Zur sexuellen Entspannung der Soldaten

Gewerbsmäßige und geheime Prostitution während des Ersten Weltkriegs

Die Militärs der Krieg führenden Länder setzten im Kampf gegen die Verbreitung von Geschlechtskrankheiten auf recht unterschiedliche Strategien. Nicht alle zeigten sich von der Zweckmäßigkeit der Sittlichkeitserziehung überzeugt, weshalb sie die Reglementierung der Prostitution als alternative Methode propagierten.


 

Während des Ersten Weltkrieges kam es zu einem Anstieg der sogenannten „geheimen“ bzw. „wilden“ Prostitution. Als „heimliche“ Prostituierte oder „Gelegenheitsbuhlerinnen“ wurden in Österreich und Deutschland jene Frauen bezeichnet, die sich nur gelegentlich prostituierten und damit keinen gewerbsmäßigen Zweck verfolgten. Auch in Frankreich und Großbritannien wurden die „jeunes filles“ bzw. „amateur girls“ zu einem viel diskutierten Phänomen. Die definitorische Breite des Prostitutionsbegriffs hatte zur Folge, dass bald jede Form außerehelichen Sexualkontaktes von Frauen als ‚Hurerei’ verunglimpft wurde.

In Österreich oblag die Reglementierung der Prostitution der Sittenpolizei. Diese war sowohl für die Registrierung als auch für die gesundheitliche Überwachung der Prostituierten verantwortlich. Um der Ausbreitung von Geschlechtskrankheiten entgegenzuwirken, mussten sich sittenpolizeilich registrierte Frauen regelmäßigen Zwangsuntersuchungen unterziehen. Die „Geheimen“ wurden im Gegensatz zu den gewerbsmäßigen Prostituierten nicht sittenpolizeilich erfasst und unterlagen damit keiner medizinischen Kontrolle. Die Polizei war jedoch darum bemüht, Frauen, die der (gewerblichen) Unzucht verdächtigt wurden, auszuforschen und unter ihre Aufsicht zu stellen. Aufgrund der steigenden Zahl geschlechtskranker Soldaten forderten die Militärbehörden eine strengere Kontrolle sowohl der registrierten Prostituierten als auch der „Geheimen“.

Ärzte und Gesundheitspolitiker bezweifelten jedoch die Wirksamkeit der sittenpolizeilichen Überwachung und sahen in der „geheimen“ Prostitution eine besondere Gefahr für die Verbreitung von Geschlechtskrankheiten. Das österreichische Militär unternahm daher den Versuch, für die im Gastgewerbe tätigen Frauen, die aus militärischer Perspektive eine Risikogruppe für die Verbreitung von Geschlechtskrankheiten darstellten, regelmäßige Zwangsuntersuchungen anzuordnen. Massive zivile Proteste verhinderten jedoch die Durchführung des Antrags.

Die gewerbliche Prostitution war sowohl an der Front als auch in der Etappe weit verbreitet. Sie erfolgte in für Soldaten und Offiziere getrennten Bordellen, die von Militärärzten kontrolliert und teilweise sogar vom Militär selbst betrieben wurden. In den Feld- bzw. Etappenbordellen wurden an die Prostituierten sogenannte Kontrollkarten ausgegeben, die regelmäßige Aufzeichnungen über die Gesundheitsuntersuchungen enthielten. Eine als geschlechtskrank identifizierte Prostituierte wurde umgehend aus dem Bordell entlassen oder bis zur Genesung in einem der eigens errichteten Frauenspitäler untergebracht.

Der deutsche Soldat Erwin Blumenfeld, der 1917 zum Buchhalter des Feldfreudenhauses in der französischen Stadt Valenciennes bestellt wurde, liefert in seiner Autobiographie eine anschauliche Beschreibung eines deutschen Etappenbordells:

„Nun sollte ich meine Pflicht fürs Vaterland als Feldfreudenhausbuchhalter erfüllen. […] Außer mir arbeiteten im Haus achtzehn Damen, davon sechs ausschließlich für die Herren Offiziere, vom Stellmacher an aufwärts. Während den Soldatenbräuten ein Befriedigungsminimum von dreißig Mann oblag, war das Tagespensum jeder Offiziersdame auf fünfundzwanzig beschränkt. […] Ich hatte in mein Kontokorrentbuch […] hinter die laufende Nummer jeder sogenannten Tatsache den Namen und die Nummer des Mädchens, die Zimmernummer, sowie den Zeitpunkt des Beginns und Abschlusses einzutragen. Dahinter den empfangenen Einheitsbetrag von vier Mark […]: eine Mark für das Mädchen, eine Mark für die Besitzerin des Hauses […] und die restierenden zwei Mark (in roter Tinte!) für das rote Kreuz, welches dafür die medizinmoralische Verantwortung dieses Militärunternehmens auf sich nahm […].“

Bibliografie 

Blumenfeld, Erwin: Durch tausendjährige Zeit. Erinnerungen, Berlin 1988

Daniel, Ute: Arbeiterfrauen in der Kriegsgesellschaft. Beruf, Familie und Politik im Ersten Weltkrieg, Göttingen 1989

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Eder, Franz X.: Kultur der Begierde. Eine Geschichte der Sexualität, 2. Auflage, München 2009

Jušek, Karin J.: Auf der Suche nach der Verlorenen. Die Prostitutionsdebatten im Wien der Jahrhundertwende, Wien 1994

Kundrus, Birthe: Kriegerfrauen. Familienpolitik und Geschlechterverhältnisse im Ersten und Zweiten Weltkrieg, Hamburg 1995

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Sixtus von Reden, Alexander/Schweikhardt, Josef: Eros unterm Doppeladler. Eine Sittengeschichte Altösterreichs, Wien 1993

Überegger, Oswald: Krieg als sexuelle Zäsur? Sexualmoral und Geschlechterstereotypen im kriegsgesellschaftlichen Diskurs über die Geschlechtskrankheiten. Kulturgeschichtliche Annäherungen, in: Kuprian, Hermann J. W./Überegger, Oswald (Hrsg.): Der Erste Weltkrieg im Alpenraum. Erfahrung, Deutung, Erinnerung. La Grande Guerra nell’arco alpino. Esperienze e memoria, Innsbruck 2006, 351-366

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Zitate:

„Nun sollte ich meine Pflicht …“: Blumenfeld, Erwin: Durch tausendjährige Zeit. Erinnerungen, Berlin 1988, 192f.

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  • Entwicklung

    Alltag an der (Heimat) Front

    Wie gestaltete sich der Alltag in der Heimat und an den Fronten während der Jahre 1914 bis 1918? Lässt sich der Alltag einer bürgerlichen Frau mit jenem einer Arbeiterin vergleichen? Machte ein Offizier dieselben Fronterfahrungen wie ein Mannschaftssoldat? Oder müssen wir nicht eher davon ausgehen, dass wir es mit einer immensen Fülle an Einzelerlebnissen und -erfahrungen zu tun haben, die den Kriegsalltag der Bevölkerung und der Soldaten an den Fronten prägten?

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