Frauen! Schreibt keine ‚Jammerbriefe‘!

Die österreichischen und ungarischen Tageszeitungen publizierten immer wieder Appelle, in denen Frauen ermahnt wurden, nur fröhliche und aufbauende Briefe an ihre Angehörigen an der Front zu senden.
 

Ein ‚vorbildlicher‘ Feldpostbrief sollte sich, so die offiziellen Anforderungen, durch das stille Erdulden und das tapfere Ertragen der kriegsbedingten Belastungen und Widrigkeiten auszeichnen. Für persönliche Ängste, Sorgen oder gar Kritik an den bestehenden Verhältnissen sollte kein Platz sein.

Für das Deutsche Reich propagierte beispielsweise Malita von Rundstedt in ihrer Kriegsschrift Der Schützengraben der deutschen Frau aus dem Jahr 1916 folgende Schreibnormen für die Frauen: „Ja, die Heimatbriefe sind an der Front eine große Macht und die ist in unsere Frauenhände gelegt, Ein Brief kann einen Mann gut, oder schlecht, zum Helden oder zum Feigling machen, kann ihm helfen, das Eiserne Kreuz zu verdienen, aber auch verleiten, seine Soldaten-Ehre zu verlieren […]. Darum möchte ich bitten, deutsche Frau, schreibe immer nur Sonntagsbriefe ins Feld.“

Setzten sich Frauen über diese geforderten Leitlinien hinweg wurden diese sogenannten „Klage“- beziehungsweise „Jammerbriefe“ nicht selten versehen mit einschlägigen Belehrungen von den k. u. k. Zensurstellen an die Absenderinnen retourniert.

Dass sich die Frauen an der „Heimatfront“ immer wieder über die von ihnen geforderte Rolle der beharrlich im Stillen duldenden Briefschreiberinnen hinweggesetzt hatten, hat später Adolf Hitler in Mein Kampf moniert. Dort beschuldigte er die Frauen, wie die Historikerin Christa Hämmerle feststellte, mit ihren  „Jammerbriefen“ folgenschwer für die Untergrabung der Moral der Frontsoldaten verantwortlich zu sein und damit auch den damaligen Kriegsverlauf negativ beeinflusst zu haben. Die sogenannte „Dolchstoßlegende“ erhielt auf diese Weise, so Hämmerle, „auch eine explizit geschlechterpolitische Dimension.“

Die verantwortlichen Militärs und Politiker erkannten, dass die Korrespondenzen von Frauen und Männern sich wechselseitig bedingten und beeinflussten. Diese Tatsache wurde von der historischen Forschung lange Zeit vernachlässigt, ging es doch vor allem um den Soldatenbrief und das dort wiedergegebene „männliche Kriegserlebnis“. Das änderte sich erst in jüngster Zeit in erster Linie durch frauen- und geschlechtergeschichtliche Forschungsansätze. Durch diese Arbeiten wurde zum einen die entlang traditioneller Geschlechterzuschreibungen organisierte Kriegsgesellschaft kritisch hinterfragt. Zum anderen konnten die vielfältigen Selbst- und Fremdbilder der Schreibenden, die eng mit zeitgenössischen Zuschreibungen an „Mann“ und „Frau“ verbunden waren, herausgearbeitet werden. In ihren Kriegskorrespondenzen versuchten beispielsweise viele männliche Briefscheiber ihre Rolle als Ernährer der Familie und Vater aufrechtzuerhalten. Umgekehrt nahmen viele Frauen mit dem Verlauf des Krieges eine neue aktive Rolle im gegenseitigen Meinungsaustausch über Politik ein, indem sie in den Briefen an ihre Ehemänner, Väter, Brüder oder Söhne das täglich Gelesene und die an der „Heimatfront“ geführten politischen, sozialen und ökonomischen Debatten wiedergaben und häufig kritisch reflektierten.

Bibliografie 

Hämmerle, Christa: Entzweite Beziehungen? Zur Feldpost der beiden Weltkriege aus frauen- und geschlechtergeschichtlicher Perspektive, in: Veit Didczuneit/Jens Ebert/Thomas Jander (Hrsg.): Schreiben im Krieg. Schreiben vom Krieg. Feldpost im Zeitalter der Weltkriege, Essen 2011, 241-252

Hämmerle, Christa: „… wirf Ihnen alles hin und schau, dass Du fortkommst.“ Die Feldpost eines Paares in der Geschlechter(un)ordnung des Ersten Weltkriegs, in: Historische Anthropologie (1998), 6/3, 431-458

Rebhan-Glück, Ines: „Wenn wir nur glücklich wieder beisammen wären …“ Der Krieg, der Frieden und die Liebe am Beispiel der Feldpostkorrespondenz von Mathilde und Ottokar Hanzel (1917/18), Unveröffentlichte Diplomarbeit, Wien 2010

Rebhan-Glück, Ines: Liebe in Zeiten des Krieges. Die Feldpostkorrespondenz eines Wiener Ehepaares (1917/18), in: ÖGL (2012), 56/3, 231–246

