Während des Ersten Weltkriegs war das Verhältnis zwischen Mannschaftssoldaten und Offizieren von großen Standesgegensätzen und daraus resultierenden Konflikten geprägt. Auch innerhalb der Truppen kam es unter anderem bedingt durch das in der k. u. k. Armee vorherrschende Nationalitätengemisch immer wieder zu Spannungen.
Ob jemand ‚Tscheche‘, ‚Böhm‘ oder ‚Tiroler‘ war, ob sich ein im Zivilberuf tätiger Schlosser von einem als minderwertig angesehenen Berufsvertreter Befehle geben lassen musste, ob ein Bauer mehr „Heimaturlaub“ zugestanden bekam, weil er bei der Einbringung der jährlichen Ernte helfen musste – das alles rief Spannungen und Konflikte zwischen den Soldaten hervor. Stereotype Vorstellungen, Vorurteile und das Gefühl ungerecht behandelt zu werden spielten eine ebenso große Rolle wie die Fortschreibung zivilgesellschaftlicher Hierarchien und Machtverhältnisse.
Militärische Hierarchiesysteme und das in der k. u. k. Armee besonders stark ausgeprägte Standesbewusstsein des Offiziers führten zu einem oft äußerst konfliktbeladenen Verhältnis zwischen den Mannschaftssoldaten und ihren Vorgesetzten – bis hin zum regelrechten „Offiziershass“. Ungerechte Behandlungen, Diskriminierungen und Beschimpfungen trugen dazu ebenso bei wie physische und psychische Misshandlungen. Hinzu kam die Bevorzugung und Besserstellung der Offiziere bei Verpflegung und Unterkünften.
Die sogenannte „Frontsekkiererei“, wie die Soldaten die vielfach als willkürlich wahrgenommene Befehlsgewalt ihrer vorgesetzten Offiziere und Chargen bezeichneten, war dann auch, so Oswald Überegger, „eine der häufigsten Ursachen für Pflicht- und Gehorsamsverletzungen, die sich in der Regel auf bloße Verweigerung beschränkten, aber, (…), auch zu Tätlichkeiten ausarten konnten“.
In einem Tagebucheintrag des Offiziersstellvertreters Hartinger vom 30. Jänner 1917 liest sich dies folgendermaßen: „Heute war gr. Gerichtstag. Eine Patrouille bestehend aus 1 Korporal und 2 Mann (Horchposten) weigern sich nachts vor die Hindernisse zu gehen und der Korporal erklärt, dass er Vater von 7 Kindern sei und sein Leben nicht leichtsinnig wegen einer Marotte des Kommandanten auf das Spiel setze. Der Mann wird zwei Stunden lang im Graben angebunden. In mir kocht es. Vom Manne verlangt man, dass er unter allen Umständen aus seinem gesicherten Unterstand hinaus muss, während viele Offiziere im Gefühle ihrer Unersetzlichkeit nicht um eine Burg zu bewegen sind, sich einmal die Stellung ihrer Leute anzusehen.“
Körperliche Strafen, sogenannte „Leibesstrafen“, waren in der k. u. k Armee auch während des Ersten Weltkriegs noch üblich – schon „bei leichten Disziplinarvergehen“ wie unreinem Essgeschirr oder dem Verzehr einer Reserveportion konnten sie verhängt werden. Die körperliche Bestrafung für solche ‚Delikte‘ reichte dabei vom „Anbinden“ bis hin zum sogenannten „Schließen in Spangen“.
Welche katastrophalen Auswirkungen beispielsweise das „Anbinden“ für die Soldaten im Winter bei Minusgraden und im Schnee haben konnte, notierte der Kaiserjäger Franz Huter im Februar 1915 in sein Tagebuch: „Ständig mußten wir antreten, (…). Zwei Wiener, die ihre Reserveportionen aufgegessen hatten, wurden zwei Stunden angebunden. Wie sie losgemacht wurden, fielen beide zu Boden. Sie hatten sich die Füße erfroren. Vierzehn Tage später kam vom Feldspital die Nachricht, daß man beiden die Füße abnehmen hatte müssen.“
Erst im März 1917 ordnete Kaiser Karl an, dass das „Anbinden“ aus dem Dienstreglement zu entfernen sei. Mitte Juni 1917 wurde schließlich auch das „Schließen in Spangen“ verboten. Allerdings wurde, so Christa Hämmerle, dieses Verbot auf Grund der häufiger werdenden soldatischen Dienst- und Gehorsamsverweigerungen bereits 1918 wieder rückgängig gemacht.
