Ein „Programm des Weltfriedens“ – Die 14 Punkte von Präsident Wilson

Thomas Woodrow Wilson (1856–1924), seit 1913 Präsident der USA, hielt am 8. Januar 1918 vor beiden Häusern des US-Kongresses eine programmatische Rede, in der er den Krieg als moralischen Kampf für Demokratie deutete und die Eckpunkte für die Nachkriegsordnung Europas darlegte.

Wilson forderte, die zwischenstaatlichen Beziehungen auf eine neue Basis zu stellen: So sollte die Geheimdiplomatie ein Ende haben und der zukünftige Frieden vor den Augen der Öffentlichkeit verhandelt werden. Ein weiterer Punkt betraf die Einrichtung eines „allgemeinen Verbandes der Nationen“ als Plattform zur Gewährleistung der politischen Unabhängigkeit und territorialen Unverletzbarkeit kleinerer Staaten. Dies führte 1920 zur Gründung des Völkerbundes als Vorläuferorganisation der Vereinten Nationen. Diese Initiative brachte Wilson später sogar den Friedensnobelpreis ein.

Daneben beinhaltete Wilsons Programm auch einige handelspolitische Punkte, wie z. B. die Garantie für freie Schifffahrt auf internationalen Gewässern und die Aufhebung wirtschaftlicher Schranken in den internationalen Handelsbeziehungen. Ein weiterer Punkt sprach die „unparteiische Ordnung der kolonialen Ansprüche“ an.

Neben diesen eher vage gehaltenen, allgemeinen Forderungen, die den Charakter eines Diskussionsanreizes hatten, enthielt die berühmte Rede aber auch konkrete Forderungen für eine territoriale Neuordnung Europas. Wilson verlangte von Deutschland eine Wiederherstellung Belgiens sowie die Rückgabe Elsass-Lothringens an Frankreich. Die besetzten russischen Gebiete müssten geräumt werden und Russland die Freiheit zur Gestaltung seiner politischen Entwicklung erhalten. Weiters sollte die geplante Friedensordnung die Errichtung eines unabhängigen polnischen Staates und eine Stabilisierung der Verhältnisse am Balkan und im Osmanischen Reich beinhalten.

Für die Habsburgermonarchie forderte Wilson eine Grenzziehung zu Italien entlang der Sprachgrenzen. Von besonderer Bedeutung sollte der von Wilson unterstütze Anspruch der Völker Österreich-Ungarns auf die Gewährung der „freiesten Möglichkeit autonomer Entwicklung“ sein.

Die Reaktionen waren gemischt: Die europäischen Alliierten der USA äußerten sich skeptisch über die ihrer Meinung nach zu idealistischen Forderungen. Berlin interpretierte Wilsons Programm als Grundlage für die Bedingungen für eine deutsche Kapitulation, denn aus deutscher Sicht schienen Wilsons Forderungen durchaus akzeptabel. Als dann die Ergebnisse der Friedensverhandlungen in den Pariser Vororteverträgen von 1919/20 deutlich davon abwichen, wurde dies in Deutschland als Vertrauensbruch gewertet und die Intentionen Wilsons extrem verzerrt dargestellt.

Auch in Wien wurde Wilsons Nachkriegsplan als annehmbar begrüßt. Vor allem sein Bemühen um die weitere Existenz der Doppelmonarchie wurde als Hoffnungsschimmer gesehen: Denn nach Wilson sollte der Vielvölkerstaat prinzipiell bestehen bleiben, wenn auch den einzelnen Nationalitäten größtmögliche Autonomie zu gewähren war.

Im Mai 1918 erfolgte jedoch seitens der USA ein fundamentaler Richtungswechsel gegenüber der Doppelmonarchie. Da die Habsburgermonarchie nicht von ihrem Bündnis mit Deutschland abweichen wollte, war nun die Zerschlagung Österreich-Ungarns kein Tabu mehr. Die Errichtung von Nationalstaaten in Zentraleuropa avancierte nun zum allgemeinen Ziel der Entente für die Neuordnung Europas nach Kriegsende.

Für die Habsburgermonarchie bedeutete dies den finalen Todesstoß, denn Wilsons Ruf nach „freiester Möglichkeit der autonomen Entwicklung“ wurde jetzt von den politischen Führern der zentraleuropäischen Nationalitäten als Aufruf zur nationalen Befreiung verstanden. Es befeuerte die Unabhängigkeitsbestrebungen der nicht-deutschen und nicht-magyarischen Volksgruppen, und die anti-österreichische Richtung gewann in der öffentlichen Meinung die Oberhand.

Das Schlagwort vom Selbstbestimmungsrecht der Völker („self-determination of the nations“) wurde nun zur Richtlinie für die territoriale Neugestaltung, obwohl dieses hehre Prinzip angesichts der historisch gewachsenen Verschränkung der ethnischen Gruppen und ihrer Siedlungsgebiete kaum auf Zentral- und Südosteuropa übertragbar war.

Bibliografie 

Bihl, Wolfdieter: Der Erste Weltkrieg 1914–1918. Chronik – Daten – Fakten, Wien/Köln/Weimar 2010

Inhalte mit Bezug zu diesem Kapitel

Aspekt

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    Nein zum Krieg

    Je länger der Krieg dauerte, desto mehr Stimmen wurden laut, die „Nein“ zum Krieg sagten. Dazu gehörten sowohl Vertreterinnen und Vertreter der österreichischen Friedensbewegung und Frauenbewegung als auch Teile der österreichisch-ungarischen Bevölkerung. Sie wurden im Verlauf des Konfliktes immer „kriegsmüder“, was sich in Streikbewegungen und Hungerkrawallen ebenso äußerte wie im Phänomen der Massendesertionen von Frontsoldaten am Ende des Krieges.

Personen, Objekte & Ereignisse

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