Der Kampf der Polen um ihren Staat: Noch ist Polen nicht verloren!

Die ersten Worte der polnischen Nationalhymne sind Ausdruck der Hoffnungen der Polen, ihre Freiheit wiederzuerlangen. Polen war als Staat durch die Polnischen Teilungen im späten 18. Jahrhundert untergegangen, als die benachbarten Großmächte Preußen, Russland und Österreich das Territorium der polnischen Adelsrepublik unter sich aufgeteilt hatten.

Jeszcze Polska nie zginęła,

Kiedy my żyjemy.

Co nam obca przemoc wzięła,

Szablą odbierzemy.

 

Übersetzung:

                Noch ist Polen nicht verloren,

solange wir leben.

Was uns fremde Übermacht nahm,

werden wir uns mit dem Säbel zurückholen.

 

Die polnische Nationalhymne entstand 1797 als Kampflied der polnischen Exilarmee in Italien.

Erste Strophe der polnischen Nationalhymne

Obwohl von der Landkarte verschwunden, war der Gedanke einer eigenständigen staatlichen Existenz unter den Polen stets sehr lebendig. Man lebte die Idee eines „virtuellen“ polnischen Staates, dessen Eliten sich ins Exil geflüchtet hatten und von dort an einer Wiedererrichtung eines freien Polens arbeiteten. Polnische Truppenkontingente kämpften z. B. an der Seite der Truppen Napoleons gegen Österreicher und Russen. Die engen politischen und kulturellen Bindungen zu Frankreich erklären sich durch die Hoffnung auf die Solidarität der französischen Revolutionäre für die polnische Sache. Napoleon ließ schließlich in Gestalt des Großherzogtums Warschau Polen für kurze Zeit wieder auferstehen.

Durch den Wiener Kongress wurde die Teilung Polens jedoch fortgeschrieben: Der Süden wurde unter der Bezeichnung Königreich Galizien und Lodomerien Teil des Kaisertums Österreich, der Westen fiel an Preußen und der Osten an Russland. Eine besondere Stellung erhielt Zentralpolen samt Warschau, das als Kongresspolen ein russischer Satellitenstaat wurde. Einzig Krakau blieb als Stadtstaat (Republik Krakau) formell unabhängig, stand jedoch unter dem gemeinsamen Protektorat Preußens, Russlands und Österreichs.

Der Hauptträger des polnischen Nationalbewusstseins war der ungemein zahlreiche polnische Kleinadel (szłachta), der sich zum historischen Polentum bekannte, während die Masse der bäuerlichen Bevölkerung lange Zeit national indifferent und von jeglicher politischen Mitsprache ausgeschlossen blieb.

Der Traum war die Wiedererrichtung des historischen polnischen Großreiches, das weite Teile Osteuropas vom Baltikum bis in die Ukraine umfasste. Die Führungsrolle auf diesem Territorium reklamierten die Polen für sich, obwohl das historische Königreich ein multiethnisches Gebilde darstellte. Die Polen sahen sich als Kulturbringer unter den Völkern Nordosteuropas und „Schild der Christenheit“ gegen tatarische und türkische Invasoren aus dem Osten. Eine besondere Rolle spielte die katholische Kirche, zunächst als Abgrenzung gegenüber den orthodoxen slawischen Nachbarvölkern der Russen, Weißrussen und Ukrainer sowie gegenüber den protestantischen Deutschen. Später übernahm sie die Funktion einer Bewahrerin des polnischen Nationsbewusstseins zu einer Zeit, als Polen als Staat untergegangen war.

In Wien und Berlin witterte man in den fortgesetzten Bemühungen der Polen um eine Wiedererlangung ihrer Unabhängigkeit oft die Gefahr des Panslawismus. Dabei war das polnisch-russische Verhältnis gespannt, denn das Zarenreich wurde von den Polen als Okkupant und größtes Hindernis einer Einigung gesehen. Auch ging die russische Staatsmacht sehr repressiv gegen die national-polnische Agitation vor. So wurde der polnische Aufstand, der 1830/31 in den russisch kontrollierten Teilen Polens ausgebrochen war, brutal niedergeschlagen. Es war dies eine herbe Ernüchterung für die Russophilen unter den Slawen Zentraleuropas.

Angesichts der Kraft der Vereinigungsbestrebungen begann man auch in Wien in den Polen Unruhestifter zu sehen. Die Wiener Regierung nutzte das soziale und nationalistische Konfliktpotenzial in Galizien und antwortete gemäß dem Prinzip „Teile und herrsche!“ auf den polnischen Sezessionismus mit einem verstärkten Entgegenkommen gegenüber den Forderungen der Ruthenen.

1846 wurde das österreichische Galizien von einem Aufstand erschüttert, der zunächst als national-polnische Revolte („Krakauer Aufstand“) begonnen hatte. Die Situation eskalierte, als die untertänigen Bauern sich gegen ihre polnischen Grundherren wandten und die blinde Wut gegen die Unterdrücker sich zu einem blutigen Gemetzel auswuchs. Die österreichische Verwaltung sah tatenlos dabei zu und profitierte schließlich vom Zusammenbruch der vom polnischen Adel getragenen Sezessionsbestrebungen. Eine weitere Folge des Scheiterns des Adelsaufstandes war die Besetzung und spätere Annexion der Freien Republik Krakau durch Österreich. 

Bibliografie 

Batowski, Henryk: Die Polen, in: Wandruszka, Adam/Urbanitsch, Peter  (Hrsg.): Die Habsburgermonarchie 1848–1918, Band III: Die Völker des Reiches, Wien 1980, Teilband 1, 522–554

Hoensch, Jörg K.: Geschichte Polens. (3. Auflage), Stuttgart 1998

Křen, Jan: Dvě století střední Evropy [Zwei Jahrhunderte Mitteleuropas], Praha 2005

Rumpler, Helmut: Eine Chance für Mitteleuropa. Bürgerliche Emanzipation und Staatsverfall in der Habsburgermonarchie [Österreichische Geschichte 1804–1914, hrsg. von Herwig Wolfram], Wien 2005

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