Verbotene Kriegsmittel: Dumdum-Geschosse und Giftgaseinsatz

Die Kriegführenden haben kein unbeschränktes Recht in der Wahl der Mittel zur Schädigung des Feindes.“ So steht es im Artikel 22 der Haager Landkriegsordnung. Dass die Kriegsteilnehmer – vom einzelnen Soldaten bis zu den Befehlshabern – hier zuweilen ‚freizügiger‘ agierten als dies das Kriegsrecht erlaubte, zeigt der Einsatz von Dumdum-Geschossen und Giftgas.

Die Kriegsparteien warfen sich gegenseitig den Gebrauch von „Waffen, Geschossen oder Stoffen [vor], die geneigt sind, unnötige Leiden zu verursachen“. Die Verwendung derartiger Mittel war laut Artikel 23(e) der Haager Landkriegsordnung (HLKO) strikt verboten. Zu den illegitimen Kampfmitteln zählten beispielsweise die verheerenden Spreng- und Dumdum-Geschosse, die aufgrund ihrer Zerlege- bzw. Deformationswirkung den Getroffenen schwerste Verletzungen zufügten. Ihr Einsatz wurde den jeweiligen Gegnern vorgeworfen – welche ihn wiederum vehement abstritten. Durch die Vielzahl an schwersten Schussverletzungen und Kugelresten stand jedoch fest, dass Dumdum-Geschosse in Gebrauch waren. Heute gilt es als weitgehend unbestritten, dass die Verwendung dieser Geschosse von keiner der Kriegsparteien systematisch angeordnet wurde. Dass diese Geschosse dennoch zum Einsatz kamen, geht auf die kämpfenden Soldaten selbst zurück: Um ihren Feinden möglichst schwere Verletzungen zuzufügen, manipulierten einige von ihnen die ausgegebene Munition. Technisch gestaltete sich diese Veränderung überaus simpel, hatte man doch lediglich die Spitzen der Projektile einzukerben oder abzuflachen, um aus den Vollmantelgeschossen verbotene Deformationsgeschosse zu fabrizieren.

Einen weiteren Streitpunkt zwischen den Kriegsparteien stellte der Einsatz von Giftgas dar. Die Verwendung von „Gift oder vergifteten Waffen“ war laut Artikel 23(a) der HLKO eindeutig verboten. Dennoch legten manche Kommentatoren die gesetzlichen Bestimmungen so aus, dass lediglich der heimtückische Gebrauch von Gift völkerrechtswidrig sei. Der offene Einsatz, so argumentierten sie, sei im Gegensatz dazu als legitim zu betrachten. Obwohl dies von der Mehrheit der Rechtsexperten explizit abgelehnt wurde, setzten die Kriegsparteien dieses Kampfmittel letztlich ein. Der folgenschwere Tabubruch wurde von deutschen Truppen erstmals am 22. April 1915 bei Ypern (Belgien) begangen, als Chlorgas gegen eine britische Stellung eingesetzt wurde. Hierauf begann eine aus völkerrechtlicher Perspektive bedenkliche Entwicklung. Denn obwohl die Alliierten Giftgase als grausame und an sich illegitime Kampfstoffe anerkannten, setzten sie diese seit Herbst 1915 selbst ein. Argumentiert wurde dieser Schritt damit, dass die Verwendung eine gleichwertige Repressalie darstellte. Obwohl dieser Begriff in der HLKO nicht vorgesehen war, galt es als allgemeiner Konsens unter den Konfliktparteien, dass Repressalien als „[...] Erwiderung gleichartiger, von dem Kriegsgegner vorher vorgenommener Verletzungen der Völkerrechts“ legitim seien.

Durch die Rechtsfigur der Repressalie konnte das Kriegsrecht – wurde es einmal von einer der Konfliktparteien verletzt – von den anderen jederzeit ausgehebelt werden. Dass dies auch geschah, zeigte sich neben den Giftgas-Einsätzen auch am Beispiel kriegsrechtswidriger Luftbombardements. So reagierten die Franzosen auf die deutschen Bombardements der Städte Bar-le-Duc, Amiens, Reims oder Saint-Dié ihrerseits mit der Bombardierung von Freiburg, Trier, Stuttgart und Karlsruhe.

Bibliografie 

Kramer, Alan: Kriegsrecht und Kriegsverbrechen, in: Hirschfeld, Gerhard/Krumreich, Gerd/Renz, Irina (Hrsg.): Enzyklopädie Erster Weltkrieg, 3. Auflage, Paderborn/München/Wien/et al. 2009, 281-292

Liszt, von Franz: Das Völkerrecht, bearb. von Max Fleischmann, 12. Auflage, Berlin 1925

Lexikalische Einträge zu Dumdumgeschossen und Giftgas in: Hirschfeld, Gerhard/Krumreich, Gerd/Renz, Irina (Hrsg.): Enzyklopädie Erster Weltkrieg, 3. Auflage, Paderborn/München/Wien/et al. 2009, 450/519

Martinetz, Dieter: Vom Giftpfeil zum Chemiewaffenverbot. Zur Geschichte der chemischen Kampfmittel, Frankfurt/Main 1995

 

Zitate:

„[...] Erwiderung gleichartiger, von dem Kriegsgegner...": Liszt, von Franz: Das Völkerrecht, bearb. von Max Fleischmann, 12. Auflage, Berlin 1925, 457

Inhalte mit Bezug zu diesem Kapitel

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    Gewalt im Krieg

    Gewalt war im Ersten Weltkrieg ein gesellschaftlich umfassendes Phänomen. Soldaten, Zivilisten, Frauen, Männer, Kinder und Greise waren auf die eine oder andere Weise mit ihr konfrontiert. Wie man Gewalt erlebte war unterschiedlich: Sie wurde ausgeübt und erlitten, sie war von physischer und psychischer Prägung, sie fand auf struktureller wie individueller Ebene statt, man erfuhr sie direkt oder indirekt.

Personen, Objekte & Ereignisse

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    Gewalterfahrungen

    Während manche der Frontsoldaten das „Stahlbad des Waffenganges“ als Apotheose ihrer eigenen Männlichkeit erfuhren, litt die Mehrheit der Soldaten an ihren körperlichen und/oder psychischen Verletzungen. Die Zerstörungskraft des modernen Maschinenkriegs und die psychischen Belastungen durch das tagelange Ausharren in den Schützengräben, der Lärm des Trommelfeuers und der Anblick schwer verwundeter oder verstümmelter Kameraden produzierte neben physischen „Kriegsversehrten“ auch massenhaft psychische „Kriegsneurotiker“.