Biwald, Brigitte: Von Helden und Krüppeln. Das österreichisch-ungarische Militärsanitätswesen im Ersten Weltkrieg, Teil 2, Wien 2002
Brandauer, Isabelle: Menschenmaterial Soldat. Alltagsleben an der Dolomitenfront im Ersten Weltkrieg 1915–1917, Innsbruck 2007
Hämmerle, Christa: „…dort wurden wir dressiert und sekkiert und geschlagen…“ Vom Drill, dem Disziplinarstrafrecht und Soldatenmisshandlungen im Heer (1868 bis 1914), in: Cole, Laurence/Hämmerle, Christa/Scheutz, Martin (Hg.): Glanz, Gewalt, Gehorsam. Militär und Gesellschaft in der Habsburgermonarchie (1880 bis 1918), Essen 2011, 31-54
Hämmerle, Christa: Soldaten, in: Labanca, Nicola/Überegger, Oswald (Hrsg.): Krieg in den Alpen. Österreich-Ungarn und Italien im Krieg, Wien/Köln/Weimar 2014, im Druck
Hanisch, Ernst: Männlichkeiten: eine andere Geschichte des 20. Jahrhunderts, Wien 2005
Hautmann, Hans: Sittenbilder aus dem Hause Habsburg im Weltkriege, in: Ders.: Von der Permanenz des Klassenkampfes und den Schurkereien der Mächtigen. Aufsätze und Referate für die Alfred Klahr Gesellschaft, Wien 2013. Unter: http://www.klahrgesellschaft.at/Mitteilungen/Hautmann_2_08.pdf (23.06.2014)
Überegger, Oswald: Der andere Krieg. Die Tiroler Militärgerichtsbarkeit im Ersten Weltkrieg, Innsbruck 2002
Ziemann, Benjamin: Front und Heimat. Ländliche Kriegserfahrungen im südlichen Bayern 1914 – 1923, Essen 1997
Zitate:
„Ob jemand ‚Tscheche‘, ‚Böhm‘ …“: Brandauer, Isabelle: Menschenmaterial Soldat. Alltagsleben an der Dolomitenfront im Ersten Weltkrieg 1915–1917, Innsbruck 2007, 109
„Frontsekkiererei“: Überegger, Oswald: Der andere Krieg. Die Tiroler Militärgerichtsbarkeit im Ersten Weltkrieg, Innsbruck 2002, 310
„eine der häufigsten Ursachen ....“: Überegger, Oswald: Der andere Krieg. Die Tiroler Militärgerichtsbarkeit im Ersten Weltkrieg, Innsbruck 2002, 310
„Heute war gr. Gerichtstag ...“: Kriegsarchiv (KA), Nachlässe B/428, 224: Hartinger, 30.01.1917, zitiert nach: Hanisch, Ernst: Männlichkeiten: eine andere Geschichte des 20. Jahrhunderts, Wien 2005, 39
„bei leichten Disziplinarvergehen“ : Hautmann, Hans: Sittenbilder aus dem Hause Habsburg im Weltkriege, in: Ders.: Von der Permanenz des Klassenkampfes und den Schurkereien der Mächtigen. Aufsätze und Referate für die Alfred Klahr Gesellschaft, Wien 2013. Unter: http://www.klahrgesellschaft.at/Mitteilungen/Hautmann_2_08.pdf, S. 13 (23.06.2014)
„Ständig mußten wir antreten ….“: Huter, Franz: Kaiserjägertagebuch, S. 34–95, zitiert nach: Biwald, Brigitte: Von Helden und Krüppeln. Das österreichisch-ungarische Militärsanitätswesen im Ersten Weltkrieg, Teil 2, Wien 2002, 356
„Allerdings wurde dieses Verbot ...“: Hämmerle, Christa: Soldaten, in: Labanca, Nicola/Überegger, Oswald (Hrsg.): Krieg in den Alpen. Österreich-Ungarn und Italien im Krieg, Wien/Köln/Weimar 2014, im Druck
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Kapitel
- Die Geschichtslosen?
- Der Weg an die Front
- Die Ernüchterung folgt auf dem Fuße
- Versorgung der Truppen – Mangel, Ersatz und Hunger
- Der Glanz der Montur erlischt
- (K)ein Dach über dem Kopf
- ‚Alltag‘ ohne Kampfgeschehen – ‚Alltag‘ trotz Kampfgeschehens
- Ein konfliktträchtiges Zusammensein
- Töten und getötet werden