten zu errichten, von denen Lebensmittel, Bau- und Heizmaterial durch Fuhrwerke zu den Truppen gebracht werden sollten. „Für die eintägige Verpflegung einer Infanteriedivision“ brauchte es beispielsweise, so Isabelle Brandauer, „rund 40 Tonnen Naturalien […] für deren Transport je nach Ladekapazität der vorhandenen Wagentypen 50 bis 100 Ladefuhren notwendig waren“. War ein solches Tagesquantum aufgebraucht, erfolgte die Auffüllung und Wiederbeschaffung, so wiederum Brandauer, einerseits durch Requirierungen vor Ort, andererseits führte man die Vorräte aus fahrbaren Verpflegungseinrichtungen oder durch die Eisenbahn zu. Vor allem Fleisch und Brot, beides Lebensmittel, die nur kurz haltbar waren, wurden in erster Linie durch Requirierungen oder durch Kauf vor Ort beschafft. Als Alternative setzte man zudem fahrbare Backöfen ein, in denen frisches Brot hergestellt werden konnte; in den Hochgebirgsstellungen an der Südwest-Front besorgten dies sogenannte Gebirgsbacköfen.
Waren die Truppen in Bewegung, wurden sie im Trainbereich von fahrenden Feldküchen begleitet. Diese wurden meist von Pferden gezogen und konnten „eine[r] Mannschaft von 250 Personen“ verköstigen. Oftmals blieben die sperrigen und schwerfälligen Trains jedoch zurück, denn die vom Regen aufgeweichten und verschlammten Böden, Schnee oder Eis erschwerten das Weiterkommen.
Um die Soldaten in den auf bis zu über 3.000 Meter (die höchste Geschützstellung befand sich auf dem Ortler in 3.852 Höhenmetern) liegenden Stellungen der Südwest-Front mit Lebensmitteln, Bekleidung und Munition versorgen zu können, wurden Seilbahnen, Lasttiere und Träger eingesetzt. Der mühsame und kräfteraubende Weg auf die Gipfel wurde gerade im Winter, wenn starker Schnee fiel, oder aber auch im Frühling, wenn Tauwetter einsetzte, durch Lawinenabgänge oder Überschwemmungen und Muren noch zusätzlich erschwert. Der Aufstieg und der Transport waren daher oft unmöglich oder nur unter erhöhtem Risiko und der Gefahr von Verschüttung und Tod zu bewältigen.
Die problematische Versorgungssituation, die im Gebirgskrieg durch die geografischen und klimatischen Bedingungen noch verschärft wurde, liest sich in einer Schilderung des Soldaten Josef Mittermaier, der am Monte Cristallo in den Dolomiten eingesetzt war, folgendermaßen: „Die Menage konnte immer erst um oder nach Mitternacht gebracht werden: eine kalte stinkige Fleischsuppe mit einem meist schlecht gesottenen Stückchen Fleisch, eine halbe Scheibe hartes Brot; manchmal etwas kalten Drahtverhau, wie wir das Sauerkraut oder das, was ein Sauerkraut sein sollte, nannten. Für den Morgen gab es ein Stück Surrogat-Kaffee; es hatte sich das Gerücht verbreitet, es handelt sich dabei um zerstampfte Käfer, Rossmist, geröstete Heupellen und etwas Zucker. Dazu in der Feldflasche kaltes Wasser.“
Im Verlauf des Krieges mussten immer mehr Nahrungsmittel mit Ersatzstoffen versetzt oder durch diese gänzlich ersetzt werden, wodurch viele Lebensmittel ungenießbar wurden. Sie standen jedoch ebenso am Speisezettel der Soldaten wie verdorbenes oder bereits schimmeliges Essen. Hinzu kamen wiederholte Engpässe in der Versorgung mit Nahrungsmitteln, so dass auch der Hunger nicht selten auf der Tagesordnung stand.
Die mangelnde Ernährung und Versorgung der Mannschaftssoldaten hatte auch negative Auswirkungen auf ihren Gesundheitszustand. Wie Elisabeth Dietrich betont, häuften sich Fälle von Unterernährung, was bei einer Tagesration von einer „halbe[n] Fleischkonserve, etwas Dörrgemüse und eine[m] Maisklumpen als Brot“ im Frühjahr 1918 nicht überrascht. So belief sich das Durchschnittsgewicht der Soldaten zu Kriegsende nur mehr auf 55 Kilogramm.
