Feldpost für die Zwecke des Krieges?

Dem Feldpostbrief kam in dem durch Propaganda und Zensur geprägten Kriegsalltag eine Sonderstellung zu. Die „unmittelbare Nähe seiner Autoren zum [Kriegs]Geschehen“ an der Front verlieh ihm eine sonst kaum zu erreichende ‚Authentizität‘.
 

Der Feldpostbrief wurde, so der Historiker Bernd Ulrich, zum „Medium des Augenzeugen“, der anstelle des fiktiven Erzählens und Schreibens über den Krieg die ‚unverfälschte‘ Sicht auf die Frontereignisse und den Kriegsalltag auch der Mannschaftssoldaten zu geben versprach.

Gefördert wurde diese Sichtweise durch die kurz nach Kriegsbeginn einsetzenden, regelmäßigen Publikationen von (ausgewählten) Feldpostbriefen in der österreichisch-ungarischen Tagespresse.

So richtete etwa die schon damals populäre Illustrierte Kronen Zeitung eine ständige Rubrik mit dem Titel ‚Aus unserer Feldpostmappe‘ ein“  und auch regionale Tageszeitungen wie die Eggenburger Zeitung. Illustriertes Wochenblatt enthielten regelmäßig die Sparte „Soldaten- und Feldbriefe“. Zusätzlich erschienen etliche Feldpostsammlungen, von denen einige eher eilig zusammengeschustert worden waren. Alle diese Veröffentlichungen gaben nur Stimmen wieder, die patriotisch, kampfeswillig und angeblich ‚authentisch‘ aus dem Felde berichteten. Durch diese öffentliche Inszenierung – Bernd Ulrich spricht gar von einer „Herrschaft des Feldpostbriefes“ – wurde dieser rasch zu einem Bestandteil der Darstellung und Auslegung des Krieges.

Zwar tauchten zu Beginn des „Großen Krieges“ auch in den privaten Korrespondenzen immer wieder kriegseuphorische Stimmen auf, und manche der Schreiberinnen und Schreiber erwarteten einen kurzen und für die Monarchie siegreichen Verlauf. Doch diese Stimmen wandelten sich relativ rasch, und kritische Meinungen nahmen zu: Klagen über die lange Kriegsdauer waren nun ebenso zu hören wie Beschwerden über die immer schlechter werdende Versorgungslage an der Front und in den heimatlichen Städten. Die ständige Sorge um den/die geliebten Menschen, die lange Trennung und die ständige Präsenz von Tod, Leid und Entbehrungen schlugen sich auch in den Briefen nieder – und standen im krassen Gegensatz zu den offiziell gewünschten Inhalten der Feldpostsendungen.

Mit Verlauf des Krieges versuchten die militärischen Stellen über die Tagespresse und Publikationen das ‚richtige‘ Verfassen eines Feldpostbriefes sowohl in Form als auch im Inhalt zu beeinflussen. Wie der Historiker Martin Humburg in seinen Forschungen zum Zweiten Weltkrieg herausarbeitete, wurde dem Feldpostbrief mehr und mehr die Bedeutung einer „Waffe“ zugeschrieben, welche die Macht besaß, positiv oder negativ auf die „Kampfmoral“ der Soldaten und damit den Kriegsverlauf einzuwirken. Seine Forschungsergebnisse können in diesem Zusammenhang auch für den Ersten Weltkrieg gelten, als es vor allem den Frauen zur Aufgabe gemacht wurde, nur Erfreuliches und Aufbauendes aus dem alltäglichen Leben in der Heimat zu berichten. Dadurch sollte der Kampfwille und die Entschlossenheit zum „Durchhalten“ an der Front gestärkt werden.

Bibliografie 

Humburg, Martin: Das Gesicht des Krieges. Feldpostbriefe von Wehrmachtssoldaten aus der Sowjetunion 1941-1944, Wiesbaden 1998

Humburg, Martin: Deutsche Feldpostbriefe im Zweiten Weltkrieg – Eine Bestandsaufnahme, in: Vogel, Detlef/Wette, Wolfram (Hrsg.), Andere Helme – andere Menschen? Heimaterfahrung und Frontalltag im Zweiten Weltkrieg. Ein internationaler Vergleich (Tübingen 1995), 13-35

Rebhan-Glück, Ines: Liebe in Zeiten des Krieges. Die Feldpostkorrespondenz eines Wiener Ehepaares (1917/18), in: ÖGL (2012), 56/3, 231–246

Spann, Gustav: Vom Leben im Kriege. Die Erkundung der Lebensverhältnisse der Bevölkerung Ungarns im Ersten Weltkrieg durch die Briefzensur, in: Ardelt, Rudolf G. Ardelt/Huber, Wolfgang J.A./u.a. (Hrsg.): Unterdrückung und Emanzipation. Festschrift für Erika Weinzierl zum 60. Geburtstag, Wien 1985, 149-165

