Die Ernüchterung folgt auf dem Fuße

Der über vier Jahre lang dauernde Erste Weltkrieg war nicht nur ein langer Krieg, sondern auch einer, der an sehr verschiedenartigen Kriegsschauplätzen geführt wurde. Für viele k. u. k. Soldaten bedeutete dies, sich erstmals in bis dahin unbekannten Ländern zu bewegen und mit der dort ansässigen Bevölkerung in Kontakt zu kommen.
 

In Tagebüchern und Feldpostbriefen finden sich daher ausführliche Beschreibungen von Landschaften, Gebäuden und Dörfern, Schilderungen über landesübliche Sitten und Gebräuche sowie Erzählungen über die einheimische Bevölkerung, die nicht selten auch mit vorurteilsbeladenen und rassistisch aufgeladenen Zuschreibungen einhergingen.

Mehr noch als das ‚Fremde‘, wurden von den k. u. k. Truppen jedoch das Klima, die Witterung und das Wetter wahrgenommen, das von Schnee und Lawinen, Eis und Tauwetter, über Sturmböen und anhaltende Regenfälle bis hin zu unerträglichen Hitzewellen reichte. So schilderte ein Offizier des 58. Infanterieregiments den Rückzug von der San-Linie im November 1914 mit den folgenden Worten: „Schneidende Herbstkälte. Schneeregen. Aufgeweichte Wege, von Tausenden Soldatenstiefeln zertreten, von Wagenrädern und Artilleriegespannen zerfurcht. Marsch mit vollem Gepäck. Die Ruhr grassierte. Übernachtet wurde auf freiem Feld oder in Schuppen, durch die der Wind pfiff. Unerträgliche Müdigkeit – Rast in feuchten Gräben am Wegesrand, wo man auf der Stelle einschlief. Essen in der Nacht, sobald die Feldküche zur Kompagnie gestoßen war. Und schließlich die schlimmste Soldatenplage – Läuse, Läuse und noch einmal Läuse […]. Es gab weder Platz noch Zeit sie zu vernichten.“

Die Strapazen dieses Rückmarsches wurden nicht nur durch die Witterungsverhältnisse verursacht, sondern auch – und das betraf insbesondere die Soldaten der Infanterie – durch die Lasten, die über Tage zu tragen waren. So mussten Bajonett, Mantel, Decke, Zeltausrüstung, Wäsche, Patronen, Stahlhelm (erst ab 1916), ein Notvorrat u.a.m. mitgenommen werden, alles in allem eine Last von rund 20 kg. Dieses Gewicht konnte sich um weitere fünf bis sechs Kilogramm erhöhen, zählte man, so Isabelle Brandauer, das Gewehr mitsamt Riemen hinzu, oder wenn im Winter Wollhandschuhe, Gamaschen, gestrickte Unterhemden und -hosen oder diverses Feldgerät, wie Kochgeschirr, Wassereimer, Spaten oder eine Laterne, noch zusätzlich zu tragen waren.

Die unzureichende Winterausrüstung, das Übernachten im Freien, fehlende Wasservorräte und ausbleibende Versorgung durch die nachrückenden Feldküchen führten schon früh zu ersten Hunger- und Mangelerfahrungen sowie zu Krankheiten wie der Ruhr. Sie breitete sich relativ bald nach Kriegsbeginn in Serbien, Bosnien, Südungarn, Galizien und Russland aus. Da das systematische Impfen der Mannschaften, wie Elisabeth Dietrich betonte, erst im zweiten Kriegsjahr 1915 eingeführt wurde, erkrankten bis dahin an die 120.000 Soldaten an der Ruhr, weitere 5.000 Soldaten waren bis zu diesem Zeitpunkt bereits verstorben.

