Umbauen für den Krieg: Die Baracken- und Lazarettstadt Wien

Der Kriegsbeginn stellte für die dynamische Stadtentwicklung und die glanzvolle Baugeschichte Wiens eine Zäsur dar. Was gebaut wurde, diktierte der Krieg, sein unglücklicher Verlauf und seine ungenügende Vorbereitung und Organisation. Der stete Zustrom von Flüchtlingen und verletzten Soldaten erzwang den Umbau Wiens zu einer Baracken- und Lazarettstadt.

Im Zeichen des Krieges erfolgte der Ausbau der Befestigungsanlagen auf dem Bisamberg und auf der Linie Kahlenberg-Sophienalpe („Brückenkopf Wien“), weiters kam es zu einer Erweiterung der Rüstungsbetriebe im Arsenal. Als Neubauten strategischer Bedeutung können überdies die Schiffsbautechnische Versuchsanstalt und die Exportakademie (und spätere Hochschule für Welthandel) bezeichnet werden. Fertig gestellt wurden die Oesterreichisch-Ungarische Bank (und heutige Nationalbank) und das Technische Museum. Im Jänner 1915 verfügte der Gemeinderat die Ausschreibung eines Wettbewerbs für eine österreichische Völker- und Ruhmeshalle. Ansonsten gab es kaum Aufträge für öffentliche Hochbauten. Geplant waren diverse sog. „Kinderberge“ (Kinderheimstätten) in den Wiener Außenbezirken, von denen letztlich nur einige Bauten verwirklicht wurden. Der Krieg schuf neue Prioritäten.

Wien war und blieb während des Krieges eindeutig das „militärische Logistikzentrum“ der Habsburgermonarchie, war „das zentrale Verwaltungszentrum aller Kriegsanstrengungen an der Front und im Hinterland“. Wien war wichtige Kasernenstadt und wurde während des Krieges sowohl zum Versorgungsplatz für Verletzte wie für Flüchtlinge aus den Kriegsgebieten. Der wohl wichtigste Schwerpunkt der Bautätigkeit lag in der Errichtung von Barackenlagern (in Simmering, Favoriten, Meidling und Grinzing), die der ärztlichen Versorgung der zehntausenden Verwundeten dienten. So entstanden allein bis März 1916 sieben Kriegsspitäler, 91 Hilfsspitäler des Roten Kreuzes, elf Notspitäler, 19 Ausspeisungshallen und neun Anstalten für gemeinnützige Zwecke. Dazu kam, dass zahlreiche Krankheiten grassierten: Tuberkulose, Blattern oder Typhus. Hunger, Schmutz und mangelnde Hygiene trugen zu ihrer rasanten Verbreitung bei. Ein weiterer baulicher Schwerpunkt ergab sich aus der Versorgungsmisere. Wien brauchte Lagerkapazitäten für die kriegsnotwendige Vorratshaltung. Neben dem Bau des Städtischen Kühlhauses wurden die neuen Lagerhallen im Freudenauer Winterhafen von der Gemeinde übernommen.

Die Kriegserfordernisse zogen einen Adaptionsprozess nach sich. Hotels und Pensionen wurden angemietet, um die neu geschaffenen Ämter und Stellen unterzubringen. Leer stehende Gebäude (wie das Freihaus oder der alte Zirkus in der Zirkusgasse) fanden als Soldatenquartiere ebenso Verwendung wie frühere Tanzlokale und Restaurants. Nahezu die Hälfte der Wiener Schulen wurde unmittelbar nach Kriegsausbruch militärischen Zwecken gewidmet, diente als Quartier für Soldaten, später für Verletzte. Die Krankenhäuser der Stadt reichten für die Versorgung der Verletzten nicht mehr aus, selbst Ringstraßengebäude wie Universität, Parlament, Secession und Künstlerhaus wurden zu Spitälern umfunktioniert. Wien war zu einem riesigen Spital geworden, 1915 ist beispielsweise von 260.000 Verwundeten in Wiener Spitälern die Rede. Für die Pflege verletzter Soldaten wurden Waisenhäuser geräumt, die Waisenkinder gegen Unkostenbeiträge an bürgerliche Familien vergeben. Notunterkünfte für die vorwiegend mittellosen Flüchtlinge, für Obdachlose etc. zu errichten, blieb auch nach dem Krieg oberste Priorität. Die Gemeinde begann 1919 mit dem Umbau von aufgelassenen Barackenanlagen und einigen Schulhäusern zu Notwohnungen, in nicht mehr benützten Räumen der Kagraner und der Rossauer Kaserne sowie im Arsenal wurden 515 Notwohnungen für Obdachlose geschaffen, im Krieg nicht fertig gestellte Häuser wurden aufgekauft und adaptiert.

