Die Sixtus-Affäre: Ein diplomatischer Super-GAU

Neben dem Krieg auf dem Schlachtfeld tobte auch ein diplomatischer Krieg. Der verwirrende Kurs der Wiener Politik zwischen Krieg und Frieden endete in einer Blamage und führte die Habsburgermonarchie in eine diplomatische Katastrophe.

Nach Jahren des Krieges, als ein militärischer Erfolg angesichts der allgemeinen Erschöpfung immer unwahrscheinlicher wurde, kam es zu einer Reihe von geheimen Sondierungsgesprächen zwischen den Gegnern. Auch Kaiser Karl I. hatte im Frühjahr 1917 über seinen Schwager Prinz Sixtus von Bourbon-Parma geheimen Kontakt mit Frankreich aufgenommen („Sixtusbriefe“), um die Bereitschaft für einen Friedensschluss auszuloten – eine Initiative, die bald im Sand verlaufen war.

Außenminister Czernin hielt am 2. April 1918 eine betont aggressive Rede vor dem Wiener Gemeinderat, in der er den Kampfgeist und die Bündnistreue mit Berlin stärken wollte. Um die vermeintliche Schwäche der feindlichen Westmächte zu betonen, erwähnte er auch eine Kontaktaufnahme vonseiten Frankreichs bezüglich eines Separatfriedens.

Der französische Ministerpräsident Georges Clemenceau reagierte auf den verbalen Angriff des österreichischen Außenministers mit einem geschickten medialen Feldzug. Er nützte die Existenz von Schriftstücken aus der Geheimkorrespondenz Karls mit Paris, um den österreichischen Kaiser zu desavouieren und einen Keil in das Bündnis zwischen Deutschland und der Donaumonarchie zu treiben. Clemenceau informierte die Presse über Karls (misslungene) Friedensinitiative von 1917 und veröffentlichte eines der konspirativen Schriftstücke.

Dies schlug sowohl in der österreichischen wie in der deutschen Öffentlichkeit wie eine Bombe ein. Czernin agierte höchst ungeschickt, stritt sein Wissen um die Friedensinitiative ab – was definitiv unwahr ist, denn er war informiert, wenn ihm auch vielleicht nicht der gesamte Umfang bekannt war – und weigerte sich, den Kaiser zu decken.

Karl war dadurch öffentlich bloßgestellt und in die Enge getrieben. Hätte er sein Engagement in der Sache zugegeben, wäre er bei den deutschen Bundesgenossen und im heimischen pro-deutschen Lager als Verräter dagestanden. Ein Abstreiten hätte wiederum die Vertrauensbasis mit den Westmächten zerstört.

Karl wählte den zweiten Weg: Er ließ verlautbaren, dass die Affäre ein Produkt der französischen Propaganda sei. In einem Schreiben an Kaiser Wilhelm II. bestärkte er seine Bündnistreue: „Die Anschuldigungen Herrn Clemenceaus gegen mich sind so niedrig, daß ich nicht gesonnen bin, mit Frankreich über die Sache ferner zu diskutieren. Unsere weitere Antwort sind meine Kanonen im Westen." Es folgte ein erniedrigender Besuch bei Wilhelm II. am 12. Mai 1918 im deutschen Hauptquartier in Spa, der in der Presse als „Canossa-Gang“ gewertet wurde.

Die Sixtus-Affäre war ein diplomatischer „Super-GAU“ für Österreich und nahm der Habsburgermonarchie den letzten Rest an außenpolitischer Handlungsfreiheit. Karl I. war gezwungen, sich dem verschärften Kriegskurs Deutschlands zu beugen. Innenpolitisch war er komplett desavouiert und seine Glaubwürdigkeit dahin. In der öffentlichen Meinung wurde auch seine Gattin Zita massiv angegriffen und wegen ihrer italienisch-französischen Herkunft als Verräterin beschimpft. Sie wurde als Drahtzieherin im Hintergrund dargestellt, während Karl als unter ihrer „Fuchtel“ stehender „Pantoffelheld“ verunglimpft wurde.

Bibliografie 

Bihl, Wolfdieter: Der Erste Weltkrieg 1914–1918. Chronik – Daten – Fakten, Wien/Köln/Weimar 2010

Griesser-Pečar, Tamara: Die Mission Sixtus, Wien 1988

Hirschfeld, Gerhard/Krumeich, Gerd/Renz, Irina (Hrsg.): Enzyklopädie Erster Weltkrieg. Aktualisierte und erweiterte Studienausgabe, Paderborn/Wien [u.a.] 2009         

Kann, Robert A.: Die Sixtusaffäre und die geheimen Friedensverhandlungen Österreich-Ungarns im Ersten Weltkrieg, Wien 1966

Rauchensteiner, Manfried: Der Erste Weltkrieg und das Ende der Habsburgermonarchie 1914–1918, Wien u. a. 2013

Inhalte mit Bezug zu diesem Kapitel

Aspekt

Personen, Objekte & Ereignisse

  • Person

    Georges Clemenceau

    Der französische Journalist und Politiker bestimmte die Politik Frankreichs während des Ersten Weltkriegs. Im November 1917 übernahm er das Amt des französischen Ministerpräsidenten.

  • Person

    Karl I.

    Der letzte Kaiser bestieg 1916 den Thron und regierte bis zum Zerfall der Österreichisch-Ungarischen Monarchie im November 1918.