Im vierten Kriegsjahr machte sich eine allgemeine Erschöpfung breit. Die Versorgungssituation in der Habsburgermonarchie war katastrophal, die Stimmung in der Bevölkerung von Kriegsmüdigkeit geprägt. Die anfängliche Euphorie war längst vergessen.
Es herrschte nicht nur in der Armee ein eklatanter Mangel an Kriegsmaterial und Rohstoffen, sondern auch die Versorgung im Hinterland brach völlig zusammen. Mit Versorgungskrisen hatten mittlerweile alle kriegsführenden Staaten Europas zu kämpfen, nur gelang es in Deutschland und bei den Westmächten die ärgsten Auswirkungen mit einer besseren Organisation abzufedern. Auf diesem Gebiet war das Versagen der staatlichen Stellen der Habsburgermonarchie am deutlichsten.
Es fehlte an allem, mittlerweile machte sich auch ein Mangel an Grundnahrungsmitteln und Heizmaterial bemerkbar. Die landwirtschaftliche Produktion war laut offizieller Statistik um 40 % gegenüber dem Vorkriegsstand zurückgefallen. Da die Versorgung durch einheimische Produktion nicht mehr gesichert war, wurden den besetzten Gebieten in Russisch-Polen, Serbien und Rumänien massive Lebensmittellieferungen auferlegt, die aber den Mangel nicht ausgleichen konnten. Dass der Agrarstaat Österreich-Ungarn schließlich sogar seinen Bündnispartner Deutschland um Hilfslieferungen bitten musste, war ein alarmierendes Signal.
Die galoppierende Inflation und weitreichende Rationierungsmaßnahmen trafen vor allem die städtische Bevölkerung mit voller Wucht. Die zugeteilten Mengen an Lebensmitteln pro Person wurden ständig verringert, sodass die Bevölkerung in den Städten im Winter 1917/18 erstmals von einer massiven Hungersnot bedroht war. Angesichts des Versagens der staatlichen Behörden bei der Organisation der Versorgung blühte der Schwarzmarkt, und die ersten Hungerrevolten bedrohten die mühsam aufrechterhaltene öffentliche Ordnung.
Auch der Arbeitskräftemangel aufgrund der Einberufungen hatte katastrophale Folgen für die Produktion. Neben den Kriegsgefangenen wurden massiv auch Frauen in vormals von Männern dominierten Berufszweigen eingesetzt. Generell lag die Last der Alltagsbewältigung nun hauptsächlich auf ihren Schultern und führte zu einer vorübergehenden Transformation der Rollenbilder in der Gesellschaft.
Die Folgen des Krieges waren im Großteil des Habsburgerreiches eher indirekt spürbar, denn von Zerstörungen waren die Kernländer kaum betroffen. Die Kampfhandlungen berührten nur die Randgebiete: So kam es im österreichisch-italienischen Grenzgebiet und vor allem in Galizien zu Verwüstungen und massiven Zwangsmaßnahmen der Armeeverwaltung gegenüber der Zivilbevölkerung in Form von Massenumsiedlungen und Deportationen. Eine weitere Kriegsfolge waren die Flüchtlingsströme: Ein Großteil der jüdischen Bevölkerung Galiziens – die Forschung geht von einer Größenordnung von 80.000 bis 125.000 Personen aus – flüchtete aus den russisch kontrollierten Gebieten nach Wien, wo ihnen eine Welle des Antisemitismus entgegenschlug.
Hanisch, Ernst: Der lange Schatten des Staates. Österreichische Gesellschaftsgeschichte im 20. Jahrhundert [Österreichische Geschichte 1890–1990, hrsg. von Herwig Wolfram], Wien 2005
Hirschfeld, Gerhard/Krumeich, Gerd/Renz, Irina (Hrsg.): Enzyklopädie Erster Weltkrieg. Aktualisierte und erweiterte Studienausgabe, Paderborn/Wien [u.a.] 2009
Leidinger Hannes/Moritz, Verena: Der Erste Weltkrieg, Wien [u.a.] 2011
Rauchensteiner, Manfried: Der Erste Weltkrieg und das Ende der Habsburgermonarchie 1914–1918, Wien u. a. 2013
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Kapitel
- Das Kriegsgeschehen 1917–1918: Im Angesicht des drohenden Unterganges
- Die Situation im Hinterland
- Apathie und Widerstand – Die Stimmung in der Bevölkerung
- Die Sixtus-Affäre: Ein diplomatischer Super-GAU
- Ein „Programm des Weltfriedens“ – Die 14 Punkte von Präsident Wilson
- „An Meine getreuen österreichischen Völker!“ – Das Völkermanifest Kaiser Karls
- Der Zusammenbruch
- Der Zerfall der Habsburgermonarchie – Teil I: Auf dem Weg zur Selbstbestimmung
- Der Zerfall der Habsburgermonarchie – Teil II: Die Situation in Wien und Budapest
- Die letzten Tage der Monarchie