Ein 'industrieller' Krieg, der vier Jahre dauert, verändert die Struktur einer Volkswirtschaft, weil er zum Ausbau der Schwerindustrie führt. Dies wiederum bildet die Grundlage für Probleme der Friedenswirtschaft nach dem Krieg.
Ökonomisch kann man die Kriegswirtschaft als einen Prozess der konsumtiven Überbeanspruchung des Bruttonationalprodukts durch den Staat bezeichnen, der von einem starken Rückgang der Reallöhne (und damit der Massenkaufkraft) begleitet ist. Verbunden ist diese Entwicklung mit einem starken Anwachsen des Rüstungssektors. In der Donaumonarchie war dieser Teil der Wirtschaft bis 1914 auf einige wenige große Unternehmen – in der österreichischen Reichshälfte die Skodawerke in Pilsen, die Hirtenberger Munitionsfabrik, die Waffenfabriks-Gesellschaft in Steyr und das Stabilimento Tecnico Triestino – konzentriert. Im Krieg arbeitete praktisch die gesamte Schwer-, Maschinenbau- und Metallindustrie für den militärischen Bedarf.
Im Zuge der Rüstungsanstrengungen kam es bald auch zu regionalen Verschiebungen der Produktionskapazitäten: Die ökonomischen Probleme des Kriegsbeginns hatten alle industriellen Zonen der Monarchie gleich getroffen. Im Lauf des Krieges wurde die Rüstungsproduktion aus politischen Gründen – die tschechischen Arbeiter im böhmischen Raum galten als 'unzuverlässig' – in das 'sichere' Wiener Becken verlegt und insbesondere im Raum um Wiener Neustadt konzentriert. Diese Standortverschiebung hatte weitreichende Folgen für die Nachkriegszeit. Die Umstellungsschwierigkeiten auf die Friedensproduktion, die durch den Zerfall der Monarchie im Herbst 1918 weiter verschärft wurden, erhöhten die Arbeitslosigkeit. Aber selbst dort, wo die Ausrichtung auf die zivile Erzeugung 'rational' angegangen wurde (wie bei den Steyr-Werken in Oberösterreich, die schon während des Krieges große Investitionen zur Aufnahme der Automobilproduktion nach dem Krieg in Angriff genommen hatten), waren die Probleme groß, weil nun der große Absatzmarkt der Monarchie fehlte.
Vier Jahre Krieg hatten die Struktur der österreichischen Volkswirtschaft von Grund auf verändert: War vor dem Krieg die Konsumgüterproduktion vorherrschend, so arbeitete nach 1918 das Gros der Industriearbeiterschaft in der Schwer- und in der Investitionsgüterindustrie. Die Kriegsjahre hatten zu einer Desinvestition in der zivilen Produktion geführt. Viele Unternehmen – etwa die Kruppwerke in Berndorf – hatten ihre angestammten Vorkriegs-Absatzmärkte verloren. Hier liegen zu einem Großteil die tieferen Ursachen für die wirtschaftlichen Schwierigkeiten und die hartnäckige Arbeitslosigkeit in der Ersten Republik: In der Metallindustrie war die Arbeitslosigkeit Mitte der 1920er Jahre aufgrund der ungelösten Probleme der Umstellung auf die Friedensproduktion mit 30 % signifikant höher als in der Papiererzeugung und der chemischen Industrie, wo sie bei 3–4 % lag. Der Zerfall der Donaumonarchie verstärkte diese Probleme, weil er den Zusammenhang zwischen nun 'transnational' gewordenen Produktionsstätten zerriss und mit einem Schlag die regionale Arbeitsteilung im Donauraum infrage stellte, die historisch gewachsen war.
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Sandgruber, Roman: Wirtschaft und Politik. Österreichische Wirtschaftsgeschichte vom Mittelalter bis zur Gegenwart, Wien 1995
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Kapitel
- Die tieferen Ursachen des Ersten Weltkrieges
- Die Torheit der damals Regierenden
- Schumpeters Imperialismus-Theorie: Drängte das 'Großkapital' zum Krieg?
- Ein Staat, der über seine Verhältnisse lebt
- Probleme der Kriegswirtschaft
- Höhepunkt und Absturz der ökonomischen Kriegsleistung
- Verschiebungen in der Produktionsstruktur
- Die Änderung der sozialen Kräfteverhältnisse im Verlauf des Krieges