Die Anforderungen moderner Kriegsführung gingen weit über die bloße Waffen- und Munitionsproduktion hinaus. Eine besondere Bedeutung erlangten Transportmittel wie Lokomotiven, Waggons, Kraftwagen und schließlich auch Flugzeuge, die in Wiener Betrieben wie Gräf & Stift bzw. den Lohner-Werken hergestellt wurden.
Abseits der Produktion von Rüstungsgütern erforderte die moderne Kriegsführung die rasche Überwindung des Raumes durch Transport- und Kommunikationsmittel, ein Bedarf, der bereits bei Kriegsbeginn deutlich spürbar wurde. Insofern war es für die Heeresleitung nicht unerheblich, dass sich in Wien und Niederösterreich die großen Lokomotiv- und Waggonfabriken der Monarchie, allen voran die Maschinenfabrik der Staatseisenbahngesellschaft und die Florisdorfer Lokomotivfabrik, und dazu wichtige Reparaturwerkstätten in den Bezirken 10, 11, 15 und 21 befanden. Auch die Waggonproduktion war sehr bedeutend. So standen in der Maschinen- und Waggonfabrik AG in Simmering im Jahr 1918 1.600 Arbeiter in Beschäftigung. Die Lokomotivenproduktion lief ab 1915 dank Aufträgen des Eisenbahnministeriums im großen Maßstab an. In den Jahren 1916 und 1917 erreichte der Output seinen Höhepunkt. Gegen Ende des Krieges häuften sich dann Reparaturaufträge.
Aufgrund einer im Jahr 1914 bestehenden Überproduktion verlegten sich die Motorenfabriken zunächst auf die Herstellung von Füllstücken für Granaten u.ä.m. In den Jahren 1915 und 1916 wurden dann fast ausschließlich Automobilmotoren für die Heeresverwaltung produziert. Im Jahr 1917 sprang die Nachfrage nach Motoren auf Grund der Kohleknappheit deutlich an, ging jedoch 1918 durch Rückgang der Betriebsstoffe wieder zurück.
Einen enormen Aufschwung während des Krieges erlebte die Wiener Automobilindustrie. Mit Kriegsbeginn wurde die Erzeugung auf Lastkraftwagen für die Heeresverwaltung umgestellt. Schon im September 1914 wurde ein Lieferplan erstellt, an dem nicht zuletzt die Wiener Automobilfabriken prominent beteiligt waren. Primär wurden Lastwagen, daneben Werkstätten- und Zugwagen sowie Feldbahn-, Flugzeug- und Bootsmotoren hergestellt. Einer der Hauptlieferanten für Heeresfahrzeuge, insbesondere für Spezialkraftwagen einschließlich Sonderanfertigungen, war die Wiener Automobilfabrik AG (Gräf & Stift) im 19. Bezirk, die allein im Jahr 1915 neben anderem 120 „Subventions-“, sieben Beleuchtungs-, sechs Kommando-, drei Sanitäts- und 32 Werkstättenwagen an die Heeresverwaltung lieferte. Die größte Automobilfabrik Österreichs entstand jedoch 1916–1918 in der Laxenburgerstraße in Wien-Favoriten durch die Steyr-Werke. Erzeugt wurden Motoren und Karosserien.
Neben der Automobilproduktion expandierte die Flugzeugindustrie stark. Die Lohner-Werke in Floridsdorf errichteten eine große Flugzeugbaudoppelhalle und eine Holztrockenanlage. Insgesamt wurden allein bis März 1916 Investitionen in der Höhe von rund 1 Million Kronen getätigt. Dadurch und durch die Aufnahme zusätzlicher Arbeitskräfte – temporär sogar Matrosen der k. u. k. Kriegsmarine – konnte die Produktion erheblich gesteigert werden. Allein von 1. August 1914 bis 29. Februar 1916 lieferte Lohner 97 Flugboote und 170 Landflugzeuge, davon 81 noch nicht montiert.
Schon kurz nach der Kriegserklärung ergingen auch bedeutende Aufträge der Heeresverwaltung an Großbetriebe der Wiener Elektroindustrie. Benötigt wurden u.a. Feldbahnen, Funk- und Telegraphentechnik, elektrisch betriebene Fahrzeuge, elektromotorisch arbeitende Werkstätten. Die Maschinenfabrik „Condor“ (im 10. Bezirk) belieferte das k. u. k. Heer mit transportablen Masten für den drahtlosen Telegraphenverkehr.
Heimatausschuß der Lehrergemeinschaften des XXI. Bezirks: Der XXI. Wiener Gemeindebezirk. Ein Heimatbuch für Schule und Haus, Wien 1926
Keimel, Reinhard: Flugzeuge der österreichischen Firma Lohner 1909-1923 (Sonderheft der Blätter für Technikgeschichte), Wien 1990
Seper, Hans: Österreichische Automobilgeschichte 1815 bis heute, Wien 1986
Seper, Hans: Die Brüder Gräf. Geschichte der Gräf & Stift-Automobile, Wels/München/Kreuzlingen 1991
Weigl, Andreas: Kriegsindustrie. Die Wiener Wirtschaft im Dienst der Kriegsökonomie, in: Pfoser, Alfred/Weigl, Andreas (Hrsg.): Im Epizentrum des Zusammenbruchs. Wien im Ersten Weltkrieg, Wien 2013, 220–231
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Kapitel
- Ein wichtiger Industriestandort – Wien vor dem Ersten Weltkrieg
- Die Mobilisierungskrise der ersten Kriegsmonate
- Die Produktion von Rüstungsgütern in Wien
- Das Arsenal als Rüstungsschmiede
- Gerätschaften für den mobilen Krieg
- Kriegsgewinner und Kriegsgewinnsteuer
- Langfristige wirtschaftspolitische und strukturelle Folgen