Großreiche wie Österreich-Ungarn, die im 19. Jahrhundert aufgrund ihres Bevölkerungsreichtums bei kriegerischen Auseinandersetzungen im Vorteil waren, erwiesen sich im Ersten Weltkrieg wegen ihrer schwachen ökonomischen Basis den Belastungen eines modernen Krieges nicht gewachsen.
1915 schien sich eine gewisse Konsolidierung der Kriegswirtschaft abzuzeichnen. Allerdings dauerte es eine geraume Zeit, bis sich in der militärischen Führung die Erkenntnis durchsetzte, dass die 'modernen' Kriegserfordernisse nicht nur der kontinuierlichen Bereitstellung neuen 'Menschenmaterials' bedurften, sondern sich generell in Richtung auf eine 'Materialschlacht' riesigen Ausmaßes hin entwickelten. Dies erforderte über die Steigerung der Rüstungsproduktion im engeren Sinn hinaus die laufende Bereitstellung von Rohstoffen und Kohle (als wichtigste Energiequelle nicht nur der Industrie, sondern auch der Eisenbahn). Die Eisenbahn bildete das Rückgrat der Versorgung der Front mit Soldaten, Nahrungsmitteln, Munition und Nachschub.
Um die Kriegsproduktion von sozialen 'Hindernissen' wie Arbeitsunlust, Sabotage und Streiks freizuhalten, wurden rüstungswichtige Unternehmen unter Rückgriff auf das am 26. Dezember 1912 verlautbarte „Kriegsleistungsgesetz“ der militärischen Disziplinargewalt unterstellt. Anfang Februar 1915 waren in Cisleithanien rund 1.000 Firmen und die dort beschäftigten Arbeiter davon erfasst, ein Jahr darauf 4.500 Betriebe mit 1,3 Millionen Arbeitern. Die Arbeiter wurden als „Soldaten ohne Chargengrad“ eingestuft und konnten mit Strafen bis hin zur Todesstrafe belegt werden.
Trotz dieser drakonischen Maßnahmen dauerte es lange, ehe die Verantwortlichen – unvorbereitet und auf einen kurzen Krieg fixiert – die Probleme der Umstellung auf die Kriegswirtschaft zumindest grundsätzlich in den Griff bekamen. Erst im Lauf des Jahres 1915 besserte sich die Situation. Die Probleme im Ernährungssektor allerdings konnten bis 1918 nie zufriedenstellend gelöst werden und führten – je länger der Krieg dauerte – zu einer permanenten Unterernährung von Zivilbevölkerung und Soldaten (was mit der Einziehung von Bauern und Landarbeitern zum Kriegsdienst und dem Ausbleiben von Lieferungen aus Ungarn zusammenhing).
Die kriegswirtschaftliche Planung – Prioritäten bei der Zuteilung von Rohstoffen und Vorprodukten nach militärischen Gesichtspunkten – setzte erst mit Zeitverzögerung ein (Gründung von „Kriegszentralen“ ab Herbst 1914, in Ungarn noch später) und konnte nie in den Griff bekommen werden. Ebenso wenig gelang es, die Transportprobleme (und damit die Versorgung mit Kohle insgesamt) zu lösen. Keine Vorsorge getroffen war auch für die vielen in die Monarchie verbrachten Kriegsgefangenen. Sie wurden in Lagern interniert, waren schlecht ernährt und daher anfällig für Epidemien. Eingesetzt wurden sie – im Unterschied zum Zweiten Weltkrieg – weniger als Zwangsarbeiter in Industrie und Bergbau, sondern sehr oft zu handwerklichen Arbeiten (wie Tischlerei und Korbflechterei in den Lagern), in der Landwirtschaft oder zu logistischen Tätigkeiten im Etappenraum hinter der Front. Wie viele Kriegsgefangene in Österreich-Ungarn interniert waren, ist bis heute nicht feststellbar. Die Schätzungen gehen weit auseinander; sie schwanken zwischen 1,2 und 2,3 Millionen Menschen.
Clark, Christopher: Die Schlafwandler. Wie Europa in den Ersten Weltkrieg zog, München 2013
Gusenbauer, Ernst: Kriegsgefangenenlager während des 1. Weltkrieges in Österreich-Ungarn und ihre Auswirkungen auf das Leben der Zivilbevölkerung, München 2000
Janz, Oliver: Der Große Krieg, Frankfurt am Main 2013
Rauchensteiner, Manfried: Der Erste Weltkrieg und das Ende der Habsburgermonarchie, Wien/Köln/Weimar 2013
Wegs, Robert J.: Die österreichische Kriegswirtschaft 1914–1918, Wien 1979
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Kapitel
- Die tieferen Ursachen des Ersten Weltkrieges
- Die Torheit der damals Regierenden
- Schumpeters Imperialismus-Theorie: Drängte das 'Großkapital' zum Krieg?
- Ein Staat, der über seine Verhältnisse lebt
- Probleme der Kriegswirtschaft
- Höhepunkt und Absturz der ökonomischen Kriegsleistung
- Verschiebungen in der Produktionsstruktur
- Die Änderung der sozialen Kräfteverhältnisse im Verlauf des Krieges