Von der Wiederherstellung zur Wiedereingliederung: Die Invalidenschulung
Erstmals wurde im Ersten Weltkrieg deutlich, dass es eigener Maßnahmen bedurfte, um kriegsbeschädigte wehrpflichtige Soldaten in die Berufswelt zu reintegrieren. So entstand das Konzept der Invalidenschulung.
Sehr früh schon stellte sich den kriegführenden Staaten – und so auch der Habsburgermonarchie – das Problem, dass Kriegsbeschädigte mehr brauchten als bloß medizinische Betreuung: Wollte man verhindern, dass sie auf Dauer versorgt werden mussten, so war es unumgänglich, ihnen die Rückkehr in einen zivilen Beruf zu ermöglichen. Das war auch im Hinblick auf die Konkurrenz auf dem Arbeitsmarkt notwendig und wurde vor allem zu Kriegsende, nach der Heimkehr unversehrter Soldaten von der Front, virulent. Vielfach konnten Kriegsbeschädigte aufgrund ihrer Beeinträchtigung ihrer ursprünglichen Tätigkeit aber nicht mehr nachgehen und mussten daher umgeschult werden. Das Schlagwort der Invalidenschulung war geboren.
Meist begann diese Schulung noch in den Heilanstalten mit der Arbeitstherapie. Auf diese Weise wurden versteifte und gelähmte Gliedmaßen wieder mobilisiert oder das Anlegen und der Gebrauch von Prothesen geübt. Daran anschließend konnten Kriegsbeschädigte dann diverse Kurse besuchen. Nahezu alle gewerblichen und landwirtschaftlichen Schulen, aber auch viele private Vereine boten Invalidenunterricht an. Von Alphabetisierungs- und Maschinschreibkursen bis zu regelrechten Berufsausbildungen gab es ein breites Spektrum an Möglichkeiten. Kriegsbeschädigte nutzten das Angebot jedoch nur teilweise freiwillig, vielfach mussten sie dazu angehalten werden. Die Invalidenschulung wurde zum Herzstück der Kriegsbeschädigtenfürsorge, konnte an ihr doch die Möglichkeit der Wiedereingliederung von Kriegsbeschädigten ins zivile Leben, ihre Rückkehr zur Normalität, idealtypisch demonstriert werden.
Die breit beworbenen Maßnahmen suggerierten, dass jeder Mann – wenn er nur willig war und entsprechend geschult wurde – wieder ein voll erwerbsfähiger Bürger werden konnte. Manche Erfolge waren wohl auch beeindruckend – prothesentragende Musiker und blinde Korbflechter gab es tatsächlich –, doch vielfach versprachen sich die Behörden von diesen Kursen mehr, als sie brachten. Der allergrößte Teil der eingezogenen Soldaten kam aus der Landwirtschaft und kehrte – kriegsbeschädigt oder nicht – auch wieder dorthin zurück. Für tuberkulosekranke Kriegsbeschädigte wiederum war Umschulung keine geeignete Maßnahme. So blieb die Zahl der von der Invalidenschulung erfassten Kriegsbeschädigten mit nur 15 % schon im Krieg relativ gering. Nach dem Krieg – als Kriegsbeschädigte in den Unterrichtsanstalten nicht mehr zu halten waren – verschwand die Invalidenschulung sehr schnell wieder von der Tagesordnung. Trotzdem hatten Kriegsbeschädigten noch bis 1927 Anspruch auf kostenlose Schulung.
Pawlowsky, Verena/Wendelin, Harald: Die Verwaltung des Leides. Kriegsbeschädigtenversorgung in Niederösterreich, in: Melichar, Peter/Langthaler, Ernst/Eminger, Stefan (Hrsg.): Niederösterreich im 20. Jahrhundert, Bd. 2: Wirtschaft, Wien/Köln/Weimar 2008, 507-536
-
Kapitel
- Von Invalidenrenten, Verwundungszulagen, staatlichen Unterstützungen und Unterhaltsbeiträgen
- Das Scheitern der privaten Wohlfahrt
- Die Heilanstalten
- Von der Wiederherstellung zur Wiedereingliederung: Die Invalidenschulung
- Arbeit für Kriegsbeschädigte
- Helden oder Opfer? Kriegsbeschädigte in der öffentlichen Wahrnehmung
- Formen der Kriegsbeschädigung
- Unmut und Elend: Kriegsbeschädigte organisieren sich