Bibliografie 

Biwald, Brigitte: Von Helden und Krüppeln. Das österreichisch-ungarische Militärsanitätswesen im Ersten Weltkrieg, Teil 2, Wien 2002

Brandauer, Isabelle: Menschenmaterial Soldat. Alltagsleben an der Dolomitenfront im Ersten Weltkrieg 1915–1917, Innsbruck 2007

Dietrich, Elisabeth: Der andere Tod. Seuchen, Volkskrankheiten, und Gesundheitswesen im ersten Weltkrieg, in: Eisterer, Klaus/Steininger, Rolf (Hrsg.): Tirol und der Erste Weltkrieg, Innsbruck/Wien 1995, 255–275

Hämmerle, Christa: Soldaten, in: Labanca, Nicola/Überegger, Oswald (Hrsg.): Krieg in den Alpen. Österreich-Ungarn und Italien im Krieg, Wien/Köln/Weimar 2014, im Druck

Szlanta, Piotr: Unter dem sinkenden Stern der Habsburger. Die Ostfronterfahrung polnischer k.u.k. Soldaten, in: Bachinger, Bernhard/Dornik, Wolfram (Hrsg.): Jenseits des Schützengrabens. Der Erste Weltkrieg im Osten: Erfahrungen – Wahrnehmungen – Kontext, Innsbruck/Wien/Bozen 2013, 139–156

 

Zitate:

„Schneidende Herbstkälte. Schneeregen ...“: Stanisław Sosabowski, zitiert nach: Zlanta, Piotr: Unter dem sinkenden Stern der Habsburger. Die Ostfronterfahrung polnischer k. u. k. Soldaten, in: Bachinger, Bernhard/Dornik, Wolfram (Hrsg.): Jenseits des Schützengrabens. Der Erste Weltkrieg im Osten: Erfahrungen – Wahrnehmungen – Kontext, Innsbruck/Wien/Bozen 2013, 147

„Dieses Gewicht konnte sich …“: Brandauer, Isabelle: Menschenmaterial Soldat. Alltagsleben an der Dolomitenfront im Ersten Weltkrieg, 1915 – 1917, Innsbruck 2007, 126

„[…] erkrankten bis dahin …“: Zahlenangaben, zitiert nach: Dietrich, Elisabeth: Der andere Tod. Seuchen, Volkskrankheiten, und Gesundheitswesen im ersten Weltkrieg, in: Eisterer, Klaus/Steininger, Rolf (Hrsg.): Tirol und der Erste Weltkrieg, Innsbruck/Wien 1995, 258

Inhalte mit Bezug zu diesem Kapitel

Aspekt

  • Aspekt

    Der industrialisierte Krieg

    Der Erste Weltkrieg war ein Krieg des enormen Materialeinsatzes. Die Armeen mit ihren Massenheeren mussten ausgerüstet und versorgt werden. Die Materialschlachten wären ohne die großindustrielle Herstellung von Waffen und anderen kriegsnotwendigen Produkten unmöglich gewesen. Nur durch die gesamtgesellschaftliche Mobilisierung aller zur Verfügung stehenden Ressourcen konnte die riesige Kriegsmaschinerie aufrechterhalten werden.

Personen, Objekte & Ereignisse

  • Objekt

    Das „Ich“ im Krieg

    Lange Zeit wurde der Erste Weltkrieg nur aus dem Blickwinkel öffentlicher Persönlichkeiten oder Generäle erzählt. Wie die Bevölkerung der österreichisch-ungarischen Monarchie den Krieg erlebte und überlebte, blieb hingegen im Dunkel der Geschichte verborgen. Gerade sogenannte „Ego-Dokumente“ - wie dieses Tagebuch - geben uns jedoch neue und vielfältige Einblicke in die individuellen Erlebnisse, Erfahrungen und Sinndeutungen der Menschen im Krieg.

Entwicklungen

  • Entwicklung

    Alltag an der (Heimat) Front

    Wie gestaltete sich der Alltag in der Heimat und an den Fronten während der Jahre 1914 bis 1918? Lässt sich der Alltag einer bürgerlichen Frau mit jenem einer Arbeiterin vergleichen? Machte ein Offizier dieselben Fronterfahrungen wie ein Mannschaftssoldat? Oder müssen wir nicht eher davon ausgehen, dass wir es mit einer immensen Fülle an Einzelerlebnissen und -erfahrungen zu tun haben, die den Kriegsalltag der Bevölkerung und der Soldaten an den Fronten prägten?