Umgehung der Zensur und ‚Selbstzensur‘

Schon bald nach Kriegsbeginn entwickelten die Soldaten an den Fronten diverse Strategien, um der Briefzensur zu entkommen.
 

So wurden zum Beispiel Briefe an Kameraden mitgegeben, die von der Front auf „Heimaturlaub“ gingen. Sie konnten die Schreiben dann im Hinterland auf einem staatlichen Postamt abgeben, wodurch sie nicht in die Hände der Zensoren fielen. Gerade in solchen heimlich transportierten Briefen schrieben Soldaten oftmals über Angelegenheiten, die sie in offen abgegebenen Briefen oder Karten nicht zu formulieren wagten. In manchen Texten verwendeten die Soldaten auch eigene Codes, wie zum Beispiel in diesem Schreiben des Oberleutnants Ottokar Hanzel, der am 26. Juni 1915 an seine Ehefrau schrieb: „Für die Zukunft folgendes: Ich werde in meinen Nachrichten nichts unterstreichen. Sollte etwas unterstrichen sein, so ist das Gegenteil des Unterstrichenen richtig. Eingeklammerte Stellen meiner Nachrichten sind gegen die Wirklichkeit abgeschwächt.“

Da sich die Verfasser und Verfasserinnen von Feldpostkarten und -briefen der Zensur bewusst waren, wurden ‚problematische‘ Inhalte, aber auch als zu persönlich oder intim Empfundenes meist zurückgehalten.

Die für die meisten Frontsoldaten neuen Erlebnisse und Erfahrungen mit der alltäglichen Kriegsgewalt, dem Leiden und dem Tod ließen sich in den Briefen meist nur schwer thematisieren. Die Briefschreiber wollten ihr Gegenüber zudem nicht mit den Sorgen, Ängsten und Leiden an der Front konfrontieren, wodurch diese Inhalte zumeist ausgespart blieben. Gleichzeitig lässt sich jedoch feststellen, dass in den Feldpostbriefen aus dem Ersten Weltkrieg Unmutsäußerungen über die Zensoren oder das Verfassen von ‚unerwünschten‘ Inhalten vereinzelt durchaus vorkamen. Einige Schreiber, die sich auf diese Art und Weise in ihren Briefen äußerten, sprachen die Zensoren in diesen Briefen dann auch direkt an und verfassten an sie gerichtete Anmerkungen. So auch ein k. u. k. Soldat, der 1916 verwundet, von seinem Bataillon im Stich gelassen wurde und daraufhin in russische Kriegsgefangenschaft geriet. In einem Brief an seine Verlobte vom Juni 1917 schilderte er unumwunden die Geschichte seiner Verwundung und anschließenden Gefangennahme. Die ‚eigenen‘ Kameraden beziehungsweise der Zusammenhalt in seinem Bataillon wurden dabei eher in einem schlechten Licht dargestellt. Am Ende seines Briefes richtete der Briefschreiber dann noch die folgenden Zeilen an die Mitarbeiter der k. u. k Zensur: „Dieser Brief ist beinahe zu lang geraten. Aber ich apelliere [sic] an die Güte der Herren und Damen der Zensur und Milde walten zu lassen, der hart auf die Probe gestellten Geduld noch ein Opfer zu bringen und diese Zeilen meiner Marie unverkürtzt [sic] zukommen zu lassen.“

Bibliografie 

Ziemann, Benjamin: Feldpostbriefe und ihre Zensur in den zwei Weltkriegen, in: Beyrer, Klaus/Täubrich, Hans-Christian (Hrsg.): Der Brief. Eine Kulturgeschichte der schriftlichen Kommunikation,  Heidelberg 1996, 163-171

 

Zitate:

„Für die Zukunft folgendes ...“ : Ottokar Hanzel an Mathilde Hanzel, 26.06.1915, Sammlung Frauennachlässe, Nachlass 1, Institut für Geschichte der Universität Wien

„Dieser Brief ist beinahe ...“: Anonym an Anonym, Juni 1917, Sammlung Frauennachlässe, Nachlass 74, Institut für Geschichte der Universität Wien

Inhalte mit Bezug zu diesem Kapitel

Aspekt

  • Aspekt

    „In Verbindung bleiben“

    Der Erste Weltkrieg trennte oft über mehrere Jahre hinweg tausende Familien voneinander. Umso wichtiger war es für jeden Einzelnen, den Kontakt zu den Lieben in der Ferne aufrecht zu erhalten. Viele bis dahin im Schreiben ungeübte Menschen griffen nun zu Bleistift oder Füllfeder und versuchten, schriftlich mit ihren abwesenden Familien, Freunden und Bekannten in Verbindung zu bleiben.

Personen, Objekte & Ereignisse

  • Person

    Ottokar Hanzel

    Der im Zivilberuf als Gymnasiallehrer tätige Ottokar Hanzel aus Wien war während des Ersten Weltkriegs als Landsturm-Hauptmann an der Italienfront eingesetzt.

  • Objekt

    Kriegsgefangenschaft

    Im Mai 1916 schickt Anton Baumgartner eine Kriegsgefangenenpostkarte an seinen Sohn Otto im Gefangenenlager Nowo Nikolajewsk in Sibirien (heute Nowosibirsk). Otto Baumgartner ist nur einer von hunderttausenden Soldaten, die sich im Ersten Weltkrieg in feindlichem Gewahrsam befanden. Gemessen an der Gesamtstärke der jeweiligen Armeen geriet jeder dreizehnte Reichsdeutsche, jeder zehnte Franzose und Italiener, jeder fünfte Angehörige des zarischen Heeres und schließlich fast jeder Dritte der habsburgischen Streitkräfte im Laufe der Kampfhandlungen des Krieges in Gefangenschaft.

  • Objekt

    Das „Ich“ im Krieg

    Lange Zeit wurde der Erste Weltkrieg nur aus dem Blickwinkel öffentlicher Persönlichkeiten oder Generäle erzählt. Wie die Bevölkerung der österreichisch-ungarischen Monarchie den Krieg erlebte und überlebte, blieb hingegen im Dunkel der Geschichte verborgen. Gerade sogenannte „Ego-Dokumente“ - wie dieses Tagebuch - geben uns jedoch neue und vielfältige Einblicke in die individuellen Erlebnisse, Erfahrungen und Sinndeutungen der Menschen im Krieg.

  • Objekt

    Überwachung & Kontrolle

    Der Alltag in der Habsburgermonarchie war von Propaganda, Überwachung und Kontrolle gekennzeichnet. Die vielen „weißen“ Flecken in den Tageszeitungen zeugen davon ebenso wie Eingriffe in private Briefe und Telegramme. Gleichzeitig wurde durch Bild, Text und Ton versucht, ein einheitliches und kriegsbejahendes Stimmungsbild zu verbreiten. Ausgeschlossen davon waren nicht einmal die jüngsten Bewohner des Reiches; auch die Schulen der Monarchie wurden zu Orten der staatlichen Einflussnahme.

Entwicklungen

  • Entwicklung

    Alltag an der (Heimat) Front

    Wie gestaltete sich der Alltag in der Heimat und an den Fronten während der Jahre 1914 bis 1918? Lässt sich der Alltag einer bürgerlichen Frau mit jenem einer Arbeiterin vergleichen? Machte ein Offizier dieselben Fronterfahrungen wie ein Mannschaftssoldat? Oder müssen wir nicht eher davon ausgehen, dass wir es mit einer immensen Fülle an Einzelerlebnissen und -erfahrungen zu tun haben, die den Kriegsalltag der Bevölkerung und der Soldaten an den Fronten prägten?