Sturm, Margit: Lebenszeichen und Liebesbeweise aus dem Ersten Weltkrieg. Zur Bedeutung von Feldpost und Briefschreiben am Beispiel der Korrespondenz eines jungen Paares. Unveröffentlichte Diplomarbeit, Universität Wien 1992

Ulrich, Bernd: Die Augenzeugen. Deutsche Feldpostbriefe in Kriegs- und Nachkriegszeit 1914-1933, Essen 1997

Ulrich, Bernd: Militärgeschichte von unten.“ Anmerkungen zu ihren Ursprüngen, Quellen und Perspektiven im 20. Jahrhundert, in: Geschichte und Gesellschaft (1996), 22, 473-503

 

Zitate:

„unmittelbare Nähe seiner Autoren ...“: Ulrich, Bernd: Die Augenzeugen. Deutsche Feldpostbriefe in Kriegs- und Nachkriegszeit 1914-1933, Essen 1997, 12-13

„Medium des Augenzeugen“: Ulrich, Bernd: Die Augenzeugen. Deutsche Feldpostbriefe in Kriegs- und Nachkriegszeit 1914-1933, Essen 1997, 11

„schon damals populäre Illustrierte Kronen Zeitung ...“: Sturm, Margit: Lebenszeichen und Liebesbeweise aus dem Ersten Weltkrieg. Zur Bedeutung von Feldpost und Briefschreiben am Beispiel der Korrespondenz eines jungen Paares. Unveröffentlichte Diplomarbeit, Universität Wien 1992, 35

„Herrschaft des Feldpostbriefes“: Ulrich, Bernd: Die Augenzeugen. Deutsche Feldpostbriefe in Kriegs- und Nachkriegszeit 1914-1933, Essen 1997, 36

„[…] die Bedeutung einer 'Waffe' ...“: Humburg, Martin: Das Gesicht des Krieges. Feldpostbriefe von Wehrmachtssoldaten aus der Sowjetunion 1941-1944, Wiesbaden 1998, 16

 

Inhalte mit Bezug zu diesem Kapitel

Aspekt

  • Aspekt

    „In Verbindung bleiben“

    Der Erste Weltkrieg trennte oft über mehrere Jahre hinweg tausende Familien voneinander. Umso wichtiger war es für jeden Einzelnen, den Kontakt zu den Lieben in der Ferne aufrecht zu erhalten. Viele bis dahin im Schreiben ungeübte Menschen griffen nun zu Bleistift oder Füllfeder und versuchten, schriftlich mit ihren abwesenden Familien, Freunden und Bekannten in Verbindung zu bleiben.

Personen, Objekte & Ereignisse

  • Objekt

    Das „Ich“ im Krieg

    Lange Zeit wurde der Erste Weltkrieg nur aus dem Blickwinkel öffentlicher Persönlichkeiten oder Generäle erzählt. Wie die Bevölkerung der österreichisch-ungarischen Monarchie den Krieg erlebte und überlebte, blieb hingegen im Dunkel der Geschichte verborgen. Gerade sogenannte „Ego-Dokumente“ - wie dieses Tagebuch - geben uns jedoch neue und vielfältige Einblicke in die individuellen Erlebnisse, Erfahrungen und Sinndeutungen der Menschen im Krieg.

  • Objekt

    Überwachung & Kontrolle

    Der Alltag in der Habsburgermonarchie war von Propaganda, Überwachung und Kontrolle gekennzeichnet. Die vielen „weißen“ Flecken in den Tageszeitungen zeugen davon ebenso wie Eingriffe in private Briefe und Telegramme. Gleichzeitig wurde durch Bild, Text und Ton versucht, ein einheitliches und kriegsbejahendes Stimmungsbild zu verbreiten. Ausgeschlossen davon waren nicht einmal die jüngsten Bewohner des Reiches; auch die Schulen der Monarchie wurden zu Orten der staatlichen Einflussnahme.

Entwicklungen

  • Entwicklung

    Alltag an der (Heimat) Front

    Wie gestaltete sich der Alltag in der Heimat und an den Fronten während der Jahre 1914 bis 1918? Lässt sich der Alltag einer bürgerlichen Frau mit jenem einer Arbeiterin vergleichen? Machte ein Offizier dieselben Fronterfahrungen wie ein Mannschaftssoldat? Oder müssen wir nicht eher davon ausgehen, dass wir es mit einer immensen Fülle an Einzelerlebnissen und -erfahrungen zu tun haben, die den Kriegsalltag der Bevölkerung und der Soldaten an den Fronten prägten?