„Kriegsabsolutismus“ – und die Aufhebung staatsbürgerlicher Rechte

Mit der militärischen Mobilmachung wurde in Österreich-Ungarn ein politisches Zwangssystem geschaffen, das in der historischen Literatur als „Kriegsabsolutismus“ bezeichnet wird. Möglich wurde dies durch mehrere rechtliche Ausnahmebestimmungen, die bereits in der Dezemberverfassung des Jahres 1867 festgelegt worden waren, darunter das § 14-Notverordnungsrecht des Kaisers (Staatsgrundgesetz über die Reichsvertretung) sowie Artikel 20 (Staatsgrundgesetz über die allgemeinen Recht der Staatsbürger für die im Reichsrathe vertretenen Königreiche und Länder) über die Suspension ausgewählter Grundrechte.

Bis zum Ausbruch des Ersten Weltkrieges war der österreichische Parlamentarismus durch die Widerstände und Unstimmigkeiten zwischen und innerhalb der einzelnen Nationalitäten der Habsburgermonarchie geprägt. Der österreichische Reichsrat wurde dadurch in seiner Funktionsfähigkeit beeinträchtigt, was wiederholt zu seiner sprichwörtlichen ‚Lahmlegung‘ führte. So auch am 16. März 1914, als ihn die Regierung unter Ministerpräsident Karl Graf Stürgkh erneut auf unbestimmte Zeit vertagte. Die Kriegs- und Ausnahmeverfügungen erließ man daher über den sogenannten „Diktaturparagraphen“ (Joseph Redlich), den § 14 des Staatsgrundgesetzes über die Reichsvertretung von 1867.

Am 26. Juli 1914, also schon zwei Tage vor der offiziellen Kriegserklärung an Serbien, trat damit ein rechtliches Ausnahmeinstrument für den Kriegszustand in Kraft, dessen Vorbereitung sowohl auf die zweite Hälfte des 19. Jahrhunderts als auch auf das Jahr 1912  (Erlass von Ausnahmeverfügungen für den Kriegsfall) zurückging. Diese Notverordnungen suspendierten das Recht der Freiheit der Person sowie das Versammlungs- und Vereinsrecht. Außerdem kam es zur Aufhebung des Briefgeheimnisses, der Unverletzlichkeit des Hausrechtes sowie der Rede- und Pressefreiheit. Daneben wurden Geschworenengerichte in allen Ländern der österreichischen Reichshälfte eingestellt, Zivilpersonen in gewissen Bereichen und bei gewissen Tatbeständen der Militärgerichtsbarkeit zugeteilt und alle kriegswichtigen Industriebetriebe in Cisleithanien unter das im Jahr 1912 erlassene Kriegsleistungsgesetz gestellt. Damit waren sie einer militärischen Leitung sowie die Belegschaft der militärischen Disziplinar- und Strafgewalt untergeordnet.

Im Vergleich zu den anderen kriegsführenden Ländern gingen die Ausnahmebestimmungen, so der Historiker Hans Hautmann, in der Habsburgermonarchie damit am weitesten. Für die Bevölkerung brachte der Ausnahmezustand vor allem eine einschneidende Beschränkung ihrer Persönlichkeitsrechte beziehungsweise allgemeiner staatsbürgerlicher Rechte, die militärischen Zielen untergeordnet wurden.

Bibliografie 

Ehrenpreis, Petronilla: Kriegs- und Friedensziele im Diskurs. Regierung und deutschsprachige Öffentlichkeit Österreich-Ungarns während des Ersten Weltkriegs, Innsbruck/Wien/Bozen 2005

Hautmann, Hans: Kriegsgesetze und Militärjustiz in der österreichischen Reichshälfte 1914-1918, in: Weinzierl, Erika/Stadler, Karl R. (Hrsg.): Justiz und Zeitgeschichte, Wien 1977, 101-122

Kuprian, Hermann J.W.: Warfare–Welfare. Gesellschaft, Politik und Militarisierung in Österreich während des Ersten Weltkrieges, in: Mazohl-Wallnig, Brigitte/Kuprian, Hermann J.W./Barth-Scalmani, Gunda (Hrsg.): Ein Krieg–zwei Schützengräben. Österreich–Italien und der Erste Weltkrieg in den Dolomiten 1915-1918, Innsbruck/Bozen 2005, 165-177

Rebhan-Glück, Ines: „Wenn wir nur glücklich wieder beisammen wären …“ Der Krieg, der Frieden und die Liebe am Beispiel der Feldpostkorrespondenz von Mathilde und Ottokar Hanzel (1917/18), Unveröffentlichte Diplomarbeit, Wien 2010

Spann, Gustav: Zensur in Österreich während des Ersten Weltkrieges 1914-1918, Unveröffentlichte Dissertation, Universität Wien 1972

 

Zitate:

„Diktaturparagraph“: Joseph Redlich: Österreichische Regierung und Verwaltung im Weltkriege, Wien 1928, 113, zitiert nach: Hautmann, Hans: Kriegsgesetze und Militärjustiz in der österreichischen Reichshälfte 1914-1918, in: Weinzierl, Erika/Stadler, Karl R. (Hrsg.): Justiz und Zeitgeschichte, Wien 1977, 102

„Im Vergleich zu den anderen kriegsführenden Ländern …“: Hautmann, Hans: Kriegsgesetze und Militärjustiz in der österreichischen Reichshälfte 1914-1918, in: Weinzierl, Erika/Stadler, Karl R. (Hrsg.): Justiz und Zeitgeschichte, Wien 1977, 105

Inhalte mit Bezug zu diesem Kapitel

Personen, Objekte & Ereignisse

  • Objekt

    Überwachung & Kontrolle

    Der Alltag in der Habsburgermonarchie war von Propaganda, Überwachung und Kontrolle gekennzeichnet. Die vielen „weißen“ Flecken in den Tageszeitungen zeugen davon ebenso wie Eingriffe in private Briefe und Telegramme. Gleichzeitig wurde durch Bild, Text und Ton versucht, ein einheitliches und kriegsbejahendes Stimmungsbild zu verbreiten. Ausgeschlossen davon waren nicht einmal die jüngsten Bewohner des Reiches; auch die Schulen der Monarchie wurden zu Orten der staatlichen Einflussnahme.