Waren aus Gummi fanden breite Verwendung im Alltag sowie für technische und wissenschaftliche Zwecke. Nach dem Ausbleiben der Kautschuklieferungen aus den Kolonien anderer Mächte fand sich während des Ersten Weltkriegs kein geeigneter Ersatz. Man musste sich mit der Aufbereitung und Wiederverwertung von Altgummi begnügen.
Kautschuk, der milchige Saft verschiedener Baumarten, war in Mittelamerika bereits den Mayas und Azteken bekannt. 1736 sandte der französische Forscher Charles Marie de la Condamine die ersten Proben dieses Materials aus Ecuador nach Europa. In der Folge versuchten Tüftler, Anwendungsgebiete für Kautschuk zu finden. Doch wies dieser Werkstoff ohne vorherige Behandlung problematische Eigenschaften auf: Waren aus reinem Kautschuk zerliefen in der Hitze und zerbröselten in der Kälte. Zu den Pionieren der Kautschukwarenindustrie in Österreich zählte der aus Mähren stammende Johann Nepomuk Reithoffer. Ein Durchbruch in der technischen Verwertung gelang um 1840 nach langjährigen Versuchen dem US-Amerikaner Charles Goodyear. Er vermischte Rohkautschuk mit Schwefel. Das Produkt dieser Vulkanisierung lieferte die Basis für die Erzeugung dauerhafter Gebrauchsgegenstände und galt als einer der ersten Kunststoffe.
Allmählich eroberten Artikel aus dem neuartigen „Gummi“ sowie aus Hartgummi (Ebonit, mit höherem Schwefelgehalt) wesentliche Bereiche der Warenwelt. Dazu zählten wasserdichte Kleidung, Schuhwerk, Galoschen, Handschuhe und Badehauben, Bälle und Sportgeräte, Haushaltswaren und Reiseutensilien sowie viele weitere chemische, medizinische und pharmazeutische Artikel. Eine neue Stufe erreichte der Gummiverbrauch mit der Erfindung des Fahrrads und des Automobils und dem daraus erwachsenden Bedarf an Reifen. In der Folge erfuhren die Anbaugebiete eine wesentliche Erweiterung. 1876 wurden Samen des Kautschukgewächses Hevea brasiliensis aus Brasilien über London nach Ceylon (Sri Lanka) gebracht. Von dort gelangten weitere Pflanzen nach Singapur. Ab etwa 1910 wurde Kautschuk auf der malayischen Halbinsel systematisch in Plantagen erzeugt. Teilweise erzwang man die Gewinnung durch Einheimische mit äußerst brutalen Mitteln, etwa im afrikanischen Kongo. Dort bereicherte sich unter anderem der belgische König Leopold II. mit hemmungsloser Gier, der Abertausende Menschen zum Opfer fielen.
Somit stammten große Naturkautschukmengen aus den Kolonien der europäischen Mächte England, Belgien, Frankreich und Niederlande. Um diese Abhängigkeit zu verringern, entwickelte der Chemiker Fritz Hofmann um 1910 in Leverkusen erste kleine Mengen künstlichen Kautschuks. Nach dem Kriegsausbruch und der darauf folgenden Handelssperre benötigte die Heeresverwaltung große Mengen an Gummi insbesondere für Autoreifen, Ballons, Hospitaltücher und chirurgische Artikel. Ein Ersatz dafür stand nicht zur Verfügung, lediglich ein Regenerat von neu aufgearbeitetem Altgummi wurde zustande gebracht. In der Folge mussten viele Lastkraftwagen im Zivilverkehr ohne Gummibereifung verkehren. Dies schädigte Straßen und Gebäude; daher wurde für diese Fahrzeuge 1917 eine Höchstgeschwindigkeit von neun Stundenkilometern auf gepflasterten bzw. von zwölf Stundenkilometern auf ungepflasterten Fahrbahnen festgesetzt.
Giersch, Ulrich/Kubisch, Ulrich (Hrsg.): Gummi. Die elastische Faszination, Berlin 1995
Weitensfelder, Hubert: Die großen Erfinder, Wiesbaden 2009
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Kapitel
- Zichorien, Torf & Textilit: Ersatzmittel vor dem Krieg
- Eherne Zeiten: Metalle
- Geschütze statt Geläute: Metallsammlungen
- Prekäre Kleidung: Textilien und Papiergewebe
- Gut zu Fuß? Gerbemittel und Leder
- Dehnbar und unersetzlich: Gummiwaren
- Von fern und nah: Harze und Harzprodukte
- Die Ersatzmittel-Ausstellung im Prater 1918