Noch eine Veränderung machte sich im Alltag bemerkbar. Die wachsende, sich mit Flüchtlingen, Soldaten, Verletzten füllende Stadt zog die Notwendigkeit von Verkehrsplanungen und -regeln nach sich, wegen des zunehmenden Chaos auf den Straßen, sich häufender Unfälle und der Überfüllung der Straßenbahnen. Diese wurden vor allem für Lasten- und Verwundetentransporte genutzt. Es häuften sich die Aufrufe an die Dienststellen, das Überfüllungsverbot einzuhalten. Als kuriose Nebenerscheinung dieser „Verregelung“ des Stadtraums kann das Verbot für ungesicherte Hutnadeln (in der Straßenbahn) gewertet werden.

Bibliografie 

Békési, Sándor: Straßenbahnstadt wider Willen oder zur Verkehrsmobilität im Hinterland, in: Pfoser, Alfred/Weigl, Andreas (Hrsg.): Im Epizentrum des Zusammenbruchs. Wien im Ersten Weltkrieg, Wien 2013, 452-461

Fischer, Karl: Garnison, militärische Einrichtungen, in: Csendes, Peter/Opll, Ferdinand (Hrsg.): Die Stadt Wien (Österreichisches Städtebuch 7), Wien 1999, 185-210

Hufschmied, Richard: Energie für die Stadt. Die Kohlenversorgung von Wien im Ersten Weltkrieg, in: Pfoser, Alfred/Weigl, Andreas (Hrsg.): Im Epizentrum des Zusammenbruchs. Wien im Ersten Weltkrieg, Wien 2013, 180-189

Pfoser, Alfred/Weigl, Andreas: Die Pflicht zu sterben und das Recht zu leben. Der Erste Weltkrieg als bleibendes Trauma in der Geschichte Wiens, in: Pfoser, Alfred/Weigl, Andreas (Hrsg.): Im Epizentrum des Zusammenbruchs. Wien im Ersten Weltkrieg, Wien 2013, 14-31

Zitate:

„Wien war das zentrale Verwaltungszentrum aller Kriegsanstrengungen …“: Pfoser, Alfred/Weigl, Andreas: Die Pflicht zu sterben und das Recht zu leben. Der Erste Weltkrieg als bleibendes Trauma in der Geschichte Wiens, in: Pfoser, Alfred/Weigl, Andreas (Hrsg.): Im Epizentrum des Zusammenbruchs. Wien im Ersten Weltkrieg, Wien 2013, 16

Inhalte mit Bezug zu diesem Kapitel

Aspekt

Personen, Objekte & Ereignisse

  • Objekt

    Kriegsinvalidität

    Wie kein anderer Krieg zuvor ließ der Erste Weltkrieg ein Heer von verwundeten, erkrankten und für ihr Leben gezeichneten Männern zurück. Mechanische Behelfsmittel wie diese Schreibhilfe sollten die körperliche Funktionalität der Kriegsbeschädigten wiederherstellen und deren Reintegration in den Arbeitsmarkt gewährleisten. Wie groß die Zahl derer aber tatsächlich war, die verwundet oder erkrankt von der Front zurückkehrten, war selbst Jahre nach dem Krieg nicht bekannt. 1922 dürften in Österreich etwa 143.000 Kriegsbeschädigte gelebt haben.

  • Objekt

    Flucht und Deportation

    Millionen von Menschen flohen während des Krieges vor den Kampfhandlungen und den marodierenden Soldaten. Besonders dramatisch erwies sich die Situation in den ethnisch heterogen zusammengesetzten Gebieten der Ostfront. Neben den Invasoren gingen hier auch die Soldaten des Ansässigkeitsstaates gegen die Bevölkerungsminderheiten vor. Darüber hinaus wurden hunderttausende Zivilisten aus den Front- und Etappenbereichen ins Hinterland zwangsdeportiert: Zum einen, weil da man sie als unzuverlässige „innere Feinde“ betrachtete, zu anderen um sie als Zwangsarbeiter auszubeuten.

  • Objekt

    Mangel und Elend

    Als im Jänner 1915 die Bevölkerung auf ausbleibende Brot- und Mehllieferungen mit Panikkäufen reagierte, führte die Kriegs-Getreide-Verkehrsanstalt das Bezugskartensystem ein. Pro-Kopf-Quoten wurden festgesetzt und über Brot- und Mehlkarten verteilt. Doch selbst die zugewiesenen Rationen konnten angesichts der Krise immer seltener ausgegeben werden und die Papierscheine erwiesen sich als wertlos.

Entwicklungen

  • Entwicklung

    Alltag an der (Heimat) Front

    Wie gestaltete sich der Alltag in der Heimat und an den Fronten während der Jahre 1914 bis 1918? Lässt sich der Alltag einer bürgerlichen Frau mit jenem einer Arbeiterin vergleichen? Machte ein Offizier dieselben Fronterfahrungen wie ein Mannschaftssoldat? Oder müssen wir nicht eher davon ausgehen, dass wir es mit einer immensen Fülle an Einzelerlebnissen und -erfahrungen zu tun haben, die den Kriegsalltag der Bevölkerung und der Soldaten an den Fronten prägten?