Die Habsburgermonarchie besaß umfangreiche Waldgebiete, aber nur wenige Baumarten wie die Schwarzkiefer eigneten sich zur wirtschaftlichen Gewinnung von Harz und seinen Produkten Kolophonium und Terpentinöl. Nach dem Wegfall ausländischer Produkte boten fossile Harze aus Steinkohlenteeren einen Ausweg.
Harze für unterschiedliche Produktionszwecke stammten vielfach aus außereuropäischen Regionen, dazu zählten etwa Kopal, Dammar und Elemi. Einheimische Harze und ihre Produkte wurden aufgrund der klimatischen Bedingungen in Mitteleuropa nur in geringem Maß gewonnen. Im Jahr vor dem Kriegsbeginn importierte Österreich-Ungarn beachtliche 336.605 Zentner Harz und Kolophonium vorwiegend aus den USA, Deutschland, Frankreich und Großbritannien. Dem stand eine Ausfuhr von lediglich 10.556 Zentnern gegenüber. Beim Terpentinöl waren es 87.003 bzw. 1.734 Zentner. Diese Zahlen entsprachen rund 3.000 Eisenbahnwaggons Kolophonium und 1.000 Waggons Terpentinöl.
Harze und Kolophonium wurden unter anderem zur Erzeugung von Seifen und Farben, Lacken und Firnissen, zur Leimung von Papier und zum Auspichen von Bierfässern verwendet. Die Heeresverwaltung benötigte im Krieg weitere Mengen zur Munitionsherstellung. 1916 versiegten die letzten Bezugsquellen für Harze aus neutralen Staaten. Um die Versorgung zu regulieren, etablierte die Regierung daher im Juni dieses Jahres eine „Harzzentrale G.m.b.H.“ zur Beschaffung von Rohharz und seinen Produkten.
Unter diesen Umständen gewann ein Produktionsgebiet in Niederösterreich erheblich an Bedeutung. Die ausgedehnten Schwarzkiefernbestände in den Bezirken Baden, Wiener Neustadt und Neunkirchen südlich von Wien waren bereits seit Generationen bewirtschaftet worden, diese Tätigkeiten galten als Teil der „Waldgewerbe“. 1905 hatte sich in der Ortschaft Piesting eine landwirtschaftliche Genossenschaft zur Verwertung der Harzprodukte gebildet. 1911 brannte hier die Pechsiederhütte ab, in den zwei folgenden Jahren wurde eine neue und moderne Raffinerie angelegt. Die gewonnenen Mengen reichten jedoch nicht aus, um den erheblichen Bedarf zu decken. Daher ging man dazu über, in einigen besetzten Gebieten, etwa im polnischen Militär-Generalgouvernement Lublin und in Serbien sowie in Bosnien, Harz aus geeigneten Bäumen zu gewinnen. Das verbündete Deutsche Reich wiederum bewirtschaftete Baumbestände in Polen und in Bayern sowie kleinere Flächen wie den Potsdamer Forst nahe Berlin. Dennoch blieben Harzprodukte ein knappes Gut. Aus diesem Grund experimentierten Chemiker in einschlägigen Betrieben, etwa in den großen Produktionsstätten von „A. Zankl Söhne, Fabrikanten chemischer Farben, Lacke und Firnisse“ in Graz mit Ersatzmischungen.
Als Ersatzstoff für Kolophonium diente unter anderem Kumaronharz, ein Nebenprodukt der Verarbeitung von Steinkohlenteer. Es war bereits um 1890 von deutschen Chemikern im Julius-Rütgers-Konzern entwickelt worden. Kumaron diente auch als minderwertiger Ersatz für das vielseitig verwendete Leinöl, das aufgrund des verringerten Flachsanbaus ebenfalls in unzureichendem Maß zur Verfügung stand, obwohl es als unverzichtbares Anstrichmittel etwa für Flugzeuge, Lokomotiven und Geschütze galt.
Der Außenhandel der öst.-ung. Monarchie im Jahre 1913, in: Österreichische Chemiker-Zeitung, Neue Folge 17 (1914), 75–79
Austerweil, Géza/Roth, Julius: Gewinnung und Verarbeitung von Harz und Harzprodukten, München/Berlin 1917
Stadler, Gerhard: Das industrielle Erbe Niederösterreichs. Geschichte – Technik – Architektur, Wien/Köln/Weimar 2006
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Kapitel
- Zichorien, Torf & Textilit: Ersatzmittel vor dem Krieg
- Eherne Zeiten: Metalle
- Geschütze statt Geläute: Metallsammlungen
- Prekäre Kleidung: Textilien und Papiergewebe
- Gut zu Fuß? Gerbemittel und Leder
- Dehnbar und unersetzlich: Gummiwaren
- Von fern und nah: Harze und Harzprodukte
- Die Ersatzmittel-Ausstellung im Prater 1918