Trennung der Ehepaare und sexuelle Mobilität im Ersten Weltkrieg

Im Zuge des Ersten Weltkriegs kam es zu einer verstärkten Mobilität von Individuen. Millionen von Männern wurden an die Front berufen und so von ihren Familien und Ehefrauen getrennt. Die Separation der Ehepaare hatte gewichtige Folgen für Partnerschaften und Sexualverhalten.


 

Obwohl die Zahlen der einberufenen (Ehe-)Männer in der Forschungsliteratur divergieren, ist anzunehmen, dass in Österreich-Ungarn bis 1918 schätzungsweise 6,5 Millionen, im Deutschen Reich ca. 11 Millionen Männer in den Krieg geschickt wurden. Mehr als ein Drittel von ihnen war verheiratet, wodurch das Ausmaß der Familientrennung augenscheinlich wird.

Dies hatte eine ‚Verweiblichung’ der Bevölkerung in der Heimat und eine deutliche Abnahme der Eheschließungen sowie der Geburtenzahlen zur Folge. Mit der kriegsbedingten Trennung der Familien und (Ehe-)Paare kam es zu monate- bzw. jahrelangen Unterbrechungen der sexuellen Beziehungen. Eine Allgäuerin beschreibt in ihren lebensgeschichtlichen Aufzeichnungen, wie sehr der Trennungszustand zunehmend als Kriegsnormalität wahrgenommen wurde:

„Man lebt sich ganz in das Elend hinein, man meint, es müsse so sein, der Mann gehöre fort, das Weib müsse sich schinden und plagen, müsse die Kinder allein groß ziehen, darf dem Mann nur schreiben und Pakete schicken.“

Trotz der Trennung der EhepartnerInnen kann von vielen sexuellen Kontakten während des Krieges ausgegangen werden. Diese fanden vermehrt außerhalb der Ehe statt: zwischen Soldaten und der weiblichen Bevölkerung der besetzten Länder, zwischen Militärs und Prostituierten in den Bordellen unmittelbar hinter der Front sowie zwischen den daheim gebliebenen Frauen und ausländischen Arbeitern bzw. Kriegsgefangenen. Mit den strukturellen Veränderungen des Krieges kam es zu einer verstärkten sexuellen Mobilität, zu neuen Formen sexueller Beziehungen und veränderten Moralvorstellungen.

Dies hatte zur Folge, dass das Sexualverhalten sowohl der Militärs als auch der Zivilbevölkerung verstärkt ins Zentrum des nationalstaatlichen Interesses rückte. Sexualität war bereits seit Beginn des 20. Jahrhunderts ein in der Öffentlichkeit viel diskutiertes Thema. Der Krieg wirkte gewissermaßen als Katalysator dieser Entwicklung und führte zu einer verstärkten Politisierung des Sexuallebens. Die sich rasch ausbreitenden Geschlechtskrankheiten stellten eine Gefahr für die Kampfkraft der Soldaten dar, weshalb ihre Eindämmung zum nationalen Anliegen avancierte. Als mögliche Lösungsversuche wurden die Reglementierung der Prostitution, die Ermunterung zur Enthaltsamkeit sowie die Verwendung von Verhütungs- und Schutzmitteln diskutiert. Ein weiteres Problem, das in fast allen Krieg führenden Staaten große Aufmerksamkeit erfuhr, war der starke Rückgang der Geburtenziffern, deren Hebung im Sinne einer Stärkung der Nation höchste Priorität genoss.

Bibliografie 

Daniel, Ute: Arbeiterfrauen in der Kriegsgesellschaft. Beruf, Familie und Politik im Ersten Weltkrieg, Göttingen 1989

Daniel, Ute: Frauen, in: Hirschfeld, Gerhard/Krumeich, Gerd/Renz, Irina (Hrsg.): Enzyklopädie Erster Weltkrieg, Paderborn et al. 2009, 116-134

Herzog, Dagmar: Sexuality in Europe. A Twentieth-Century History, Cambridge et al. 2011

Sauerteig, Lutz: Sex, Medicine and Morality during the First World War, in: Cooter, Roger/Harrison, Mark/Sturdy, Steve (Hrsg.): War, Medicine and Modernity, Stroud 1998, 167-188

 

Zitate:

„Man lebt sich ganz …“: Briefauszug vom März 1917: HStA/Kr. I. Bayerisches AK München 1979, zitiert nach: Daniel, Ute: Arbeiterfrauen in der Kriegsgesellschaft. Beruf, Familie und Politik im Ersten Weltkrieg, Göttingen 1989, 128

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  • Entwicklung

    Alltag an der (Heimat) Front

    Wie gestaltete sich der Alltag in der Heimat und an den Fronten während der Jahre 1914 bis 1918? Lässt sich der Alltag einer bürgerlichen Frau mit jenem einer Arbeiterin vergleichen? Machte ein Offizier dieselben Fronterfahrungen wie ein Mannschaftssoldat? Oder müssen wir nicht eher davon ausgehen, dass wir es mit einer immensen Fülle an Einzelerlebnissen und -erfahrungen zu tun haben, die den Kriegsalltag der Bevölkerung und der Soldaten an den Fronten prägten?

Erinnerungen