Spann, Gustav: Vom Leben im Kriege. Die Erkundung der Lebensverhältnisse der Bevölkerung Ungarns im Ersten Weltkrieg durch die Briefzensur, in: Ardelt, Rudolf G./Huber, Wolfgang J.A. (Hrsg.): Unterdrückung und Emanzipation. Festschrift für Erika Weinzierl zum 60. Geburtstag, Wien 1985, 149-165

Tramitz, Angelika: Vom Umgang mit Helden. Kriegs(vor)schriften und Benimmregeln für deutsche Frauen im Ersten Weltkrieg, in: Knoch, Peter (Hrsg.): Kriegsalltag: die Rekonstruktion des Kriegsalltags als Aufgabe der historischen Forschung und der Friedenserziehung, Stuttgart 1989, 84-113

 

Zitate:

„Ja, die Heimatbriefe sind ...“: Malita von Rundstedt, Der Schützengraben der Deutschen Frau, zitiert nach: Tramitz, Angelika: Vom Umgang mit Helden. Kriegs(vor)schriften und Benimmregeln für deutsche Frauen im Ersten Weltkrieg, in: Knoch, Peter (Hrsg.): Kriegsalltag: die Rekonstruktion des Kriegsalltags als Aufgabe der historischen Forschung und der Friedenserziehung, Stuttgart 1989, 97

„Setzten sich Frauen über …“: Spann, Gustav: Vom Leben im Kriege. Die Erkundung der Lebensverhältnisse der Bevölkerung Ungarns im Ersten Weltkrieg durch die Briefzensur, in: Ardelt, Rudolf G./Huber, Wolfgang J.A. (Hrsg.): Unterdrückung und Emanzipation. Festschrift für Erika Weinzierl zum 60. Geburtstag, Wien 1985, 153

„Dort beschuldigte er die Frauen ...“: Hämmerle, Christa: Entzweite Beziehungen? Zur Feldpost der beiden Weltkriege aus frauen- und geschlechtergeschichtlicher Perspektive, in: Veit Didczuneit/Jens Ebert/Thomas Jander (Hrsg.): Schreiben im Krieg. Schreiben vom Krieg. Feldpost im Zeitalter der Weltkriege, Essen 2011, 245

„Die sogenannte Dolchstoßlegende erhielt ...“: Hämmerle, Christa: Entzweite Beziehungen? Zur Feldpost der beiden Weltkriege aus frauen- und geschlechtergeschichtlicher Perspektive, in: Veit Didczuneit/Jens Ebert/Thomas Jander (Hrsg.): Schreiben im Krieg. Schreiben vom Krieg. Feldpost im Zeitalter der Weltkriege, Essen 2011, 245

Inhalte mit Bezug zu diesem Kapitel

Aspekt

  • Aspekt

    „In Verbindung bleiben“

    Der Erste Weltkrieg trennte oft über mehrere Jahre hinweg tausende Familien voneinander. Umso wichtiger war es für jeden Einzelnen, den Kontakt zu den Lieben in der Ferne aufrecht zu erhalten. Viele bis dahin im Schreiben ungeübte Menschen griffen nun zu Bleistift oder Füllfeder und versuchten, schriftlich mit ihren abwesenden Familien, Freunden und Bekannten in Verbindung zu bleiben.

Personen, Objekte & Ereignisse

  • Objekt

    Das „Ich“ im Krieg

    Lange Zeit wurde der Erste Weltkrieg nur aus dem Blickwinkel öffentlicher Persönlichkeiten oder Generäle erzählt. Wie die Bevölkerung der österreichisch-ungarischen Monarchie den Krieg erlebte und überlebte, blieb hingegen im Dunkel der Geschichte verborgen. Gerade sogenannte „Ego-Dokumente“ - wie dieses Tagebuch - geben uns jedoch neue und vielfältige Einblicke in die individuellen Erlebnisse, Erfahrungen und Sinndeutungen der Menschen im Krieg.

  • Objekt

    Überwachung & Kontrolle

    Der Alltag in der Habsburgermonarchie war von Propaganda, Überwachung und Kontrolle gekennzeichnet. Die vielen „weißen“ Flecken in den Tageszeitungen zeugen davon ebenso wie Eingriffe in private Briefe und Telegramme. Gleichzeitig wurde durch Bild, Text und Ton versucht, ein einheitliches und kriegsbejahendes Stimmungsbild zu verbreiten. Ausgeschlossen davon waren nicht einmal die jüngsten Bewohner des Reiches; auch die Schulen der Monarchie wurden zu Orten der staatlichen Einflussnahme.

Entwicklungen

  • Entwicklung

    Alltag an der (Heimat) Front

    Wie gestaltete sich der Alltag in der Heimat und an den Fronten während der Jahre 1914 bis 1918? Lässt sich der Alltag einer bürgerlichen Frau mit jenem einer Arbeiterin vergleichen? Machte ein Offizier dieselben Fronterfahrungen wie ein Mannschaftssoldat? Oder müssen wir nicht eher davon ausgehen, dass wir es mit einer immensen Fülle an Einzelerlebnissen und -erfahrungen zu tun haben, die den Kriegsalltag der Bevölkerung und der Soldaten an den Fronten prägten?