Zichorien, Torf & Textilit: Ersatzmittel vor dem Krieg

Ersatzmittel weisen eine lange Geschichte auf. Am bekanntesten sind wohl die vielen Spielarten des Ersatzkaffees. Im Verlauf der Industrialisierung wuchs die Zahl und Vielfalt der Surrogate. Mit Ausbruch des Ersten Weltkrieges erlangten sie einen neuartigen Stellenwert für die privaten Konsumenten wie für die Kriegswirtschaft.

Zu den bekanntesten Surrogaten zählte der Ersatzkaffee. Das Genussmittel Kaffee erfreute sich schon seit dem 18. Jahrhundert zunehmender Beliebtheit. Sein Konsum signalisierte aus bürgerlicher Sicht nüchterne Vernunft. Den Ärmeren half er, während überlanger Arbeitszeiten wach und konzentriert zu bleiben. Echter Kaffee war allerdings teuer, daher wurde er vielfach geschmuggelt. Außerdem behalf man sich häufig mit heimischen Ersatzstoffen. Dazu zählten Zichorienwurzeln, Bucheckern, Weintraubenkerne und vieles mehr. Wurde Kaffee in pulverisierter Form verkauft, waren weiteren fantasievollen Beimengungen und Verfälschungen kaum Grenzen gesetzt. Seit dem Beginn des 19. Jahrhunderts entstanden größere Betriebe zur Herstellung von Ersatzkaffee. So betrieb Heinrich Franck in Ludwigsburg unweit von Stuttgart eine Produktionsstätte für Zichorienkaffee. 1879 gründete das Unternehmen eine weitere Fabrik in Linz und eroberte in der Folge erhebliche Anteile am österreichischen Markt.

Einige Regionen der Habsburgermonarchie verfügten über große Moore mit umfangreichen Torflagerstätten. Traditionell wurde getrockneter Torf in Haushalten zum Heizen verwendet, auch in Eisenwerken, Glashütten und Salzsiedereien fand er als Brennstoff Verwendung. Seit der Mitte des 19. Jahrhunderts wurden Maschinen konstruiert, um Torf massenhaft abzubauen, außerdem wurden seine Eigenschaften zunehmend erforscht und Überlegungen zu seiner technischen Nutzung angestellt. In Österreich befasste sich der Unternehmer Karl Zschörner mit der Herstellung und Verwertung von Torfprodukten, darunter Viehstreu und Torfmull sowie Decken, Teppiche, Verbandmaterial und Papier. Unter anderem betrieb Zschörner einen Torfabbau und eine Fabrik im steirischen Admont. Für seine Neuerungen erhielt er zwischen 1897 und 1899 eine Reihe von Patenten in mehreren Staaten. In diesen Jahren beteiligte sich Zschörner auch an Ausstellungen in Wien und publizierte einen aufwendig gemachten Katalog. Darin stellte er seine Waren vor und zitierte ausgiebig Stimmen aus der Tagespresse sowie Empfehlungen etwa von größeren Grundbesitzern. Diese erhofften sich von Zschörners Engagement eine wirtschaftlich lohnende Verwertung ihrer bislang kaum nutzbaren Moore.

Mit fortschreitender Industrialisierung und zunehmendem Handel stieg der Bedarf an Verpackungsmaterial für versendete Rohstoffe und Waren. Zu diesem Zweck fanden Fässer ebenso Verwendung wie Säcke aus Leinen oder Hanf. Wachsende Bedeutung erlangte dabei die Jute, die in den englischen Kolonien Indiens angebaut wurde. 1870 ging in Wien-Simmering die „Erste österreichische Jute-Spinnerei und -Weberei“ in Betrieb. Mit dem Rückgang des Anbaus heimischer Faserpflanzen wuchs die Abhängigkeit von der importierten Jute. Daher begann das Unternehmen im Jahr 1913 mit der Herstellung von „Textilit“, einem patentierten Gewebe aus Textilfasern und Papier. Als nach Kriegsausbruch die Jutelieferungen ausblieben, stieg der Anteil der Mischgewebe weiter an.

Bibliografie 

Hanf-, Jute- und Textilit-Industrie A.G. in Wien (Hrsg.): 60 Jahre österreichischer Jute-Industrie, Wien 1929

Torf-Industrie Karl A. Zschörner & Comp.: Torf-Mannschaftsdecken, Torf-Pferdedecken, Torfteppiche etc. etc. Torfpapier, Torf-Packpapier, Torf-Pappendeckel, Torfstreu, Torfmull, Wien 1899

Weitensfelder, Hubert: Technikgeschichte. Eine Annäherung, Wien 2013

Inhalte mit Bezug zu diesem Kapitel

Aspekt

Personen, Objekte & Ereignisse

  • Objekt

    Mangel und Elend

    Als im Jänner 1915 die Bevölkerung auf ausbleibende Brot- und Mehllieferungen mit Panikkäufen reagierte, führte die Kriegs-Getreide-Verkehrsanstalt das Bezugskartensystem ein. Pro-Kopf-Quoten wurden festgesetzt und über Brot- und Mehlkarten verteilt. Doch selbst die zugewiesenen Rationen konnten angesichts der Krise immer seltener ausgegeben werden und die Papierscheine erwiesen sich als wertlos.