Dass der Themenkomplex „Ernährung und Versorgung“ auch auf die großen Standesunterschiede zwischen den Mannschaftsoldaten und ihren vorgesetzten Offizieren verweist, zeigt eine Speisenfolge aus der Offiziers-Messe der k. u. k. 24 cm Kanonen-Batterie. Sie bestand noch im August 1918 sowohl aus „Fleischsuppe, Rindfleisch und Schweinsbraten“ als auch aus „Schokolade, Kompott, Biskuit und Kaffee“.
Biwald, Brigitte: Von Helden und Krüppeln. Das österreichisch-ungarische Militärsanitätswesen im Ersten Weltkrieg, Teil 2, Wien 2002
Brandauer, Isabelle: Menschenmaterial Soldat. Alltagsleben an der Dolomitenfront im Ersten Weltkrieg 1915–1917, Innsbruck 2007
Dietrich, Elisabeth: Der andere Tod. Seuchen, Volkskrankheiten, und Gesundheitswesen im ersten Weltkrieg, in: Eisterer, Klaus/Steininger, Rolf (Hrsg.): Tirol und der Erste Weltkrieg, Innsbruck/Wien 1995, 255–275
Hämmerle, Christa: Soldaten, in: Labanca, Nicola/Überegger, Oswald (Hrsg.): Krieg in den Alpen. Österreich-Ungarn und Italien im Krieg, Wien/Köln/Weimar 2014, im Druck
Zitate:
„Dies scheiterte nicht zuletzt ...“: Brandauer, Isabelle: Menschenmaterial Soldat. Alltagsleben an der Dolomitenfront im Ersten Weltkrieg 1915–1917, Innsbruck 2007, 204
„Für die eintägige Versorgung …“: Brandauer, Isabelle: Menschenmaterial Soldat. Alltagsleben an der Dolomitenfront im Ersten Weltkrieg 1915–1917, Innsbruck 2007, 205
„War ein solches Tagesquantum …“: Brandauer, Isabelle: Menschenmaterial Soldat. Alltagsleben an der Dolomitenfront im Ersten Weltkrieg 1915–1917, Innsbruck 2007, 205
„Vor allem Fleisch …“: Brandauer, Isabelle: Menschenmaterial Soldat. Alltagsleben an der Dolomitenfront im Ersten Weltkrieg 1915–1917, Innsbruck 2007, 206-208
„eine[r] Mannschaft von …“: Brandauer, Isabelle: Menschenmaterial Soldat. Alltagsleben an der Dolomitenfront im Ersten Weltkrieg 1915–1917, Innsbruck 2007, 208
„Die Menage konnte ...“: Mittermaier, Johann: Der Schrecken des Krieges. Die Erinnerungen eines Südtiroler Kaiserjägers aus dem 1. Weltkrieg, Brixen 2005, 74, zitiert nach: Brandauer, Isabelle: Menschenmaterial Soldat. Alltagsleben an der Dolomitenfront im Ersten Weltkrieg 1915–1917, Innsbruck 2007, 219
„halbe[n] Fleischkonserve, etwas ...“: Dietrich, Elisabeth: Der andere Tod. Seuchen, Volkskrankheiten, und Gesundheitswesen im ersten Weltkrieg, in: Eisterer, Klaus/Steininger, Rolf (Hrsg.): Tirol und der Erste Weltkrieg, Innsbruck/Wien 1995, 265
„So belief sich das Durchschnittsgewicht …“: Dietrich, Elisabeth: Der andere Tod. Seuchen, Volkskrankheiten, und Gesundheitswesen im ersten Weltkrieg, in: Eisterer, Klaus/Steininger, Rolf (Hrsg.): Tirol und der Erste Weltkrieg, Innsbruck/Wien 1995, 265
„Fleischsuppe, Rindfleisch und Schweinsbraten ...“: Leopold Wolf, Offiziers-Messe. Speisen-Folge, 17. August 1918, Sammlung Frauennachlässe, Nachlass 14, Institut für Geschichte der Universität Wien
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Kapitel
- Die Geschichtslosen?
- Der Weg an die Front
- Die Ernüchterung folgt auf dem Fuße
- Versorgung der Truppen – Mangel, Ersatz und Hunger
- Der Glanz der Montur erlischt
- (K)ein Dach über dem Kopf
- ‚Alltag‘ ohne Kampfgeschehen – ‚Alltag‘ trotz Kampfgeschehens
- Ein konfliktträchtiges Zusammensein
- Töten und getötet werden