Die Polen im Ersten Weltkrieg: Eine Nation als Spielball der Großmächte

Die Polen waren vom Kriegsgeschehen direkt betroffen, denn die polnischen Gebiete sowohl innerhalb der Habsburgermonarchie als auch diejenigen unter deutscher und russischer Herrschaft wurden zum langjährigen Kriegsschauplatz. Aus polnischer Sicht war der Erste Weltkrieg ein Konflikt zwischen den drei Teilungsmächten, die nun begannen, Angebote für die zukünftige Stellung Polens zu machen.

Im August 1914 stellte der russische Großfürst Nikolaus ein freies Polen in Aussicht, um Unterstützung bei den Polen unter österreichischer und deutscher Herrschaft zu gewinnen. Die anfänglich positiven Reaktionen wichen jedoch bald der Enttäuschung angesichts des geringen realen Werts der Zusagen.

Auf der Seite der Mittelmächte gab es ebenfalls ein Entgegenkommen, um den Unruheherd Polen zu entschärfen. In der Habsburgermonarchie konnte man an der traditionell pro-österreichischen Haltung des im August 1914 gebildeten polnischen Nationalkomitees anknüpfen, das unter der Führung der konservativen Eliten des Polenklubs im ehemaligen Reichsrat stand. Unter der Leitung des Offiziers Józef Piłsudski (1867–1935) wurden polnische Legionen gebildet, die an der Seite der Mittelmächte gegen Russland kämpften. Es entstand die Idee eines polnischen Pufferstaates zu Russland. Das Ausmaß der Souveränität dieses Staates war aber ein Streitpunkt. Der deutschnationale Flügel und auch die deutsche Armeeführung sahen in Polen eher ein zukünftiges deutsches Kolonisationsgebiet. Teile der österreichischen Politik, u. a. auch Kaiser Franz Joseph, ventilierten die Möglichkeit der Vereinigung Galiziens mit Kongresspolen zur Schaffung eines polnischen Staates unter österreichischer Führung, der als dritter Teilstaat die Doppelmonarchie Österreich-Ungarn in ein trialistisches Gebilde verwandelt hätte. Dies wurde jedoch sowohl von den  Deutsch-Österreichern wie von den Magyaren abgelehnt, da die zahlenmäßig gestärkten Polen die bisherige Hegemonie der beiden führenden „Staatsvölker“ der Doppelmonarchie in Frage gestellt hätten. Das Wiener Angebot eines polnischen Trialismus innerhalb Österreichs blieb jedoch zunächst ohnehin auf dem Papier, denn Österreich musste zu Beginn des Krieges große territoriale Verluste in Galizien hinnehmen.

Erst Ende 1915 konnten die Armeen der Mittelmächte weite Teile Russisch-Polens unter ihre Kontrolle bringen. Um sich der Loyalität der Polen zu versichern, verlautbarten Österreich und Deutschland im November 1916, dass Polen in Form einer Monarchie wiedererstehen sollte, jedoch beschränkt auf den ehemals russischen Teil, denn die polnischen Gebiete unter deutscher und österreichischer Herrschaft sollten dabei nicht miteinbezogen werden. Dieser polnische Staat würde über eine eigene Armee verfügen, wäre jedoch de facto an der Leine der Mittelmächte geblieben. Als Regent dieses polnischen Königreiches wurde Erzherzog Karl Stephan ausersehen, ein in Galizien begütertes und der polnischen Nationalbewegung nahestehendes Mitglied einer habsburgischen Seitenlinie. Jedoch blieb es vielfach bei leeren Versprechungen. Zwar wurde ein Regentschaftsrat mit Sitz in Warschau als Regierung des virtuellen Staates („Regentschaftskönigreich“) eingesetzt, in der Realität wurde das Land aber weiterhin von der Militärverwaltung der alliierten deutsch-österreichischen Armee kontrolliert und durch massive Requirierungen ökonomisch ausgepresst.

Angesichts der zögernden Haltung Wiens und Berlins in der polnischen Sache wandten sich die politischen Vertreter der Polen von den Mittelmächten ab und begannen nach dem Sturz des Zaren im Februar 1917 mit den neuen Machthabern in Russland zu kooperieren, die sich zum Selbstbestimmungsrecht der Polen bekannten. Nun konnten auch die Westmächte für die polnischen Anliegen gewonnen werden, die bisher aus Rücksicht auf Russland zurückhaltend agiert hatten. Im Sommer 1917 wurde in Lausanne von den Vertretern des polnischen Exils unter der Führung von Roman Dmowski (1864–1939) ein Nationalausschuss gebildet, der von den westlichen Alliierten als alleinige Repräsentation der polnischen Nation anerkannt wurde.

Die Polen waren somit im Vergleich zu den anderen nicht-souveränen Völkern Zentraleuropas am weitesten bei der Erfüllung ihrer Forderungen gekommen, denn beide Blöcke bekannten sich grundsätzlich zur Wiederherstellung eines polnischen Staates. Das Problem war jedoch, dass die Polen zwar die meiste Unterstützung unter den westlichen Staaten der Entente fanden, die polnischen Territorien aber völlig unter der militärischen Kontrolle der Mittelmächte standen.

Schließlich wurden am Ende des Krieges Fakten geschaffen: Am 7. Oktober 1918 rief der Regentschaftsrat in Warschau den unabhängigen polnischen Staat aus und reklamierte das Territorium des historischen polnischen Königreiches vor den Teilungen von 1772 bis 1795 als Staatsgebiet. Die Staatsbildung wurde überschattet von der inneren Zerstrittenheit der politischen Lager. Die Führung übernahm schließlich der Oberbefehlshaber der polnischen Armee, Józef Piłsudski. Dessen Regime nahm stark militärisch-autoritäre Züge an, auch aufgrund der bewaffneten Konflikte um die Grenzen des wiedererstandenen Staates, die bis 1921 andauerten. 1919 wurde Polen im Vertrag von Versailles völkerrechtlich als Republik anerkannt. Aus der Konkursmasse der untergegangenen Habsburgermonarchie erhielt es ganz Galizien zugesprochen (ungeachtet des starken ukrainischen Bevölkerungsanteils) sowie die polnischsprachigen Teile Österreichisch-Schlesiens. 

Bibliografie 

Batowski, Henryk: Die Polen, in: Wandruszka, Adam/Urbanitsch, Peter  (Hrsg.): Die Habsburgermonarchie 1848–1918, Band III: Die Völker des Reiches, Wien 1980, Teilband 1, 522–554

Hoensch, Jörg K.: Geschichte Polens. (3. Auflage), Stuttgart 1998

Křen, Jan: Dvě století střední Evropy [Zwei Jahrhunderte Mitteleuropas], Praha 2005

Rauchensteiner, Manfried: Der Erste Weltkrieg und das Ende der Habsburgermonarchie 1914–1918, Wien u. a. 2013

Rumpler, Helmut: Eine Chance für Mitteleuropa. Bürgerliche Emanzipation und Staatsverfall in der Habsburgermonarchie [Österreichische Geschichte 1804–1914, hrsg. von Herwig Wolfram], Wien 2005

Inhalte mit Bezug zu diesem Kapitel

Aspekt

Personen, Objekte & Ereignisse

  • Person

    Józef Piłsudski

    Während des Ersten Weltkriegs kämpfte Piłsudski als Militär und Politiker für die Wiedererrichtung eines unabhängigen polnischen Staates. Er wurde nach 1918 zum autoritär regierenden Staatschef Polens.

Entwicklungen