„Am Anfang widerstehe“

Regulierung des Sexualverhaltens von Soldaten im Ersten Weltkrieg

Der Erste Weltkrieg führte zu einem beträchtlichen Anstieg nichtehelicher Sexualkontakte, worauf Regierende und Militärführer mit großer Besorgnis reagierten. Sie befürchteten eine rasche Verbreitung von Geschlechtskrankheiten und sahen die Wehrtüchtigkeit der Truppen gefährdet.
 

In allen Krieg führenden Ländern wurden Soldaten zur Enthaltsamkeit aufgerufen. Die im britischen Militär verteilten Gesundheitsratgeber propagierten Selbstkontrolle und Abstinenz als sicherste Methode zur Vermeidung von Geschlechtskrankheiten. Auch in der Canadian Expeditionary Force, deren Soldaten anfangs noch über die Verwendung von Schutzmitteln aufgeklärt wurden, forderten die Militärärzte seit dem Frühjahr 1917 die Rekruten zur Enthaltsamkeit auf.

In Frankreich verpflichtete eine im Herbst 1916 erlassene Bestimmung alle Truppen zur Teilnahme an Aufklärungsvorträgen über die Symptome und Gefahren von Geschlechtskrankheiten. Militärärzte appellierten an das Ehrgefühl der Soldaten, wonach sie nicht nur sich selbst, sondern auch ihre Familien vor Erkrankungen schützen müssten. Schließlich sei es ihre Pflicht, gesunde Nachkommen zu zeugen, um die Zukunft der Nation zu sichern.

In Deutschland wurden Merkblätter ausgegeben, die an das Pflichtgefühl der Soldaten appellierten:

„Jeder Soldat hat die heilige Pflicht, sich für sein Vaterland gesund zu halten, doppelt und dreifach in Kriegszeiten, wo an seine Leistungsfähigkeit die größten Anforderungen gestellt werden. Durch nichts werden Gesundheit und Leistungsfähigkeit des Soldaten so geschädigt als durch die Geschlechtskrankheiten: Syphilis und Tripper. Sie verursachen nicht nur große Schmerzen, sondern machen den Mann auch schlapp, marsch- und kampfunfähig – ganz zu schweigen über die schweren Gesundheitsschädigungen, welche diese Krankheiten für das ganze spätere Leben nach sich ziehen.“

„Am Anfang widerstehe“ lautete der Leitsatz eines vom Statthalter für Tirol und Vorarlberg verteilten Merkblattes. Dieses sollte die Soldaten darüber informieren, dass „Enthaltsamkeit im geschlechtlichen Verkehr […] nach dem übereinstimmenden Urteil der Ärzte im Gegensatz zu einem vielverbreiteten Vorurteil nicht gesundheitsschädlich“ sei.

Das Prostitutionsregulativ der Südwestfront ging noch einen Schritt weiter und appellierte an das Pflichtgefühl der österreichisch-ungarischen Soldaten: „Da ihr den Krieg in die feindlichen Länder getragen habt, erstehen euch auch in den Frauen und Mädchen feindliche Kämpfer, die euch mit lächelnden Mienen Gesundheit und Kraft nehmen. […] Wenn ihr euch ansteckt, betrügt ihr nicht nur euer Vaterland um eure Kraft, sondern auch die Lieben daheim – und in der Heimat, in der Heimat, da gibt es ein Wiedersehn!“

Die Soldaten wurden zur Treue gegenüber ihren Ehefrauen und Verlobten aufgerufen und mit nationalistischen Parolen gewarnt, sexuelle Beziehungen mit Frauen aus feindlichen Ländern einzugehen. Schließlich müsse nicht nur an die eigenen Frauen und Kinder, sondern – so steht in einem auf Forderung der Landesversicherungsanstalt Berlin seit 1915 ausgegebenen Mahnruf zu lesen – auch an das Vaterland selbst gedacht werden: „Die Kraft und Gesundheit des Heeres ist die erste Voraussetzung für den endgültigen Sieg.“

Bibliografie 

Dietrich, Elisabeth: Der andere Tod. Seuchen, Volkskrankheiten und Gesundheitswesen im Ersten Weltkrieg, in: Eisterer, Klaus/Steininger, Rolf (Hrsg.): Tirol und der Erste Weltkrieg, Innsbruck 2011, 255-275

Sauerteig, Lutz: Militär, Medizin und Moral: Sexualität im Ersten Weltkrieg, in: Eckart, Wolfgang U./Gradmann, Christoph (Hrsg.): Die Medizin und der Erste Weltkrieg, 2. Auflage, Herbolzheim 2003, 197-226

Rhoades, Michelle K.: Renegotiating French Masculinity. Medicine and Venereal Disease during the Great War, in: French Historical Studies (2006), 29/2, 293-327

Hirschfeld, Magnus/Gaspar, Andreas: Sittengeschichte des Ersten Weltkrieges, 2. Auflage, Hanau am Main 1966

 

Zitate:

„Jeder Soldat hat die heilige Pflicht …“: Merkblatt der Gesellschaft zur Bekämpfung der Geschlechtskrankheiten, zitiert nach: Hirschfeld, Magnus/Gaspar, Andreas: Sittengeschichte des Ersten Weltkrieges, 2. Auflage, Hanau am Main 1966, 174

„Am Anfang widerstehe“: „Merkblatt für Männer“ der k. k. Statthalterei für Tirol und Vorarlberg, zitiert nach: Dietrich, Elisabeth: Der andere Tod. Seuchen, Volkskrankheiten und Gesundheitswesen im Ersten Weltkrieg, in: Eisterer, Klaus/Steininger, Rolf (Hrsg.): Tirol und der Erste Weltkrieg, Innsbruck 2011, 267

„Enthaltsamkeit im geschlechtlichen Verkehr …“: „Merkblatt für Männer“ der k. k. Statthalterei für Tirol und Vorarlberg, zitiert nach: Dietrich, Elisabeth: Der andere Tod. Seuchen, Volkskrankheiten und Gesundheitswesen im Ersten Weltkrieg, in: Eisterer, Klaus/Steininger, Rolf (Hrsg.): Tirol und der Erste Weltkrieg, Innsbruck 2011, 267

„Da ihr den Krieg …“: „Merkblatt für Männer“ der k. k. Statthalterei für Tirol und Vorarlberg, zitiert nach: Dietrich, Elisabeth: Der andere Tod. Seuchen, Volkskrankheiten und Gesundheitswesen im Ersten Weltkrieg, in: Eisterer, Klaus/Steininger, Rolf (Hrsg.): Tirol und der Erste Weltkrieg, Innsbruck 2011, 268

„Die Kraft und Gesundheit …“: Mahnruf, zitiert nach: Sauerteig, Lutz: Militär, Medizin und Moral: Sexualität im Ersten Weltkrieg, in: Eckart, Wolfgang U./Gradmann, Christoph (Hrsg.): Die Medizin und der Erste Weltkrieg, 2. Auflage, Herbolzheim 2003, 208

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  • Entwicklung

    Alltag an der (Heimat) Front

    Wie gestaltete sich der Alltag in der Heimat und an den Fronten während der Jahre 1914 bis 1918? Lässt sich der Alltag einer bürgerlichen Frau mit jenem einer Arbeiterin vergleichen? Machte ein Offizier dieselben Fronterfahrungen wie ein Mannschaftssoldat? Oder müssen wir nicht eher davon ausgehen, dass wir es mit einer immensen Fülle an Einzelerlebnissen und -erfahrungen zu tun haben, die den Kriegsalltag der Bevölkerung und der Soldaten an den Fronten prägten?

Erinnerungen