Helden oder Opfer? Kriegsbeschädigte in der öffentlichen Wahrnehmung

Kriegsbeschädigte, die so deutlich an das Elend des Krieges und nach seinem Ende an die Niederlage erinnerten, riefen stets starke Emotionen hervor und waren vielen Zuschreibungen ausgesetzt.

Kriegsbeschädigte bildeten eine ideale Projektionsfläche: Zu Beginn des Krieges wurden sie als Helden gefeiert, die ihre körperliche Unversehrtheit Kaiser und Vaterland geopfert hatten, als Verwundete, bei deren Empfang in der Heimat und Betreuung die eigene patriotische Gesinnung zur Schau gestellt werden konnte. Gegen Ende des Krieges und danach wurden sie jedoch zunehmend als unbequeme Opfer empfunden, die schmerzlich an die eigene Not und die Kriegsniederlage erinnerten, als Männer, die Forderungen stellten und im Kampf um die knappen Nachkriegsressourcen mit anderen Gruppen in Konflikt gerieten. Nicht nur in der Fremd-, sondern wohl auch in der Selbstwahrnehmung changierte das Bild der Kriegsbeschädigten: Sie hatten Opfer gebracht und waren selbst zu Opfern geworden. Sie waren mit hohem symbolischen Kapital ausgestattet, das sie auch zu nutzen wussten, sie waren zugleich aber benachteiligt, mussten ihr Leben lang mit ihrer körperlichen Beschädigung zurechtkommen und starben vielfach einen frühen Tod.

Besonders auffällig ist die Indienstnahme von Kriegsbeschädigten in den ersten Jahren des Krieges: Adelige und bürgerliche Frauen entdeckten die Pflege und Unterstützung der verwundeten Soldaten als gesellschaftlich akzeptiertes Betätigungsfeld, das ihnen erlaubte, ihre Kriegsunterstützung unter Beweis zu stellen. Ärzte taten dasselbe in ihrem Bereich und führten Leistungen medizinischer Kunst an den amputierten Patienten vor. Selbst die Rüstungsindustrie demonstrierte durch diverse Aktionen zugunsten von Kriegsbeschädigten – etwa die Ausstattung von Invalidenwerkstätten – ihre Verantwortung.  Die breite Öffentlichkeit übte sich in finanzieller Wohltätigkeit zugunsten der Kriegsverletzten und konnte damit ihrem gelebten Patriotismus Ausdruck verleihen. Die kriegsbeschädigten Soldaten waren in all diesen Aktionen nur Objekte unterschiedlichster Interessen.

Als ihre Zahl im Laufe des Krieges stark zunahm, die Bettler in den Straßen der Städte mehr wurden, die Männer ihre Uniform nicht ablegten, weil sie wussten, dass ihre körperliche Versehrtheit in Kombination mit einem militärischen Attribut mehr Mitleid erregen würde, kippte die öffentliche Einschätzung oft. Es mehrten sich die Stimmen, die Kriegsbeschädigten Arbeitsscheu und die Ausnützung öffentlicher Mildtätigkeit unterstellten. Das zerlumpte Elend auf den Straßen eignete sich nicht für patriotische Gefühle. Nach dem Krieg setzte sich die Funktionalisierung der Kriegsbeschädigten und ihre Indienstnahme für die unterschiedlichsten Zwecke – seien es revanchistische oder pazifistische – fort. Die politischen Parteien adressierten sich stets auch an diese Gruppe.

Bibliografie 

Kienitz, Sabine: Beschädigte Helden. Kriegsinvalidität und Körperbilder 1914–1923 (=Krieg in der Geschichte (KRiG) 41), Paderborn/München/Wien 2008

Kienitz, Sabine: Der Krieg der Invaliden. Helden-Bilder und Männlichkeitskonstruktionen nach dem Ersten Weltkrieg, in: Militärgeschichtliche Zeitschrift, 60 (2001) 2: Nach-Kriegs-Helden, 367-402

Überegger, Oswald: Erinnerungskriege. Der Erste Weltkrieg, Österreich und die Tiroler Kriegserinnerung in der Zwischenkriegszeit (=Tirol im Ersten Weltkrieg: Politik, Wirtschaft und Gesellschaft 9), Innsbruck 2011

Inhalte mit Bezug zu diesem Kapitel

Aspekt

  • Aspekt

    Gewalt im Krieg

    Gewalt war im Ersten Weltkrieg ein gesellschaftlich umfassendes Phänomen. Soldaten, Zivilisten, Frauen, Männer, Kinder und Greise waren auf die eine oder andere Weise mit ihr konfrontiert. Wie man Gewalt erlebte war unterschiedlich: Sie wurde ausgeübt und erlitten, sie war von physischer und psychischer Prägung, sie fand auf struktureller wie individueller Ebene statt, man erfuhr sie direkt oder indirekt.

Personen, Objekte & Ereignisse

  • Objekt

    Heimkehr

    Im November 1920 erscheint im „Neuigkeits-Welt-Blatt“ ein Bericht über die glückliche Heimkehr aller sieben Brüder der Familie Baumgartner. Sechs Brüder waren bereits unmittelbar nach Kriegsende unbeschadet von der Front zurückgekehrt, während Otto Baumgartner nach fünfjähriger Kriegsgefangenschaft im Jahre 1920 in Wien eintrifft. Ob verwundet oder unversehrt, aus feindlichem Gewahrsam oder nicht, waren Heimkehrer vor die Schwierigkeiten der Wiedereingliederung in die zivile Nachkriegswelt gestellt.

  • Objekt

    Kriegsinvalidität

    Wie kein anderer Krieg zuvor ließ der Erste Weltkrieg ein Heer von verwundeten, erkrankten und für ihr Leben gezeichneten Männern zurück. Mechanische Behelfsmittel wie diese Schreibhilfe sollten die körperliche Funktionalität der Kriegsbeschädigten wiederherstellen und deren Reintegration in den Arbeitsmarkt gewährleisten. Wie groß die Zahl derer aber tatsächlich war, die verwundet oder erkrankt von der Front zurückkehrten, war selbst Jahre nach dem Krieg nicht bekannt. 1922 dürften in Österreich etwa 143.000 Kriegsbeschädigte gelebt haben.

  • Objekt

    Gewalterfahrungen

    Während manche der Frontsoldaten das „Stahlbad des Waffenganges“ als Apotheose ihrer eigenen Männlichkeit erfuhren, litt die Mehrheit der Soldaten an ihren körperlichen und/oder psychischen Verletzungen. Die Zerstörungskraft des modernen Maschinenkriegs und die psychischen Belastungen durch das tagelange Ausharren in den Schützengräben, der Lärm des Trommelfeuers und der Anblick schwer verwundeter oder verstümmelter Kameraden produzierte neben physischen „Kriegsversehrten“ auch massenhaft psychische „Kriegsneurotiker“.

Entwicklungen

  • Entwicklung

    Geschlechterrollen: (k)ein Wandel?

    Dass der Erste Weltkrieg traditionelle Geschlechterrollen von Frauen und Männern ins Wanken brachte, ist eine weitverbreitete Ansicht. Fotografien von Straßenbahnschaffnerinnen, Fuhrwerkerinnen und Briefträgerinnen zeugen dem Anschein nach ebenso davon wie die durch den Krieg erzwungene und notwendige Übernahme der männlich gedachten Rolle des Ernährers und Versorgers durch die daheim gebliebenen Frauen. Aber gab es diesen Wandel tatsächlich und was blieb nach 1918 davon übrig?