Die Pressezensur im Ersten Weltkrieg

Am 25. Juli 1914 wurde „die Veröffentlichung militärischer Nachrichten in Druckschriften“  durch eine „Verordnung der Ministerien des Inneren und der Justiz ausdrücklich verboten“.
 

Weitere Verordnungen sollten die in 'Feindesländern' veröffentlichten Druckschriften kontrollieren: So war die Einfuhr periodisch erscheinender Publikationen grundsätzlich verboten, nicht-periodisch erscheinende mussten zur Überprüfung bei der zuständigen Landes- oder Polizeistelle vorgelegt werden. Sämtliche Zeitungen, die aus dem neutralen Ausland stammten, wurden durch die Polizei zensiert.

Diese extensiven Bestimmungen in der österreichischen Reichshälfte wurden in den verbündeten und neutralen Staaten „zunehmend mit Befremden registriert“ und vor allem vonseiten der inländischen Journalisten waren bald heftige Klagen und Kritik an den bestehenden Verhältnissen zu hören. Die Zensurinstanzen, so die Vorwürfe, würden die einzelnen Blätter sehr unterschiedlich und unausgewogen zensieren, sie arbeiteten langsam und unterdrückten oftmals völlig willkürlich auch unbedeutende Inhalte. Ein weiterer Stein des Anstoßes für die inländischen Journalisten war die um einiges mildere Zensur in Ungarn und dem Deutschen Reich. Gerüchte kamen auf, wonach der deutschen Presse amtlich ausgegebene Kriegsnachrichten aus Österreich übermittelt würden und man in deren Blättern mehr als in den eigenen über die österreichisch-ungarischen Operationen erfahren könne.

Die berüchtigten weißen Flecken, mit denen die Tageszeitungen durchzogen waren, wirkten mit der Zeit zunehmend kontraproduktiv in Hinblick auf die propagandistischen Bemühungen von offizieller Seite. Bei den Leserinnen und Lesern ließen die Blankostellen den Eindruck zurück, dass die abgedruckten Nachrichten keineswegs der ganzen Wahrheit entsprachen; der ausgesparte Rest blieb ihrer Vorstellungskraft überlassen. Diese Politik der Nicht-Information führte zur Verbreitung von Gerüchten, wodurch nicht selten die unglaublichsten Inhalte kursierten.

Die Arbeiterinnen-Zeitung, das Organ der sozialdemokratischen Frauen, konnte zwar während des Krieges erscheinen, ihre Ausgaben waren aber durchzogen von konfiszierten Stellen. Dies veranlasste die Herausgeberinnen, so Maureen Healy, die weißen Flecken mit Kommentaren zu und für die Zensoren zu füllen, die seltsamerweise, wie die Historikerin feststellte, nicht zensiert wurden. Einer dieser weißen Flecken wurde am 22. August 1916 folgendermaßen ‚gefüllt‘: „Der geplante Leitartikel dieser Nummer wurde vollständig konfisziert. Um das Erscheinen des Blattes nicht zu verzögern, müssen wir darauf verzichten, einen anderen Leitartikel – vielleicht wieder für den Zensor – zu bringen. Genossinnen! Seid überzeugt, daß eure Zeitung nicht versäumt, dem Ausdruck zu geben, was dem Wunsch aller Frauen entspricht, aber es gibt Mächte, gegen welche die unsrige nicht ausreicht. Steht umso treuer zu eurer Zeitung. Endlich, endlich muß es doch anders werden.“

Bibliografie 

Ehrenpreis, Petronilla: Kriegs- und Friedensziele im Diskurs. Regierung und deutschsprachige Öffentlichkeit Österreich-Ungarns während des Ersten Weltkriegs, Innsbruck/Wien/Bozen 2005

Healy, Maureen: Vienna and the Fall of the Habsburg Empire. Total War and Everyday Life in World War I, 2. Auflage, Cambridge/New York 2006

Spann, Gustav: Zensur in Österreich während des Ersten Weltkrieges 1914-1918, Unveröffentlichte Dissertation, Universität Wien 1972

 

Zitate:

„die Veröffentlichung militärischer Nachrichten ...“: zitiert nach: Spann, Gustav: Zensur in Österreich während des Ersten Weltkrieges 1914-1918, Unveröffentlichte Dissertation, Universität Wien 1972, 48

„So war die Einfuhr periodisch ...“: Spann, Gustav: Zensur in Österreich während des Ersten Weltkrieges 1914-1918, Unveröffentlichte Dissertation, Universität Wien 1972, 49-50

„zunehmend mit Befremden registriert“: zitiert nach: Ehrenpreis, Petronilla: Kriegs- und Friedensziele im Diskurs. Regierung und deutschsprachige Öffentlichkeit Österreich-Ungarns während des Ersten Weltkriegs, Innsbruck/Wien/Bozen 2005, 76

„Gerüchte kamen auf, wonach …“: Ehrenpreis, Petronilla: Kriegs- und Friedensziele im Diskurs. Regierung und deutschsprachige Öffentlichkeit Österreich-Ungarns während des Ersten Weltkriegs, Innsbruck/Wien/Bozen 2005, 76

„Die berüchtigten weißen Flecken, ...“: Healy, Maureen: Vienna and the Fall of the Habsburg Empire. Total War and Everyday Life in World War I, 2. Auflage, Cambridge/New York 2006, 133

„Dies veranlasste die Herausgeberinnen …“: Healy, Maureen: Vienna and the Fall of the Habsburg Empire. Total War and Everyday Life in World War I, 2. Auflage, Cambridge/New York 2006, 133

„Der geplante Leitartikel ...“: Arbeiterinnen-Zeitung. Sozialdemokratisches Organ für Frauen und Mädchen, 22.08.1916, zitiert nach: Healy, Maureen: Vienna and the Fall of the Habsburg Empire. Total War and Everyday Life in World War I, 2. Auflage, Cambridge/New York 2006, 133

 

 

 

Inhalte mit Bezug zu diesem Kapitel

Personen, Objekte & Ereignisse

  • Objekt

    Überwachung & Kontrolle

    Der Alltag in der Habsburgermonarchie war von Propaganda, Überwachung und Kontrolle gekennzeichnet. Die vielen „weißen“ Flecken in den Tageszeitungen zeugen davon ebenso wie Eingriffe in private Briefe und Telegramme. Gleichzeitig wurde durch Bild, Text und Ton versucht, ein einheitliches und kriegsbejahendes Stimmungsbild zu verbreiten. Ausgeschlossen davon waren nicht einmal die jüngsten Bewohner des Reiches; auch die Schulen der Monarchie wurden zu Orten der staatlichen Einflussnahme.

Entwicklungen

  • Entwicklung

    Alltag an der (Heimat) Front

    Wie gestaltete sich der Alltag in der Heimat und an den Fronten während der Jahre 1914 bis 1918? Lässt sich der Alltag einer bürgerlichen Frau mit jenem einer Arbeiterin vergleichen? Machte ein Offizier dieselben Fronterfahrungen wie ein Mannschaftssoldat? Oder müssen wir nicht eher davon ausgehen, dass wir es mit einer immensen Fülle an Einzelerlebnissen und -erfahrungen zu tun haben, die den Kriegsalltag der Bevölkerung und der Soldaten an den Fronten prägten?